# taz.de -- Flüchtlingscamp in Athen wird aufgelöst: Gegen den Willen der Geflüchteten
       
       > Eleonas galt als „Vorzeigecamp“ Griechenlands – mit Wohncontainern statt
       > Zelten und Freizeitangeboten. Jetzt weicht es einem Großprojekt.
       
 (IMG) Bild: Im Camp gibt es 450 bunt gestrichene Wohncontainer
       
       Athen taz | Vasilis Axiotis zeigt auf einen Stadtplan, den er ausgestreckt
       auf seinem Konferenztisch liegen hat. „Das hier ist der Stadtteil
       Votanikos. Direkt daneben der Stadtteil Eleonas.“ Der 37-Jährige ist
       Vizebürgermeister für Infrastruktur und Städteplanung der Stadt Athen. Er
       trägt ein rosa Hemd und eine cremefarbene Stoffhose. Sein geräumiges Büro
       in der Athinas-Straße im Touristenviertel Monastiraki schaut auf die
       Athener Akropolis.
       
       Die Stadtteile Votanikos und Eleonas, auf die Axiotis zeigt, befinden sich
       nur zwei Metro-Haltestellen entfernt. Sie würden aktuell ein Bild der
       Verwahrlosung präsentieren: „Die ganze Gegend ist eine stillgelegte
       Industriezone“, sagt der Vizebürgermeister. Es habe dort früher große
       Fabriken gegeben, die vor Jahrzehnten zumachten und seitdem brachliegen.
       
       Mit einem über 200 Millionen Euro schweren Großprojekt, für das Axiotis
       zuständig ist, wolle er die heruntergekommene Gegend „aufwerten“, wie er
       sagt, mit Grünflächen, Sportanlagen, neuen Straßen und Bürgersteigen für
       die Athener Bevölkerung. Zentrales Vorhaben des Projekts: der Bau eines
       nagelneuen Fußballstadions mit Platz für 40.000 Zuschauer:innen. Das
       Stadion wird der Stadt gehören und an den Fußballclub Panathinaikos Athen
       verpachtet werden. Schließlich sei das Stadion des Clubs im Stadtteil
       Ambelokipi veraltet und erfülle nicht die internationalen Standards.
       
       Die Gegend, von der der Athener Vizebürgermeister spricht, erweckt mit
       ihren geschlossenen Fabriken, heruntergekommenen Gebäuden und Müllbergen
       den Eindruck einer Geisterstadt. Nur Lkws durchbrechen ab und an die fast
       gruselige Ruhe. Für Grünflächen, Fahrradwege und Sportanlagen in so einem
       Viertel spricht also vieles. Doch hier liegt auch das Athener
       Flüchtlingscamp Eleonas. Mit seinen 450 bunt gestrichenen Wohncontainern
       ist es die einzige farbenfrohe Oase in dem sonst so trostlosen Athener
       Stadtteil.
       
       2015 hatte der damalige Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis die Fläche
       der Landesregierung vorübergehend zur Verfügung gestellt, um die in
       Griechenland gestrandeten Flüchtlinge zu beherbergen. Nun will die Stadt
       die Fläche zurück, um die geplante „Aufwertung“ umzusetzen. Peu à peu
       werden deshalb die Campbewohner:innen in andere Lager des griechischen
       Festlands gebracht.
       
       Von den etwa 2.000 Menschen, die in dem Camp von Eleonas lebten, sind heute
       nur noch einige Hundert übrig. Der 49-jährige Campmanager Dimitris
       Georgiadis im weinroten Poloshirt und blauer Jeanshose geht an leeren
       Wohncontainern vorbei und zeigt auf bunte Sitzbänke, die einst für die
       zahlreichen Freizeitangebote des Camps genutzt wurden. Georgiadis trägt wie
       viele Griechen auch im Herbst eine Sonnenbrille, um seinen Hals hängen
       weiße Kopfhörer, die an sein Smartphone angeschlossen sind.
       
       ## Viele Menschen würden ins Camp von Ritsona gebracht
       
       Ein älterer Campbewohner sieht ihn und grüßt ihn freundlich. Georgiadis
       grüßt zurück, fragt ihn, ob er wegen seines geschwollenen Beines schon beim
       Arzt war. Er nickt, er bekomme Medikamente, sagt er. Dass Eleonas all die
       Jahre als Vorzeigecamp galt, sei kein Zufall, sagt Georgiadis: „Wir haben
       hier immer mit Mitgefühl gearbeitet, haben versucht, uns in die Lage dieser
       Menschen zu versetzen. Wir hatten Integrationsprogramme, hatten Unterricht
       für die Kinder des Camps, Sprach- und Computerkurse, sogar einen eigenen
       Kindergarten für alle Kinder im Vorschulalter.“
       
       Dafür habe er sich persönlich eingesetzt, sagt der studierte pädagogische
       Psychologe. Dieses Engagement habe auch mit seinem persönlichen Background
       zu tun, denn er stamme aus einer Flüchtlingsfamilie.
       
