# taz.de -- Seenotretter über Pushbacks und Hetze: „Diese Praxis ist bewiesen“
       
       > Kritiker*innen illegaler Pushbacks macht die griechische Regierung
       > zur Zielscheibe von Hetze. Iasonas Apostolopoulos kennt das Problem.
       
 (IMG) Bild: Griechische Grenzschutzbeamte im Frontexeinsatz vor Lesbos
       
       taz: Herr Apostolopoulos, in den griechischen Medien und sozialen
       Netzwerken läuft eine rechte Hetzkampagne gegen Sie – ausgelöst durch eine
       Rede, die Sie im Europaparlament im vergangenen Mai gehalten haben. 
       
       Iasonas Apostolopoulos: Da habe ich über die Situation Geflüchteter in
       Italien und Griechenland gesprochen, weil ich als Seenotretter einen guten
       Überblick über die Situation in beiden Ländern habe. Dort habe ich auch die
       [1][Pushbacks] der griechischen Küstenwache angeprangert. Einen Monat
       später veröffentlichte eine regierungsnahe Onlineplattform Ausschnitte
       meiner Rede. Am nächsten Tag brachte der griechische Regierungssprecher
       eine Mitteilung heraus, in der er sagte, dass ich die Frauen und Männer der
       griechischen Küstenwache von hinten attackieren würde und mich als
       Vaterlandsverräter beschuldigte. Fast alle Medien übernahmen diese Hetze.
       Sie schrieben, dass ich im Europaparlament das Land verleumdet hätte. Ich
       wurde im Internet bedroht, einige User appellierten an den Geheimdienst,
       mich zu ermorden.
       
       Wie geht man mit so einer Hetze um? 
       
       Wäre ich eine Person, die sich sonst aus Politik raushält, wäre ich schon
       längst zusammengebrochen. Doch ich sehe mich als Teil einer solidarischen
       Bewegung, die sich für Menschenrechte einsetzt und die Verbrechen an der
       EU-Außengrenze nicht einfach so hinnehmen kann. Aktuell findet eine
       Kriminalisierung der Geflüchteten statt. Immer wieder werden Geflüchtete
       der Schlepperei beschuldigt und zu extrem langen Haftstrafen von bis zu
       hundert Jahren verurteilt. Schon die Rhetorik gegen Geflüchtete in
       Griechenland ist seit einigen Jahren extrem rechts dominiert: Es ist nicht
       mehr von Flüchtlingen die Rede, sondern von Lathrometanastes, eine extrem
       abwertende Bezeichnung für illegale Migranten, und von Invasoren, die
       Erdoğan instrumentalisieren würde, um Griechenland zu schaden. Flüchtlinge
       werden als Feinde dargestellt, die Küstenwache trotz der belegten Pushbacks
       nicht als Täter, sondern Beschützer vor den Schlepperringen böser NGOs. Nur
       Geflüchtete aus der Ukraine bilden da eine Ausnahme.
       
       Wie laufen diese Pushbacks ab? 
       
       An der griechisch-türkischen Grenze etwa finden seit zwei Jahren
       systematisch illegale Pushbacks statt – am Fluss Evros, aber auch in der
       Ägäis. Wobei: Das Wort Pushbacks wird dem Ganzen nicht gerecht. Die
       Geflüchteten werden wieder zurück ins Meer gebracht und in der Regel auf
       sogenannten Rettungsinseln ausgesetzt – ohne Motor, ohne Lebensmittel,
       sogar ihre Handys werden ihnen abgenommen. Das heißt, sie können nicht
       einmal um Hilfe rufen. Wegen der Pushbacks versuchen immer mehr Geflüchtete
       von der türkischen Küste direkt nach Italien zu gelangen. Es ist also eine
       neue Fluchtroute entstanden, die sogenannte kalabrische Route. Sie ist
       viel gefährlicher, weil die Strecke viel länger ist und die Geflüchteten
       sie unbemerkt passieren müssen, um nicht von der griechischen Küstenwache
       entdeckt und zurückgedrängt zu werden.
       
       Die griechische Regierung weist die Vorwürfe von Pushbacks zurück und nennt
       sie türkische Propaganda. 
       
       Das ist lächerlich. Diese Praxis ist mittlerweile mehr als bewiesen. Die
       größten internationalen Medien wie BBC oder CNN berichten immer wieder
       ausführlich über die Situation an der griechisch-türkischen Grenze, das
       UN-Flüchtlingshilfswerk spricht in einem aktuellen Bericht von etwa 540
       dokumentierten Fällen seit 2020 mit über 17.000 Geflüchteten, die
       zurückgedrängt wurden. Der bisher unter Verschluss gehaltene Bericht der
       europäischen Antibetrugsbehörde Olaf, den der [2][Spiegel ]
       veröffentlichte, bestätigt, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex nicht
       nur von den illegalen Pushbacks der griechischen Behörden wusste, sondern
       diese tolerierte und zu vertuschen versuchte. Der Skandal hat den Chef der
       europäischen Grenzschutzagentur, Fabrice Leggeri zum Rücktritt gezwungen.
       
       Die Hetze gegen Sie persönlich hat aber auch eine Welle der Solidarität
       ausgelöst: Organisationen, einzelne Politiker*innen und
       Oppositions-Parteien haben Ihre Unterstützung und Solidarität zum Ausdruck
       gebracht. 
       
       Ja, und viele Menschen haben erst durch die Hetze gegen mich von den
       Pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze erfahren. Dieses Tabuthema
       kommt langsam in der griechischen Gesellschaft an. Und genau das ist mein
       Ziel: mit unseren Worten und Taten ein Verbrechen, das noch unsichtbar ist,
       sichtbar zu machen.
       
       Warum berichten die griechischen Medien nicht über die Situation? 
       
       Wir haben in Griechenland ein großes Problem mit der Pressefreiheit. Auf
       der [3][Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne
       Grenzen] ist das Land auf Platz 108 von 180 gerutscht, hinter Diktaturen
       wie dem Tschad. In der Coronapandemie hat die Regierung den Medien
       Millionen Euro bereitgestellt, der Premierminister Kyriakos Mitsotakis hat
       sofort nach seiner Amtsübernahme die Kontrolle über den griechischen
       Geheimdienst erlangt. (Vergangenen Freitag sind der Chef des Geheimdiensts
       und ein weiterer engerer Mitarbeiter des Premiers wegen eines
       [4][Spionageskandals] zurückgetreten. Unter anderem soll der
       Sozialistenchef Nikos Androulakis ausspioniert worden sein, als dieser noch
       im EU-Parlament saß – Anm. d. Red.) Was das bedeutet, sehen wir aktuell:
       Keiner hat das Recht, die Regierungspolitik zu kritisieren. Es herrscht
       eine wirklich dystopische Situation, die eher an eine Diktatur erinnert
       als an eine Demokratie.
       
       13 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Flucht-nach-Europa/!5861114
 (DIR) [2] https://www.spiegel.de/international/europe/frontex-scandal-classified-report-reveals-full-extent-of-cover-up-a-cd749d04-689d-4407-8939-9e1bf55175fd
 (DIR) [3] https://rsf.org/en/index
 (DIR) [4] /Abhoerskandal-in-Griechenland/!5872680
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rodothea Seralidou
       
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