# taz.de -- Neues Album von Rockband Die Nerven: „Für Spotify zu unangenehm“
       
       > Das Lärmrocktrio Die Nerven über Tourneen seit Corona, die Magie von
       > kollektiven Konzerterfahrungen und seinen eigenen ökologischen
       > Fußabdruck.
       
 (IMG) Bild: Wirkmächtige Krawallschwaben: Die Nerven vlnr Max Rieger, Kevin Kuhn, Julian Knoth
       
       taz: Die Nerven haben in den vergangenen Monaten bereits auf Festivals
       gespielt und vor Ihnen als Band steht nun eine lange Tour. Bekommen Sie
       unterwegs eigentlich etwas mit von den Sorgen der Menschen, die hinter der
       Bühne arbeiten? 
       
       Max Rieger: Wir haben ja unsere eigene Front-of-House-Roadcrew dabei. Die
       haben eine Gehaltserhöhung bekommen, können sich alle momentan vor Jobs
       kaum retten. Die sind eher [1][kurz vorm Burnout], weil sie so viel
       arbeiten.
       
       Julian Knoth: Viele haben während der Pandemie etwas anderes angefangen,
       weil eine Zeit ging ja gar nichts. Der Stress auf Tour, täglich etwas
       rechtzeitig aufzubauen und hinzubekommen, das sind harte
       Arbeitsbedingungen.
       
       Kevin Kuhn: Ich kriege mit, dass Bands, die in einem ähnlichen Orbit sind
       wie wir, der Boden unter den Füßen wegbricht. Die Läden, in denen sie
       gespielt haben, waren früher ausverkauft, aber sind es seit der Pandemie
       nicht mehr. Es schlägt extrem in beide Richtungen aus. Unsere Tickets
       bleiben jedenfalls erschwinglich.
       
       Machen Sie sich Gedanken über die Klimabilanz Ihrer Tour? 
       
       Julian Knoth: Von der Organisation her wollen wir nicht, dass es noch
       größer wird. Dass wir weiterhin in einem Kleinbus unterwegs sind, ist gut.
       In den [2][zehn Jahren seit unserem Start] hat sich nicht viel verändert.
       Wir sind zu fünft oder sechst unterwegs und spielen immer noch auf dem
       gleichen Equipment. Wenn man sieht, wie groß die Produktionen von anderen
       Künstler:Innen sind, mit wie vielen Leuten die unterwegs sind, schaudert
       es mir. Im Prinzip werden anderswo mehr Emissionen produziert von großen
       Unternehmen, da ist unser Kleinbus im Endeffekt egal.
       
       Kevin Kuhn: Die Routenführung ist okay. Wir fahren keine unnötigen
       Kilometer. Der Exzess hält sich wirklich in Grenzen. [3][Wir sind ja
       schließlich Schwaben!]
       
       Viele Musiker:Innen konnten sich während der Coronapandemie mit
       Stipendien und Fördergeldern über Wasser halten. Bedeutet touren jetzt
       wieder geregeltes Einkommen? 
       
       Max Rieger: Das steht in den Sternen. Aber das ist erst mal egal. Wir haben
       das nie wegen der Kohle gemacht und machen das in Zukunft auch nicht
       deswegen. Von dem Gedanken muss man sich lösen.
       
       Kevin Kuhn: Auf Tour hat man meistens genug Geld für den Tank und man wird
       täglich bekocht. Am Ende hat man ein paar hundert Kröten, zahlt die Miete
       davon und geht zwei Monate später wieder auf Tour. So war es für mich die
       letzten zehn Jahre.
       
       Nicht nur die Arbeits- und Auftrittsbedingungen haben sich während der
       Pandemie verändert, auch die Art, wie man Musik wahrnimmt, ob digital oder
       im Konzert. Oder? 
       
       Max Rieger: Ich will Musik von Künstler:Innen nicht mehr sehen, wenn ich
       den Eindruck habe, die haben geflissentlich an allem vorbei gearbeitet, was
       in der Welt gerade passiert. Und haben in den letzten Jahren nur Partymusik
       vorbereitet oder irgendwelche anderen, oberflächlichen Sachen, um sich
       abzulenken. Das ist ja leider auch Zeitgeist. Man muss sich nur die ganzen
       Spotify-Playlists reinziehen. Wir kommen da ja auch nicht rein, weil wir
       als Band Die Nerven vielen Leuten offenbar zu unangenehm sind.
       
       Sie haben doch viele Fans? 
       
       Max Rieger: Für uns ist es das Richtige, jetzt auf Tour zu gehen. Wir
       brauchen unser Publikum nicht gut gelaunt, die Leute sollen nur für den
       Moment in unsere Musik vertieft sein. Dann wird es eine kollektive
       Erfahrung, die größer ist als die ganzen weltlichen Dinge.
       
