# taz.de -- Klage gegen Wikileaks: Assange und die Heuchelei der USA
       
       > Internationale Medien fordern ein Ende des Verfahrens gegen
       > Wikileaks-Gründer Julian Assange. Präsident und Justizminister der USA
       > schweigen dazu.
       
 (IMG) Bild: Assange-Pappschilder bei einer Demonstration gegen seine Auslieferung in die USA am 8. Oktober
       
       Der US-Justizminister Merrick Garland kennt sich aus mit Ungerechtigkeit
       und mit politischer Heuchelei. Er hat beides am eigenen Leib erfahren.
       Garland war der Mann, der vom damaligen Präsidenten Barack Obama im März
       2016 für den US Supreme Court nominiert wurde und den die
       Republikaner*innen im Senat blockierten. Ihr Argument: so kurz – acht
       Monate – vor einer Wahl sei es falsch, so einen bedeutsamen Posten zu
       besetzen. Ungerecht und heuchlerisch war das, weil vier Jahre später Donald
       Trump nur fünf Wochen vor der Präsidentschaftswahl 2020 im Eilverfahren
       [1][die erzkonservative Amy Coney Barrett] nominierte – und die
       republikanische Partei keine Einwände hatte.
       
       Verlogenheit sollte also eigentlich etwas sein, das Merrick Garland
       grundsätzlich gegen den Strich geht. Aber im Fall des in Großbritannien
       noch immer in Haft sitzenden und gegen seine Auslieferung in die USA
       kämpfenden [2][Wikileaks-Gründers Julian Assange] ist Garland kein bisschen
       besser. Mit einem Federstrich könnten er und Präsident Joe Biden die
       Verfahren beenden, Assange wäre frei – nach sieben Jahren in der
       ecuadorianischen Botschaft in London und über drei Jahren im britischen
       Gefängnis. Sie tun es nicht.
       
       ## Zugespielt von Manning
       
       In dieser Woche haben die fünf internationalen Medienhäuser New York Times,
       Guardian, Le Monde, El País und Spiegel einen dringenden Appell an die
       US-Regierung veröffentlicht, das Verfahren gegen Assange einzustellen und
       den Auslieferungsantrag zurückzuziehen. Es waren jene fünf Medien, die 2010
       eine Reihe von Enthüllungsgeschichten über US-Kriegsverbrechen in Irak und
       Afghanistan veröffentlicht hatten, basierend auf Geheimdokumenten von
       Wikileaks, zugespielt von Whistleblowerin [3][Chelsea Manning].
       
       Auf den Appell gab es weder von Garland noch von Biden auch nur eine
       Antwort.
       
       Merrick Garland will derweil als Beschützer der Pressefreiheit auftreten.
       Dieses Jahr entwickelte er [4][neue Richtlinien zum Umgang seiner
       Strafverfolgungsbehörden mit Medienvertreter*innen]. Sie sollen den
       Schutz von Journalist*innen und ihrer Quellen vor staatlicher
       Verfolgung garantieren. Explizit soll die Informationsbeschaffung von
       Journalist*innen geschützt sein, und das umfasst laut Wortlaut auch
       „den Empfang, Besitz oder die Veröffentlichung von Regierungsinformationen,
       inklusive als geheim eingestufter Informationen, ebenso wie den Aufbau von
       Mechanismen, um an solche Informationen zu kommen, einschließlich durch
       anonyme oder vertrauliche Quellen.“
       
       ## Absurder Spionage-Vorwurf
       
       Das ist erfreulich eindeutig. Und es schließt ganz klar ein, was Julian
       Assange und Wikileaks 2010 gemacht haben, als sie von Chelsea Manning die
       geheimen Dokumente zugespielt bekamen. Manning selbst hat sowohl in ihrem
       gerade erschienenen Buch als auch in verschiedenen Interviews dazu noch
       einmal darauf hingewiesen, dass sie nicht von Assange oder anderen
       Wikileaks-Mitarbeiter*innen zum Datendiebstahl angeleitet wurde, sondern
       von sich aus handelte. Sie habe sogar zunächst versucht, das Material
       direkt eines der großen US-Medien zu übergeben. Der ohnehin absurde Vorwurf
       der „Spionage“ – nach diesem Straftatbestand aus dem Jahr 2017 wollen die
       USA Assange anklagen – entbehrt also jeder Grundlage.
       
       Die Veröffentlichung der Manning-Dokumente fiel in die Zeit der
       Obama-Regierung, und zu Recht erwog diese damals, wenn sie Assange
       strafrechtlich verfolge, müsse sie logisch auch gegen jene Medien vorgehen,
       die das Material veröffentlichten. Ein No-Go.
       
       Das hinderte die US-Behörden allerdings nicht daran, weiter
       Belastungsmaterial gegen Assange zu sammeln und ihn sogar in der
       ecuadorianischen Botschaft in London zu bespitzeln. Erst als Assange 2019
       sein dortiges Asyl verlor, von der britischen Polizei festgenommen und
       wegen des minderen Vergehens eines Verstoßes gegen die Kautionsbestimmungen
       inhaftiert wurde, holte die Trump-Regierung groß aus – und es hagelte einen
       Anklagepunkt nach dem nächsten.
       
       Dabei hätte Trump politisch allen Grund gehabt, Wikileaks dankbar zu sein:
       Die Veröffentlichung der von Russland gehackten E-Mails aus der
       Parteizentrale der Demokraten hatte seiner Konkurrentin Hillary Clinton im
       Wahlkampf 2016 deutlich geschadet. Doch einerseits wollte Trump diesen
       Hinweis auf Wahlkampfhilfe seitens Russlands nicht auch noch
       unterstreichen, andererseits hatte er selbst eine tüchtige Wut auf jene,
       die ständig vertrauliche Informationen aus dem Weißen Haus durchstachen.
       Alles entlud sich in immer schärferen Anklagen gegen Assange.
       
       Warum die neue Regierung all das nicht zurückgenommen hat, bleibt das
       Geheimnis Joe Bidens und Merrick Garlands. Der US-Kongress diskutiert seit
       2021 den [5][International Press Freedom Act], der bedrohten
       Journalist*innen weltweit Unterstützung und Schutz in den USA gewähren
       soll, der gesamte Westen erregt sich über die Unterdrückung von Meinungs-
       und Pressefreiheit in Russland – und Assange sitzt weiter in London im
       Gefängnis.
       
       Will Bidens Regierung in diesen Fragen wieder glaubwürdig werden, muss sie
       endlich handeln und die Anklage gegen Assange fallen lassen. Noch besser:
       endlich jene vor Gericht stellen, deren Kriegsverbrechen in den von
       Wikileaks veröffentlichten Dokumenten bekannt wurden. Wer von der ganzen
       Welt – zu recht! – Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine
       einfordert, um demokratische Werte zu verteidigen, sollte seinen eigenen
       Laden auch in Ordnung bringen.
       
       2 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Frauenrechte-in-den-USA/!5721106
 (DIR) [2] /Julian-Assange/!t5008572
 (DIR) [3] /Whistleblowerin-Chelsea-Manning/!5895065
 (DIR) [4] https://www.justice.gov/ag/page/file/1547046/download
 (DIR) [5] https://www.congress.gov/bill/117th-congress/senate-bill/1495?s=1&r=90
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Pickert
       
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