# taz.de -- Krisen und wie wir damit umgehen: Was lernen wir aus dem Kriegsjahr?
       
       > Wir brauchen eine gute Geschichte unserer Zukunft – und wir müssen uns
       > entscheiden, wofür wir uns engagieren wollen. Und nicht, wogegen wir
       > kämpfen.
       
 (IMG) Bild: Gute Geschichte: Die Skulpturen „Bulle & Bär“ auf der Halde Hoheward erzählen davon, dass das Ruhrgebiet grünste Industrieregion der Welt werden will
       
       Nichts auf der Welt ist mächtiger als eine gute Geschichte. Unser
       bundesrepublikanisches Problem ist: Wir sind eine gute Geschichte gewesen,
       haben aber keine gute Geschichte unserer Zukunft mehr zu erzählen. Keine
       gemeinsame, keine mehrheitsfähige, während die alte vor unseren Augen
       zerbröselt.
       
       Was speziell wir Möchtegern-Weltretter gut draufhaben, sind schlechte
       Geschichten.
       
       Schlecht, weil sie ein schlimmes Ende selbsterfüllend prophezeien – also:
       Klimakatastrophe, Abstieg des Westens, Nazis reloaded, insgesamter sozialer
       Abstieg. Und schlecht, weil sie nicht funktionieren im Sinne einer guten
       Geschichte – also: „Weniger“ haben kann ganz toll sein, Leute, oder ist
       halt jetzt Bürgerpflicht. So läuft das nicht. Verzicht ist
       verständlicherweise eine Zumutung für eine liberaldemokratische
       Fortschrittsgesellschaft, die gerade erst begreift, dass ihre sozialen und
       emanzipatorischen Errungenschaften auf zukunftszerstörendem Verbrennen von
       fossilen Energien und freiheitsgefährdenden Abhängigkeiten von russischem
       Gas und [1][chinesischem Markt] beruhen.
       
       Am Ende dieses schlechten Jahres merkt man, dass viele durchhängen und
       manche hoffen, sie könnten jetzt wieder richtig schön GEGEN etwas KÄMPFEN.
       Aber das ist das falsche Paradigma. Man kann nicht gegen den Klimawandel
       kämpfen. Zukunft werden wir nur gewinnen, wenn wir uns FÜR etwas
       entscheiden und uns dafür engagieren – und den Begriff des Kämpfens
       ersetzen durch komplexe, aber produktive Prozesse der Veränderung. Kämpfen
       können muss man allerdings in einem konkreten Fall: Wenn eine feindliche
       Armee einen angreift.
       
       Klima und Krieg sind für Daniel Cohn-Bendit die miteinander verwobenen
       Begriffe des Jahres 2022, das uns gezwungen hat, Dilemmata-Entscheidungen
       zu akzeptieren, die zu einem erwünschten und gleichzeitig unerwünschten
       Ergebnis führen. Konkret meint das die aus dem russischen Angriffskrieg
       folgende Wirtschafts- und Energiepolitik von Vizekanzler Robert Habeck, die
       die Versorgungssicherheit für Unternehmen und Leute gewährleistet, aber
       klimapolitisch eben auch Nachteile hat. Geopolitisch notwendige Handlungen
       wie die Unabhängigkeit von Russland verengen erst mal sozialen und
       ökologischen Fortschritt.
       
       Das betrifft auch die Renovierung der Bundeswehr, die viel Geld kostet, von
       dem man dachte, man könne es besser einsetzen, und das nun anderswo fehlen
       wird. „Wir sind im ersten Jahr des Lernens, in solchen Dilemmata zu denken
       und politisch zu agieren“, sagt [2][Cohn-Bendit], der selbst einen weiten
       Weg gegangen ist von den 68er-Barrikaden über das Werben für den
       militärischen Nato-Einsatz im Jugoslawienkrieg bis heute.
       
       Aus dem adornitischen Kritiker-Off der Haltungsmilieus müsste es spätestens
       jetzt routiniert schallen, dass das alles „doch gar nicht geht“. Ja, es
       gibt wirklich schlimme Dinge, die nicht gehen und verhindert werden müssen,
       aber der kulturell-geistige Wechsel 2023 besteht in der Hinwendung zur
       Leitfrage: Was geht? Mit wem geht es, wie geht es, was kann ich dafür TUN?
       
       Es ist eben nicht nur scheiße, dass die fossilen Speicher voll sind, es ist
       auch eine starke Leistung, weil es eben nicht mehr „normal“ ist, dass die
       Heizung mit russischem Gas läuft, während wir kuschlig erregt über
       Sprachvergehen in Facebook-Replies streiten.
       
       Das bringt mich zu einer weiteren unangenehmen Notwendigkeit: Wir müssen
       als diverse und vielfältige Mehrheitsgesellschaft – ohne andere
       auszubauende Bereiche zu denunzieren – in neuen Prioritäten denken und
       handeln. Das heißt: Wärmepumpe ist drängender als Gendersprache.
       
       4 Dec 2022
       
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