# taz.de -- Nazi-Kriegsverbrechen: Kein Prozess gegen Wachmann
       
       > Das Landgericht Berlin lehnt ein Verfahren gegen einen früheren Soldaten
       > ab, der in der Ukraine am Mord an Rotarmisten beteiligt gewesen sein
       > soll.
       
 (IMG) Bild: Die Justiz hat entschieden
       
       Berlin taz | Der erste Versuch, in der Bundesrepublik einen ehemaligen
       Wachmann eines NS-Gefangenlagers wegen Beihilfe zum Mord zur Verantwortung
       zu ziehen, ist gescheitert. Die 9. Strafkammer des Landgerichts Berlin hat
       die Zulassung der Anklage gegen den 99-Jährigen Beschuldigten abgelehnt,
       wie das Gericht am Freitag mitteilte. Damit wird es aller Voraussicht nach
       zur Einstellung des Verfahrens kommen.
       
       Zur Begründung erklärte die Kammer, der Mann sei dauerhaft
       verhandlungsunfähig. Ein Sachverständiger sei zu dem Ergebnis gekommen,
       dass eine Besserung nicht zu erwarten sei. Diesen Ausführungen sei das
       Gericht gefolgt. Für den Fall war eine Jugendkammer zuständig, weil der
       Beschuldigte zum Tatzeitpunkt noch unter 21 Jahre alt war.
       
       Die Staatsanwaltschaft hatte dem Mann vorgeworfen, vom November 1942 bis
       zum März 1943 als Wachmann im Kriegsgefangenenlager „Stalag 365“ im
       westukrainischen Wladimir-Wolynsk Dienst geleistet zu haben. Laut der
       Anklageschrift vom Mai dieses Jahres habe er in mindestens 809 Fällen
       Beihilfe zum grausamen Mord geleistet.
       
       Der Beschuldigte sei als Angehöriger eines Landesschützenbataillons der
       Wehrmacht unter anderem für die Bewachung der dort untergebrachten
       Kriegsgefangenen zuständig gewesen. Daneben sei er als einfacher Soldat in
       der Innenverwaltung des Lagers tätig gewesen. Er habe einen dezidierten
       Einblick in das Lagergeschehen gehabt. Zudem sei ihm bewusst gewesen, dass
       er durch seine Tätigkeiten die angeordnete Massenvernichtung unterstützt
       habe, lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.
       
       In dem Wehrmachtslager wurden sowjetische Soldaten unter unmenschlichen
       Bedingungen festgehalten. Viele von ihnen verhungerten oder starben an
       Krankheiten. Grausamen Zustände in den Lager für sowjetische
       Kriegsgefangene waren die Regel. In den verschiedenen Stalags starben nach
       Recherchen von Historikern bis zu 3,3 Millionen der insgesamt 5,7 Millionen
       sowjetischen Gefangenen. Eine medizinische Betreuung gab es dort nicht, die
       Lebensmittelversorgung war vollkommen unzureichend und viele der Gefangenen
       mussten bei zum Teil eisigen Temperaturen unter freiem Himmel übernachten.
       
       Diese Lagerbedingungen waren der Wehrmachtspitze und den NS-Machthabern
       bekannt. Der Mord war also wohlkalkuliert. Die Rotarmisten galten
       entsprechend der rassistischen Kategorien der Nazis als „Untermenschen“.
       
       Das Verfahren ist Ergebnis neuerer Recherchen der [1][Zentralen Stelle zur
       Aufklärung von NS-Verbrechen] im baden-württembergischen Ludwigsburg.
       Anfang des Jahres hatte sie ihre Ermittlungen auf die Wachsoldaten in den
       Stalags ausgedehnt. Ausgangspunkt dafür war die Überlegung, dass die
       Bedingungen in Konzentrationslagern und manchen Gefangenenlagern
       vergleichbar seien und daher eine entsprechende Rechtsprechung übertragbar
       wäre. Es ist nicht bekannt, dass in der Geschichte der Bundesrepublik
       jemals einer der eingesetzten Wachmänner juristisch zur Verantwortung
       gezogen worden ist.
       
       ## Die meisten Verdächtigen sind wohl tot
       
       Die Ermittlungen in Ludwigsburg werden derzeit in anderen, ähnlich
       gelagerten Fällen fortgesetzt, sagte Behördenleiter Thomas Will der taz.
       Allerdings dürfte der allergrößte Teil der damals beteiligten
       Wehrmachtsoldaten längst verstorben sein. Zu den Bewachern zählten häufig
       ältere, nicht mehr fronttaugliche Männer.
       
       4 Nov 2022
       
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