# taz.de -- Technoparade Zug der Liebe in Berlin: „Revolutionäre Kraft“
       
       > Nach dem Riesenrave im Juli zieht der Zug der Liebe durch Berlin. Es gebe
       > schlicht ein Grundbedürfnis nach Paraden, so Technolegende Jürgen
       > Laarmann.
       
 (IMG) Bild: Wie 1993: Zug der Liebe im vergangenen Jahr
       
       taz: Herr Laarmann, Anfang Juli fand in Berlin die [1][Technoparade Rave
       the Planet] statt. Mehr als 200.000 Leute kamen, gerechnet wurden mit
       zehnmal weniger. Ist die Loveparade, wenn auch unter anderem Namen, wieder
       da? 
       
       Jürgen Laarmann: Paraden erfreuen sich in Berlin ja allgemein großer
       Beliebtheit. Es gibt den CSD, die Hanfparade, die Fuckparade und an diesem
       Wochenende den Zug der Liebe. Rave the Planet hat sich nun aber tatsächlich
       an die Poleposition unter den Paraden gesetzt. Mit im Grunde dem gleichen
       Konzept wie damals bei der Loveparade. Allerdings auch mit den gleichen
       Fehlern, die dann auch ein bisschen an der Person Dr. Motte festzumachen
       sind.
       
       Was meinen Sie? 
       
       Eigentlich – das muss man ganz ehrlich sagen – geht es gar nicht, dass
       jemand quasi wie ein Götzensymbol dieses Querdenkerzeichen hochhält, wie
       das Motte bei Rave the Planet getan hat. Klar kann man nachher sagen, man
       habe von nichts gewusst. Aber das war ja auch nicht der erste Ausfall von
       Motte in Richtung Rechts und Komisch. Ich weiß, dass der kein Nazi ist, das
       ist unbestritten. Er ist halt ein spezieller Mensch, der an einigen Stellen
       nicht den wirklichen Überblick hat. Rave the Planet war also schon ein
       großer Erfolg, den Motte aber in seiner unnachahmlichen Weise mit seinem
       Flirt mit der Querdenkerei etwas kaputtgemacht hat.
       
       Sie kennen Dr. Motte gut? 
       
       Ich habe mit ihm jahrelang die Loveparade mitveranstaltet, von 1991 bis
       1997. Motte soll diese ja gegründet haben, aber dazu gibt es auch
       unterschiedliche Versionen. Mottes Funktion war, dass wir halt jemanden
       brauchten, der nicht so viel nachdenkt und den nervigen Job übernimmt, die
       Demo anzumelden. Das begründet letztlich Mottes legendären Ruf als
       Loveparade-Erfinder. Dabei hatte er eigentlich nichts zu melden, und man
       war froh darüber und hat dafür gesorgt, dass das auch so blieb.
       
       Macht das Organisieren von Paraden so viel Spaß? Und will man damit
       wirklich etwas bewegen oder geht es vor allem ums Geldverdienen? 
       
       Paraden zu organisieren ist keine Freude. Eine Party mit Eintritt zu
       organisieren, das ist okay. Bei einer Parade aber gibt es keinen Eintritt,
       sondern nur Ärger. Es gibt das Mülltheater: Du musst alles dafür tun, den
       Demo-Status zu bekommen, und es kann so viel passieren und am Ende bist
       immer Du schuld. Kohlemäßig ist in meiner Loveparade-Zeit schon was
       rumgekommen. Aber längst nicht die Beträge, die sich die Leute so
       vorgestellt haben. So was wie 50.000 Euro vielleicht für einen
       Gesellschafter der für die Loveparade gegründeten GmbH. Aber vom Big
       Business wie heute bei Technofestivals wie „Tomorrowland“ oder „Nature One“
       war das weit entfernt.
       
       Und bezüglich der Message, die man vermitteln möchte? 
       
       Ich mag bei diesem Punkt den [2][Zug der Liebe] sehr. Der hat Charme und
       die Organisatoren stecken viel Herzblut hinein. Der hat nicht so den
       Größenwahn wie damals die Loveparade und jüngst Rave the Planet mit der
       Siegessäule, zu der man zieht mit den riesigen Monstertrucks. Der Zug der
       Liebe ist eine gemeinnützige Veranstaltung, die sich für Obdachlose bis hin
       zur Tiertafel einsetzt. Die hatten nie den Anspruch, riesengroß zu werden –
       und das nehme ich ihnen auch ab.
       
       Wollen die Leute gerade Paraden, weil nach der harten Coronazeit das
       Bedürfnis groß ist, sprichwörtlich auf der Straße zu tanzen? 
       
       Hundertprozentig. Aber es gibt einfach auch ein Grundbedürfnis nach
       Paraden. Und mit Rave the Planet wurde ein Bedürfnis befriedigt, das nach
       der letzten Loveparade 2006 in Berlin immer da war. Es würde mich auch
       nicht wundern, wenn beim nächsten Mal eine halbe Millionen Leute kommen.
       
       Freut Sie es, dass Techno, den Sie damals mit groß gemacht haben in
       Deutschland, immer noch so eine Kraft zu entfalten vermag? 
       
       Ich bin da total zwiegespalten. Einerseits freue ich mich durchaus darüber,
       dass das, was wir damals angestoßen haben, heute immer noch lebt und die
       Leute Spaß daran haben. Andererseits muss ich ganz ehrlich sagen, dass es
       mir nicht unbedingt wie der Gipfel der Originalität vorkommt, wenn junge
       Leute heute den Tanz nachtanzen, den wir schon aufgeführt haben, als wir
       noch jung waren. Für mein persönliches Entertainment habe ich mir auch
       immer gewünscht, dass die nächste Generation total abgefahren ist und
       lauter Dinge macht, die ich nicht mehr verstehe. Dass alle mindestens so
       aussehen wie Sigue Sigue Sputnik und total durchgeknallt sind. Aber das
       Gegenteil ist eingetreten und alle sind total angepasst.
       
       Ein Stück weit ist die Paraden-Begeisterung auch Teil des grassierenden
       Neunziger-Revivals, oder? 
       
       Sicherlich. Aber warum sind die Neunziger gerade überhaupt wieder so
       angesagt? Sie waren ein Jahrzehnt der großen Unbeschwertheit. Damals
       dachten wir, es ist Weltfrieden, die Mauer ist gefallen, und es gibt nie
       wieder Krieg. Wir hatten Spaß, Techno, und es wurde sehr opulent gelebt.
       Jetzt heißt es nur noch: sparen, das Gas ist weg, schlechte Laune, Corona.
       Da kann man also schon mal Sehnsucht nach den Neunzigern kriegen.
       
       Werden die Technoparaden jetzt wieder von Jahr zu Jahr größer, wie damals
       sukzessive die Loveparade? 
       
       Angenommen, es wird ein harter Winter, alle frieren und die Preise steigen
       weiter, dann kann so eine Parade eventuell sogar eine revolutionäre Kraft
       entwickeln. Die Musik hat schon noch die Power dafür. Für den Zug der Liebe
       wird das aber nicht gelten: Im Moment ist die allgemeine Unzufriedenheit
       noch nicht groß genug.
       
       25 Aug 2022
       
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