# taz.de -- Umstrittenes Lithium aus Serbien: Der Schatz vom Jadar-Tal
       
       > Lithium wird bislang vor allem außerhalb Europas gewonnen. Dabei gibt es
       > Vorkommen auch in Serbien. Doch der geplante Abbau stößt auf Widerstand.
       
 (IMG) Bild: Hier will der britisch-australische Konzern Rio Tinto Lithium abbauen: Jadar-Tal im Westen Serbiens
       
       Gornje Nedeljice taz | Dragan Karečić und Živko Petković sind besorgt. Sie
       stehen am Rand eines verwilderten Feldes, dahinter Hügel, ein paar Häuser
       und Bauernhöfe. An diesem unscheinbaren Ort nahe des Dorfes Gornje
       Nedeljice im Westen Serbiens soll eine der größten Lithiumminen Europas
       entstehen. Der [1][britisch-australische Konzern Rio Tinto] will an dieser
       Stelle jährlich 58.000 Tonnen des begehrten Metalls fördern – und trifft
       auf Widerstand.
       
       „Wir werden hier nicht weggehen“, sagt der Landwirt Petković. Er trägt
       einen Anstecker an der Brust: „Wir geben Jadar nicht auf“, steht darauf. Im
       Jadar-Tal leben vor allem Bauern, die Mais und Weizen anbauen oder
       Milchwirtschaft betreiben und damit sich selbst und die Umgebung ernähren.
       Wegen des tiefen Grundwassers sei die Gegend selbst bei Trockenheit
       ertragreich, sagen Bewohner:innen und Umweltschützer:innen. Sollte der
       Bergbau in ihr Dorf kommen, fürchten viele hier nicht nur, dass ihnen ihr
       Land weggenommen wird, sondern auch die Verpestung des fruchtbaren Bodens.
       
       Für Petković, Karečić und ihre Nachbar:innen geht es bei der Frage des
       Lithiumabbaus in Serbien um ihre Lebensgrundlage. Für die Europäische Union
       hingegen geht es im Jadar-Tal auch um die Verkehrswende und den
       Klimaschutz. Das Lithium, das hier lagert, brauchen europäische Hersteller
       nicht nur für Laptops und Handys, sondern auch für E-Autos und die
       Speicherung erneuerbarer Energien. Bislang wird der Bedarf vor allem durch
       [2][Lithium aus Südamerika], Australien oder China gedeckt, wo die größten
       Vorkommen liegen. Doch die EU will unabhängiger werden – und hofft dabei
       auf das Jadar-Tal, dessen Lithium laut Rio Tinto für eine Million
       Elektrofahrzeugbatterien pro Jahr reichen soll.
       
       Die EU-Kommission hat das Projekt deshalb von Anfang an unterstützt. Doch
       massive Umweltproteste, bei denen Zehntausende Menschen im ganzen Land
       Straßen und Autobahnen blockierten, zwangen die serbische Regierung Anfang
       vergangenen Jahres dazu, das Projekt auf Eis zu legen – zumindest vorerst.
       [3][Präsident Alexandar Vučić] verkündete, nach den Wahlen im April 2022
       solle die neue Regierung endgültig in der Angelegenheit entscheiden. Viele
       Kritiker:innen sahen in dem Schritt nur ein Wahlkampfmanöver. Kurz nach
       seiner Wiederwahl verkündete Vučić, der Stopp sei sein „größter Fehler“
       gewesen. Schließlich versprach er sich 1 Milliarde Euro an
       Wirtschaftsleistung für Serbien durch das Bergbauprojekt. Würden auch eine
       Batteriefabrik und eine Produktionsstätte für E-Autos im Land entstehen,
       könne man sogar mit bis zu 20 Milliarden rechnen.
       