       „Mein Großvater kommt aus Ost-Rumelien im heutigen Bulgarien. Er gehörte
       der griechischen Bevölkerung dort an, die in den 1920er Jahren vertrieben
       wurde. Wenn ich das Camp betrete, habe ich oft das Bild meines Opas vor
       Augen, so wie er mir seine damalige Situation beschrieben hat: dass er –
       als er in Griechenland ankam – über zwei Jahre lang am Bahnhof von
       Thessaloniki in einem Zelt hausen musste.“ Georgiadis spricht mit ruhiger
       Stimme, ab und zu macht er längere Denkpausen.
       
       Er ist griechischer Beamter und unterliegt dem griechischen
       Migrationsministerium. Die baldige Schließung des Lagers scheint Georgiadis
       nicht leicht zu fallen. Er versucht, pragmatisch zu bleiben: „Als ich im
       Januar darüber informiert wurde, war das auch für mich ein Schock. Aber so
       ist es nun mal. Die Politik entscheidet und ich muss tun, was man mir
       sagt.“
       
       Die Campbewohner:innen habe er schon vor Monaten darüber informiert,
       dass sie umverlegt würden, sagt Georgiadis. „Ich erkläre ihnen, dass sie in
       andere Camps gebracht werden, dass sie sich auch daran gewöhnen werden und
       dass alles gut wird, wenn sie diese Veränderung mit Optimismus betrachten.“
       Doch er versteht, warum viele trotzdem nicht gehen wollen.
       
       Viele Menschen aus Eleonas würden ins Camp von Ritsona gebracht. Die
       nächste Stadt ist von dort 15 Kilometer entfernt. Die Abgeschiedenheit und
       die schlechte Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel macht vielen Angst.
       
       Auch dem 29-jährigen Patrice aus dem Kongo: „Wir wissen, dass wir früher
       oder später das Camp verlassen müssen. Doch hier sind wir im Herzen Athens,
       wir können problemlos die Hilfsangebote von NGOs in der Athener Innenstadt
       in Anspruch nehmen, es ist leichter, uns zu integrieren.“ Seine größte
       Sorge ist die ärztliche Versorgung: „Ich bin an der Niere operiert. Hier
       sind Ärzte und Krankenhäuser gut erreichbar. Werden wir aber auch in den
       weit entfernten Camps ausreichende medizinische Versorgung haben?“
       
       ## Einen Ausweichort in Athen will die Politik nicht
       
       Im August war es bei einer Räumungsaktion in Eleonas zu gewaltsamen
       Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Immer wieder gibt es vor dem Lager
       Proteste und Demonstrationen – unterstützt von linken Aktivistengruppen. An
       vorderster Front ist auch der 60-jährige Petros Konstantinou, Stadtrat von
       Athen und Mitglied der „Initiative gegen den Rassismus und die
       faschistische Bedrohung“. Das Camp mitten in Athen sei der griechischen
       Regierung und dem konservativen [1][Athener Bürgermeister Kostas
       Bakogiannis] schon lange ein Dorn im Auge, sagt er. „In den anderen –
       abgelegenen – Camps sieht und hört man die Flüchtlinge nicht. Genau das ist
       das Ziel.“
       
       Doch es gibt Widerstand. Sambia Katsanevaki engagiert sich bei einer
       lokalen Bürgerinitiative, die für die Rechte der Flüchtlinge kämpft. Sie
       sagt: „Statt die Flüchtlinge in [2][Camps außerhalb Athens] zu bringen,
       sollen sie eine Lösung in der Stadt für diese Menschen finden. Die
       Flüchtlingskinder gehen in unsere Schulen, es gibt Menschen, die eine
       Arbeit gefunden haben. Jetzt werden sie einfach weggescheucht.“
       
       Eine Lösung in der Stadt will weder das griechische Migrationsministerium
       noch der Bürgermeister. Es gäbe genug Plätze in anderen Lagern im Land, das
       Camp von Eleonas sei nicht mehr nötig, sagt auch der Athener
       Vizebürgermeister Vasilis Axiotis: „Stellen Sie sich doch dieses Bild vor:
       Das neue Fussballstadion und daneben das Flüchtlingscamp. Das geht einfach
       nicht! Aufwertung und Flüchtlingscamp passen nun mal nicht zusammen!“ Die
       Stadt wolle Grünflächen und Parks schaffen, sagt der 37-jährige Axiotis,
       auch da, wo jetzt noch das Flüchtlingslager von Eleonas steht. Spätestens
       Ende Dezember soll das Camp definitiv schließen.
       
       Dass die Dinge so kommen werden, wie die Stadt und [3][die Regierung] es
       wollen, weiß auch der Camp-Manager Dimitris Georgiadis. Damit alles
       schneller geht, seien seit Monaten auch externe Mitarbeiter des
       Migrationsministeriums vor Ort, sagt er. Was danach kommt? Der Beamte zuckt
       mit den Schultern. „Wir werden sehen.“ Noch habe er zu tun, sagt er. „Wenn
       der letzte Campbewohner gegangen ist, ist meine Arbeit noch längst nicht
       getan. Es müssen die Container entfernt werden, wir müssen Strom und Wasser
       abstellen und alles abwickeln. Dann erst kann ich die Schlüssel abgeben.“
       
       19 Oct 2022
       
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