# taz.de -- Katie Kitamuras Roman „Intimitäten“: Zu viel Verständnis
       
       > Katie Kitamura schreibt in „Intimitäten“ über eine Dolmetscherin, die das
       > Übersetzen in eine bittere Nähe zu einem diktatorischen Schlächter
       > bringt.
       
 (IMG) Bild: Ein Urteil der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wird verlesen
       
       Die Intimitäten, die Katie Kitamura in ihrem gleichnamigen Roman
       verhandelt, sind unterschiedlicher Art. Genossen, erlitten und reflektiert
       werden sie von ihrer Ich-Erzählerin, die aus New York nach Den Haag gezogen
       ist, um dort eine befristete Stelle als Dolmetscherin am Internationalen
       Gerichtshof anzunehmen. Wurzellos, heimatlos fühlt sie sich und ist damit
       nicht allein in dieser Stadt, an diesem sehr speziellen Arbeitsplatz.
       
       Schon bald dolmetscht sie in einem wichtigen Prozess gegen den
       Ex-Präsidenten eines westafrikanischen Landes, dem Verbrechen gegen die
       Menschlichkeit vorgeworfen werden. Parallel dazu entwickelt sich im
       Privaten eine Beziehung zu Adriaan. Die intensive Nähe erweist sich ab dem
       Moment als fragil, als er zu seiner Noch-Ehefrau reist und anders als
       verabredet nicht nach einer Woche zurückkehrt und die in seiner Wohnung
       wartende Erzählerin ohne Nachricht lässt.
       
       Aus dieser Konstellation heraus erschafft die US-amerikanische Autorin,
       Tochter japanischer Immigranten, eine dichte Erzählung über den Wunsch nach
       Sicherheit und Gewissheit, dem sie eine allgegenwärtige Gewalt und das
       Entgleiten von Eindeutigkeiten gegenüberstellt. Auf sublime Weise verknüpft
       sie das vermeintlich Private mit politischen Fragen.
       
       ## Ein Präsident ist angeklagt
       
       Zentral ist die Bedeutung von Sprache und welche Rolle sie beim Dolmetschen
       spielt: „Ich würde die Bedeutung dessen, was er getan hatte, nicht
       verschleiern […], es war meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich zwischen
       den Sprachen kein Fluchtweg auftat.“ Er, das ist der angeklagte Präsident.
       
       Eindrücklich schildert Kitamura durch den Blick ihrer Figur, wie jede
       Betonung, jede Unsicherheit in der Stimme der Dolmetscher*innen die
       Glaubwürdigkeit der Zeug*innen stärken oder schwächen, den Prozessverlauf
       beeinflussen kann. Und wie kann Sprache die unfassbare Gewalt überhaupt
       ausdrücken? Wie kann die Erzählerin „ich“ im Namen eines Opfers sagen?
       
       Sie möchte neutral sein, doch das „reine“ Übersetzen wird auch durch das
       manipulative Charisma des Angeklagten torpediert. Für die Erzählerin führt
       sein Verhalten zusammen mit dem Akt des Dolmetschens zu einer
       unerträglichen Nähe, einer aufgezwungenen Intimität.
       
       ## Grenzen der Empathie
       
       Ihre Fähigkeit zur Empathie konfrontiert sie hier mit einer zutiefst
       beunruhigenden Erfahrung, denn sie fühlt sich, „als wäre ich in einen
       Körper verpflanzt worden, in dem ich nicht sein wollte. Zu erleben, dass
       ich so durchlässig war, widerte mich regelrecht an.“ So sehr nimmt sie
       zeitweise die Perspektive des Angeklagten ein, spürt gar Erleichterung,
       wenn es für ihn gut läuft. Was konträr zu ihrer moralischen Wertung steht.
       So umkreist Kitamura die Grenzen der Empathie, weist auf ihre invasiven,
       verunsichernden Momente hin.
       
       Eine Spiegelung findet das Thema in der Beziehung zu Adriaan. Zu viel
       Verständnis hat die Erzählerin in eine demütigende Lage gebracht. Um eine
       Art Machtbalance geht es auch in dieser Beziehung – und die Verlagerung
       zuungunsten der Frau, das weiß auch die Erzählerin, ist alles andere als
       individuell. Die Autorin wird die Geschichte hier aber nochmals drehen.
       
       Kitamuras Sprache ist sehr klar. Eine dichte Erzählstimme, die von der
       erstaunlichen Spannung zwischen fast kühler Präzision und Feinfühligkeit
       getragen ist, führt durch den Roman.
       
       ## Konfrontation mit brutaler Gewalt
       
       Und so erzählt die Autorin auch davon, was die ständige Konfrontation mit
       brutaler Gewalt, dem Leid der Opfer den Mitarbeiter*innen am
       Internationalen Gerichtshof abverlangt. Die Erzählerin, eine so genaue
       Beobachterin ihrer Mitmenschen wie ihrer selbst, wird daraus ihre Schlüsse
       ziehen, seien sie auch ohne Gewähr.
       
       14 Jan 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carola Ebeling
       
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