       Julian Knoth: Es ging bei uns schon immer darum, so eine – das soll jetzt
       nicht esoterisch klingen – negative Energie und Frustration in etwas
       Positives umzuwandeln. Auch früher schon war es auf den Konzerten im besten
       Fall so, dass Band und Publikum in einem Raum einen gemeinsamen,
       erbaulichen Moment hatten, aus dem man mit mehr Kraft rausgeht, als man
       reingegangen ist.
       
       Ihr neues Album hat eine andere Sound-Ästhetik als die vorherigen. In zwei
       Songs sind zum Beispiel Streicher dabei. Wie kam es dazu? 
       
       Max Rieger: Ich habe über Jahre hinweg den Kommentar gehört: Wir seien ja
       eine gute Liveband aber zu Hause würde man sich das niemals anhören. Die
       Situation, in der man sich alleine Musik anhört, ist komplett anders, als
       wenn tatsächlich Menschen auf der Bühne stehen, mit der visuellen
       Komponente, und in einer hohen Lautstärke live spielen. Deshalb war der
       Fokus bei den neuen Songs nicht, dass sie authentisch klingen müssen.
       
       Warum nicht? 
       
       Max Rieger: Es geht uns nie um eine Reproduktion von Bühnensound. Eine
       Studioaufnahme ist immer Illusion. Und in diesem Fall ging der Faktor des
       Liveklangs weg dafür, dass wir ein voller klingendes Werk haben. Friedrich
       Paravicini hat dafür alle Streicherparts komponiert, arrangiert und dann
       jedes einzelne Instrument aufgenommen und daraus dann so eine Art Quartett
       gebastelt. Die Streicher sind Untermalung für die Studioaufnahme. Um der
       Idee näher zu kommen von dem, was der Song eigentlich ist.
       
       Julian Knoth: Wir haben erst spät kapiert, dass wir dann am besten sind,
       wenn wir alle unsere Freiheiten haben und wenn alles, was uns interessiert
       und was wir abseits von Die Nerven künstlerisch machen, auch mit einfließen
       kann. Dass es da keine Grenzen gibt. Dieses Mal hatten wir schon
       Instrumentals und Textfragmente, dann haben wir gemeinsam instrumentale
       Versionen aufgenommen in einer Demoversion. Erst danach habe ich zu Hause
       an Songtexten und Gesang gearbeitet, das aufgefüllt und weiter an
       Arrangements gefeilt. Durch die räumliche Trennung Leipzig/Stuttgart/Berlin
       war das auch sinnvoll. Mit meinen Projekten fülle ich die Lücken, die es ja
       auch noch zur Genüge gibt. Es ist eine Illusion, dass wir die ganze Zeit
       gemeinsam Musik machen.
       
       Die Songtexte sind vor der Pandemie entstanden, sie sind 2020 aufgenommen,
       erst jetzt beginnt die Tour. Spüren Sie keinen Druck, regelmäßig öffentlich
       zu sein? 
       
       Max Rieger: Ich bilde mir ein, dass ich auch in so schnelllebigen Zeit
       immer noch sehen kann, wer sich mit etwas auseinander gesetzt und gute
       Arbeit gemacht hat. Ich sehe aber auch, dass extrem viel Müll entsteht,
       einfach nur, um auf dem Radar zu bleiben. Wir haben uns bewusst
       entschieden, da nicht mitzuspielen. Zwei Jahre haben wir gar nichts
       gepostet. In einem schwachen Moment fühlt sich das vielleicht komisch an.
       Aber, ich glaube nicht, das Menschen so dämlich sind, für wie sie oft im
       Business – das meine ich todernst – verkauft werden. Nur die Medien, in
       denen sich alle, auch wir, die ganze Zeit aufhalten, fördern diese
       Dummheit. Es gibt sicher Leute, für die Dauerpräsenz funktioniert. Niemand
       will, dass seine Helden jede Woche einen neuen Song raushauen. Bei mir
       persönlich entsteht nur etwas Gutes, wenn ich alles Monetäre komplett
       ausblenden kann. Pausen tun gut. Mal kurz für einen lichten Moment, in dem
       man nur Musik macht.
       
       Julian Knoth: Es wird dann einfach vergessen, dass Absenz auch wichtig ist.
       Einfach nicht präsent zu sein.
       
       Max Rieger: Wir haben Ende 2015 eine Ochsentour absolviert, 27 Konzerte, 16
       davon ohne Off-Day, jeden Tag in einer anderen Stadt. Irgendwann wurde das
       so transzendental, wir sind zu einer Einheit geworden mit der Roadcrew.
       Alle wussten zu jedem Zeitpunkt genau, was passieren muss. Wie so eine
       organische Maschine. Und ich freue mich darauf, wenn das wieder eintritt.
       
       13 Oct 2022
       
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