# taz.de -- Bodo Ramelow in Chile: Reise in ein zerrissenes Land
       
       > Thüringens Ministerpräsident Ramelow besucht Chile, begleitet von einer
       > großen Wirtschaftsdelegation. Die interessiert vor allem eines: Lithium.
       
 (IMG) Bild: Bundesratspräsident Bodo Ramelow in Santiago De Chile
       
       Santiago des Chile taz | „In Chile wird an der Zukunft der Welt
       gearbeitet“, so schwärmt Bodo Ramelow während seines Besuchs in Santiago de
       Chile. Es ist seine letzte Auslandsreise als Bundesratspräsident. Und: „Die
       Frage der Energiepolitik wird hier entschieden.“ Der Ministerpräsident von
       Thüringen ist mit einer knapp 30-köpfigen Wirtschaftsdelegation nach Chile
       gekommen. Das hat vor allem einen Grund: In der chilenischen Atacama-Wüste
       befinden sich die weltweit größten bekannten Lithium-Reserven.
       
       Teil der Delegation ist Alexa Hergenröther, Geschäftsführerin des
       Unternehmens LiVERDE AG aus Sondershausen. Sie unterschreibt in Santiago
       einen Kooperationsvertrag mit dem chilenischen Unternehmen RJR für die
       Gewinnung von Lithium im Salar de Maricunga, einem Salzsee in der Atacama
       Region im Norden des Landes. „Grünes Lithium für Europa aus chilenischen
       Ressourcen“ heißt das Gemeinschaftsprojekt. Es soll nach Fertigstellung
       50.000 Tonnen Lithiumhydroxid im Jahr produzieren, ausreichend für 1,5
       Millionen Elektrofahrzeuge pro Jahr, sagt Hergenröther stolz.
       
       Aber die Lithiumgewinnung in Chile ist nicht frei von Kritik. Denn für die
       [1][Gewinnung wird lithiumhaltige Sole aus der Wüstenerde] an die
       Oberfläche gepumpt, das Wasser verdampft unter der heißen Sonne und zurück
       bleibt Lithiumkarbonat, das anschließend weiterverarbeitet werden kann.
       Dieser Prozess kann die empfindlichen Ökosysteme in der trockensten Wüste
       der Welt aus dem Gleichgewicht bringen, in der Flamingos, Guanacos und
       Eidechsen leben.
       
       „Die Lithiumextraktion ist die falsche Lösung für die Klimakrise“, sagt
       Francisca Fernández von der Bewegung für das Wasser und die Territorien
       MAT. „Sie vertieft eine kolonialistische Beziehung, die Ausbeutung der
       Natur und Vertreibung von Indigenen mit sich bringt“, sagt die
       Anthropologin. Die europäischen Länder würden so die sozialen und
       ökologischen Kosten ihrer Lebensweise auf den Globalen Süden verlagern.
       Fernández wird sich am Samstag mit Ramelow treffen.
       
       ## Ähnliche Fragen in Thüringen und in Chile
       
       Der Thüringer Regierungschef ist auf die Kritik gefasst. „Wir brauchen ein
       System, das die Natur nicht als Wegwerfmodell behandelt. Dieselben Fragen
       stellen wir uns in Thüringen auch.“ Er spricht vom Kali-Bergbau in
       Thüringen und den Altlasten, die ökologische Schäden verursachen. Das dürfe
       in Chile nicht passieren. „Es darf hier nicht einfach nur weggebuddelt
       werden und einfache Arbeit entstehen, sondern es muss eine Wertschöpfung
       entstehen. Das heißt, es geht nicht nur um den Rohstoff Lithium, sondern es
       geht auch um Batterientechnologie“, sagt Ramelow.
       