       ## Der Ausverkauf hat begonnen
       
       Tatsächlich kommt wieder Bewegung in die Sache. Die neue Energieministerin
       Dubravka Đedović Negre gilt als Befürworterin des Bergbauprojekts und macht
       in den Medien bereits kräftig Werbung dafür. Im Jadar-Tal hat der
       Ausverkauf längst begonnen. Zwischen Bauernhöfen, Heuballen und Schafen auf
       den Straßen stehen immer wieder verlassene Häuser mit verwilderten Gärten.
       Absperrungen und rote Schilder davor zeigen, dass Rio Tinto die Gebäude und
       Grundstücke bereits gekauft hat – laut den Bewohner:innen zum
       Dreifachen des üblichen Preises. Vielen Häusern fehlt das Dach. Ein
       Anwohner berichtete Reporter:innen des Radiosenders Deutsche Welle,
       dass der Konzern Geld drauflegt, wenn die ehemaligen Besitzer:innen das
       Dach selbst abdecken. Er nennt das „psychologische Kriegsführung“ gegen
       diejenigen, die noch da sind.
       
       Auch Zlatko Kokanović sollte sein Grundstück verlassen. Im Oktober 2021 sei
       Rio Tinto auf den Landwirt zugekommen, der sich als Tierarzt auch um die
       Tiere der Nachbarschaft kümmert. Doch statt zu verkaufen, organisierte er
       lokale Proteste gegen den Lithiumabbau in seinem Dorf und fuhr sogar nach
       Belgrad, um mit Tausenden anderen dagegen zu protestieren, dass Serbien
       „eine Kolonie“ werde, ausgebeutet von internationalen Konzernen.
       
       Kokanović trägt an diesem Tag ebenfalls den Protestanstecker an der Brust,
       als er in seinem Wohnzimmersessel sitzt und von den Strapazen der letzten
       Monate berichtet. „Die Leute hier stehen unter Druck, ihre Grundstücke und
       Häuser zu verkaufen“, sagt Kokanović. Rio Tinto würde damit drohen, dass
       sie sonst der Staat enteigne – zu einem viel niedrigeren Preis. So hätten
       einige eingelenkt und dem Konzern schon 45 Häuser samt Grundstücken
       überlassen. Laut dem Umweltnetzwerk Mars sa Drine muss Rio Tinto insgesamt
       600 Hektar Land von 335 Landbesitzer:innen kaufen.
       
       Doch selbst wer sich entschließt zu bleiben, fürchtet mit dem Start des
       Bergbaus fatale Folgen für die Umwelt. Kokanović nennt die Mine eine
       „ökologische Bombe“. Eines seiner Bedenken: Durch den Einsatz von täglich
       1.000 Tonnen Schwefelsäure beim Abbau von Lithium aus Hartgestein entstehe
       giftiges Abwasser, das die beiden Flüsse Jadar und Korenita verpesten
       würde.
       
       ## Toxine könnten in Flüsse gelangen
       
       Darin sieht auch das Umweltnetzwerk Mars sa Drine, das sich an den
       landesweiten Demonstrationen beteiligt hatte, eine große Gefahr. Das
       Jadar-Tal sei Überschwemmungsgebiet. So würden Toxine über die Flüsse Jadar
       und Korenita in die Donau, Sava und Drina gelangen und damit nach Bosnien
       und Herzegowina und Rumänien. Wegen Extremwetter infolge des Klimawandels
       steige diese Gefahr. Auch die Grundwasserreserven der Region seien durch
       Arsen gefährdet. Das Netzwerk kritisiert den Konzern Rio Tinto wegen dessen
       lückenhaften Scoping-Berichts, der keine Informationen über die
       Aufbereitungsanlage und das Abfallmanagement enthalten habe.
       
