# taz.de -- Der Vizekanzler und die Union: Warum gehen alle auf Habeck los?
       
       > Manche Besitzstandswahrer der alten Bundesrepublik sehen im Vizekanzler
       > eine Gefahr – und greifen an. Habeck braucht Rückendeckung aus seiner
       > Partei.
       
 (IMG) Bild: Wirtschaftsminister Habeck bei einer Kabinettssitzung im Kanzleramt
       
       Das alte und nicht mehr funktionierende Politik-Knowhow des 20.
       Jahrhunderts hat uns in die Scheiße geritten. Und nun sagen die beiden
       ehemaligen Volksparteien und verständlicherweise [1][besonders laut die
       Union]: Wir brauchen dieses alte Knowhow, um aus der Scheiße zu kommen, in
       die die Grünen und speziell der Vizekanzler uns reinreitet.
       
       Jetzt könnte man einfach sagen: Hä? Wie soll uns die alte Politik von den
       Problemen befreien, die sie selbst hervorgerufen hat? Aber so einfach ist
       es nicht. Die Pandemie läuft weiter, in Europa ist Krieg, das fossile
       Wirtschaftsmodell erodiert, da bekommen die Leute Angst. Und nicht nur „die
       Leute“. Wir auch. Wer Angst hat oder einfach vor lauter Komplexität nicht
       mehr erkennen kann, wie die Lage liberaldemokratisch, institutionell also,
       in kleinen Schritten verbessert werden könnte, der wird empfänglich für
       jede Form von Populismus, statt die eigene Verstrickung anzuerkennen.
       
       Jetzt wird die Bundesrepublik längst nicht so populistisch und
       antidemokratisch angegriffen wie die USA, Großbritannien, Frankreich oder
       [2][Italien]. Und wir können wirklich dankbar sein, dass die AfD bisher von
       Pflaumen geführt wird, die ihr Drecksgeschäft fachlich nicht oder
       ungenügend drauf haben.
       
       Aber wenn man sich etwa den kleinen Youtube-Kanal des ehemaligen
       Bild-Chefredakteurs [3][Julian Reichelt] anschaut, der die „Stimme der
       Mehrheit“ sein will, dann erkennt man hinter dem Dilettantismus das
       destruktive Potenzial.
       
       ## Populistisch geprägte Verhärtung des öffentlichen Gesprächs
       
       Nun sollte man sich hüten, die „Springer-Presse“ wieder zum Feindbild
       Nummer 1 zu adeln. Das wäre eine alte und unzureichende Antwort auf eine
       neue und viel komplexere mediengesellschaftliche Entwicklung. Aber meine
       These ist, dass wir eine populistisch geprägte Verhärtung des öffentlichen
       Gesprächs erleben werden, die im Kern um die Grünen und um ihren Chef im
       Wirtschafts- und Klimaministerium ausgetragen wird.
       
       Das ist erst mal positiv, denn das öffentliche Gespräch findet am
       entscheidenden Ort für die postfossile Zukunft statt, die nun mal prioritär
       eine gelingende Transformation der Wirtschaft ist. Es ist auch
       folgerichtig, weil seinen Gegnern und Feinden klargeworden ist, dass Robert
       Habeck die entscheidende Figur ist, wenn sie diese Transformation der
       Bundesrepublik bremsen, verhindern oder gar selbst übernehmen wollen.
       
       Wenn man die Chefs der abgewählten CDU/CSU richtig interpretiert, dann
       wollen Friedrich Merz und Markus Söder, Stand jetzt, mit Unterstützung von
       liberalkonservativen Medien das Vertrauen eines wachsenden Teils der
       Mehrheitsgesellschaft in die Grünen mit einem populistisch angehauchten
       Anti-Habeck-Kurs so radikal schrumpfen, dass sie am Ende wieder mit der SPD
       als Junior ihren alten Stiefel weitermachen können. Das Gefühl, das sie
       dafür erzeugen wollen: Wir sind immer noch weniger schlimm als die Grünen!
       
       Robert Habeck ist in diesem Moment der gefährlichste Mann für manche
       Besitzstandswahrer der alten Bundesrepublik. Je mehr er hinkriegt, desto
       kleiner werden sie. Dass sie da nicht wohlwollend zusehen werden, ist klar.
       Insofern wäre es für den Vizekanzler sicher hilfreich, wenn zumindest seine
       eigene Partei nicht, wie jüngst in der Atomfrage, das Loch auch noch selbst
       aushebt, in das die anderen ihn versenken wollen.
       
       6 Nov 2022
       
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