       Zur Zeit exportiert Chile aber den Rohstoff und nicht die Batterien. Und
       das wird sich in absehbarer Zeit wohl nicht ändern, da internationale
       Freihandelsabkommen das Land in der Rolle des Rohstoffexporteurs verankern.
       Am Dienstag, als Ramelow bereits in Chile war, befürwortete der chilenische
       Senat nach einer jahrelangen Debatte die Transpazifische Partnerschaft
       TPP11, ein Freihandelsabkommen mit Ländern wie Australien, Japan und
       Singapur.
       
       Soziale Bewegungen hatten gegen das Abkommen protestiert, weil es
       Umweltstandards aufweiche und die Demokratie durch private Schiedsgerichte
       gefährde. Der linke Präsident Gabriel Boric hatte sich zu seiner Zeit als
       Parlamentsabgeordneter noch gegen die Verabschiedung ausgesprochen, als
       Präsident hätte er die Abstimmung im Senat verhindern können.
       
       „Der Präsident hat die sozialen Bewegungen ignoriert“, sagt Lucía Sepúlveda
       von der freihandelskritischen Organisation Chile Mejor Sin TLC. „Diese
       Abstimmung hat einen Bruch verursacht, mit den sozialen Bewegungen und
       innerhalb seiner eigenen Koalition.“ Auch mit der EU hat Chile ein neues
       Freihandelsabkommen ausgehandelt. Die Verhandlungen fanden während der
       rechten Regierung von Sebastián Piñera statt, während Polizisten bei
       Protesten auf den Straßen auf Protestierende schossen. Das Abkommen muss
       jetzt noch vom Parlament verabschiedet und von Boric unterzeichnet werden.
       Die EU-Länder wollen sich so den Zugang zu chilenischen Rohstoffen wie
       Lithium und Kupfer sichern. „Diese Freihandelsabkommen vertiefen das
       Exportmodell, das in Chile die Umwelt zerstört“, so Sepúlveda.
       
       ## Ramelow unterstützt kritische Stimmen in Chile
       
       Bodo Ramelow teilt die Kritik in Chile. Er sei für internationale
       Handelsabkommen, aber die privaten Schiedsgerichte, vor denen Investoren
       Staaten verklagen können, würden ihm Bauchschmerzen bereiten. „Private
       Schiedsgerichtsverfahren, die sich außerhalb jeder rechtsstaatlichen Norm
       befinden, die Länder nur noch zu Statisten von ökonomischen Interessen
       machen – das halte ich für einen inakzeptablen Rahmen“, sagt er.
       
       Er habe sich für Chile als Ziel seiner Auslandsreise entschieden „wegen des
       jungen Präsidenten, der sich aufmacht, um dieses Land wieder zu versöhnen
       und über den Prozess der neuen Verfassung neue Impulse geben will“. Am
       [2][4. September hatte in Chile eine Mehrheit den Entwurf für eine neue
       Verfassung abgelehnt], die soziale Rechte und Umweltschutz garantiert
       hätte. Den verfassungsgebenden Prozess hatte die soziale Revolte 2019
       angestoßen. Auch wenn der erste Anlauf gescheitert sei, sei gerade das eine
       Chance zur demokratischen Verstärkung, so Ramelow. „Das hat mich neugierig
       gemacht“, sagt er.
       
       Präsident Boric kündigte zwar an, dass es trotzdem [3][eine neue
       Verfassung] geben werde, aber sicher ist das nicht. Rechte Abgeordnete
       drohen ihm, den Prozess zu blockieren, wenn er die Unterzeichnung des
       Freihandelsabkommen TPP11 noch länger hinauszögert. Der politische
       Handlungsspielraum des jüngsten Präsidenten Chiles ist begrenzt: Seine
       Koalition hat keine Mehrheit im Parlament und er verliert an Rückhalt in
       der Bevölkerung.
       
       Thüringens Ministerpräsident will sich auf seiner Reise außerdem mit den
       Folgen der Menschenrechtsverletzungen der Pinochet-Diktatur beschäftigen.
       Und er will sich einem besonders dunklen Kapitel der deutschen Geschichte
       in Chile stellen: der [4][deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad.]
       
       14 Oct 2022
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sophia Boddenberg
       
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