       Die serbische Regierung habe den Raumplan trotzdem bewilligt. Wo die
       Mülldeponie entstehen soll, sieht man von der Dorfkirche aus. In der weiten
       Ebene, wo heute Felder liegen und durch die auch einer der Flüsse fließt,
       sollen einmal 1,3 Millionen Tonnen Müll pro Jahr gelagert werden –
       insgesamt 90 Millionen Tonnen, solange in der Mine gearbeitet wird. Darauf
       angesprochen, sagte Rio Tinto der taz: „Die Annullierung der
       Projektlizenzen hatte zur Folge, dass wir keine Gelegenheit hatten, die
       Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung für das Projekt zu
       veröffentlichen.“
       
       In Kokanović' Wohnzimmer haben sich mittags Nachbarn und Verwandte
       eingefunden. Sie diskutieren aufgeregt um den Fernseher stehend. Der Sender
       N1 berichtet, dass das slowakische Unternehmen InoBat Auto mit der
       serbischen Regierung eine Absichtserklärung für den Bau einer
       Batteriefabrik im Norden des Landes unterzeichnet hat. Ein Investor bei
       InoBat ist ausgerechnet Rio Tinto. Die Absichtserklärung zur „Finanzierung
       und Fertigstellung dieser Anlage“ habe man bereits im Mai 2021
       abgeschlossen, so Rio Tinto zur taz. Außerdem habe man vereinbart,
       gemeinsam an „einer Wertschöpfungskette für Elektroautobatterien in Europa
       zu arbeiten.“
       
       Vučić hatte bereits in der Vergangenheit den Bau von Fabriken für Batterien
       und zur Herstellung von E-Autos in Serbien angekündigt – neben dem Abbau
       von Lithium im Land. Außerdem soll der Staat laut slowakischer Agentur TASR
       419 Millionen Euro aus dem Haushalt beisteuern. „Unser Staat hilft nicht
       den Menschen, sondern arbeitet eng mit Rio Tinto zusammen“, sagt Kokanović.
       Nicht nur die Dorfbewohner:innen werten das als schlechte Nachricht.
       Expert:innen und die Opposition sehen in der Ankündigung einen weiteren
       Schritt in Richtung Lithiumabbau in Serbien.
       
       ## Bereit zum Kämpfen
       
       Dass es endlich weitergeht, darauf scheint Rio Tinto nur zu warten. Das
       Büro im Dorf hat das Unternehmen trotz des offiziellen Stopps nie
       geschlossen. Auch an diesem Nachmittag brennt Licht und Branko Đurđević ist
       im Einsatz. Der junge Mann hat keinen leichten Job. Seine Aufgabe sei es,
       sich mit der lokalen Gemeinschaft auszutauschen. Er ist derjenige, der die
       Dorfbewohner:innen überzeugen muss, ihre Grundstücke zu verkaufen.
       Đurđević stammt selbst aus der Gegend und lebt im Dorf. Auf die Frage, wie
       es sich hier für ihn mit all dem Gegenwind lebt, sagt er: „Die Ablehnung
       der Mine ist nicht so groß, wie man denken mag. Viele Leute im Dorf sind
       beeindruckt von all den Sicherheitsmaßnahmen und dem Schutz der Natur, die
       wir unternehmen.“ Er selbst will im Dorf bleiben, wenn die Lithiumgewinnung
       startet.
       
       Doch er muss sich auf weitere Gegenwehr einstellen. Die Banner mit der
       Aufschrift „Bergwerk nein, Leben ja“ haben die Dorfbewohner:innen nie
       abgehängt. Eine Volksinitiative mit 40.000 Stimmen, die ein Verbot des
       Lithiumabbaus in Serbien fordert, wurde dem Parlament im Sommer
       übermittelt. Kommt das Anliegen nicht bald auf dessen Tagesordnung, wollen
       die Bewohner:innen wieder auf die Straßen gehen. Auch
       Umweltorganisationen und die Abgeordnete Ivana Parlić von der
       Oppositionspartei Narodna Stranka haben neue Proteste angekündigt. „Wir
       machen uns bereit zu kämpfen“, sagt Kokanović mit entschlossener Miene.
       „Rio Tinto wird hier niemals aktiv werden.“
       
       3 Jan 2023
       
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