# taz.de -- Der Frankfurter „Bahnbabo“: Hessen wissen, wer der Typ hier ist
       
       > Mit Jugendsprache und Spagat hat es der Tramfahrer Peter Wirth zu
       > Lokalprominenz gebracht. Nun will der „Bahnbabo“ Oberbürgermeister
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Der Frankfurter Tramfahrer Peter Wirth beim Training an der Endhaltestelle
       
       Wenn Peter Wirth durch seine Heimatstadt geht, braucht er vor allem: Zeit.
       Denn ständig möchte jemand Fotos mit ihm machen. „Ey, du bist doch der
       Bahnbabo?“, schallt es Wirth aus einer Gruppe junger Männer in Warnwesten,
       mutmaßlich einem Junggesellenabschied, entgegen. Als er bejaht, bricht
       Jubel aus.
       
       Bahnbabo. Unter diesem Namen ist der Straßenbahnfahrer Wirth in Frankfurt
       am Main zu einer lokalen Berühmtheit geworden. Menschen grüßen ihn durch
       die Fenster der Fahrerkabine, sie posten Fotos mit dem Bahnbabo in den
       sozialen Medien, basteln daraus Memes.
       
       Auch die regionalen Medien [1][berichten immer wieder] über den
       60-Jährigen. 2019 gab er bekannt, einmal Oberbürgermeister werden zu
       wollen. Nun, da Peter Feldmann (SPD) nach Korruptionsvorwürfen spätestens
       Ende Januar 2023 [2][aus dem Amt ausscheidet], will Wirth seinen Plan in
       die Tat umsetzen. Ohne politische Erfahrung, ohne Partei, ohne
       Wahlkampfteam. Was treibt ihn dabei an?
       
       „Ich fahre seit 34 Jahren durch diese Stadt, und mir fällt immer wieder
       auf, dass wir etwas ändern müssen, dass wir irgendwie umsteuern müssen“,
       sagt Wirth. Er spricht laut und artikuliert und mit hessischem
       Zungenschlag, stets duzt er seine Gesprächspartner:innen. Für das
       Treffen hat Wirth ein Café in der Frankfurter Innenstadt vorgeschlagen. An
       einem kleinen Tisch im Schatten erzählt er von seinem Leben als Bahnbabo
       und seinen politischen Ambitionen.
       
       ## Mehr ÖPNV, weniger Individualverkehr
       
       Da ist in erster Linie, klar, die Verkehrspolitik. „Wir sind an die Grenzen
       der individuellen Mobilität gestoßen“, findet Wirth. Deshalb müsse
       Mobilität „gesamtgesellschaftlich, sozial und nachhaltig“ werden. „Und
       natürlich auch bezahlbar.“ Für [3][die Verkehrswende] müsse der öffentliche
       Nahverkehr ausgebaut und priorisiert werden, fordert er: Vorrang für
       Straßenbahnen an Ampeln und Kreuzungen, überall eigene Gleiskörper statt
       mit Autos geteilter Spuren.
       
       Mit einem kleinen Sprüchlein fasst er seine verkehrspolitische Agenda
       zusammen:
       
       Ich stehe an der Kreuzung, und etwas läuft verkehrt.Ich muss warten,
       während der Individualverkehr fährt.Die Bahn muss fahren, und die Autos
       können stehen.Wem das nicht passt, der soll doch zu Fuß gehen.
       
       Die Reime sind ein weiteres Erkennungsmerkmal des Bahnbabos. Er denkt sie
       sich aus, während er Straßenbahnen durch Frankfurt lenkt. Und teilt sie per
       Durchsage mit seinen Passagier:innen.
       
       „Liebe Fahrgäste, ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Nachmittag“, tönt
       Wirths Stimme aus den Lautsprechern einer Tram der Linie 17. Es ist Montag,
       wenige Tage nach dem Treffen im Café. Eine Frau nickt zustimmend, als Wirth
       ein kurzes Gedicht vorträgt und bei der Zeile „Den Montag, den kann niemand
       leiden“ anlangt. Eine andere Passagierin lacht herzlich. „Danke schön“,
       ruft sie anschließend in Richtung Fahrerkabine. Doch Wirth erntet bisweilen
       auch Skepsis. „Der ist ja komisch“, sagt ein kleines Mädchen zu seinem
       Vater, als der Bahnbabo einen Reim über die Liebe als stärkste Kraft
       vorträgt. „Ist doch mal was Neues“, entgegnet der Papa amüsiert.
       
       ## Alles cool, bleib locker!
       
       Auch sonst fällt Wirth auf, wenn er im Dienst ist – mit seiner schlohweißen
       Bürstenfrisur, der dunklen Pilotensonnenbrille und den riesigen Oberarmen
       schon rein optisch. Über das Armaturenbrett seiner Tram hängt er stets eine
       Tasche mit seinem Konterfei. Kommt ihm eine andere Straßenbahn entgegen,
       zeigt er den Hang-Loose-Gruß – die Hand zur Faust, Daumen und kleiner
       Finger abgespreizt –, eine Geste, die er vor Jahren aus dem Hawaii-Urlaub
       mitgebracht hat. Bedeutung: Alles cool. Bleib locker.
       
       Und dann ist da der Spagat, den er horizontal am Boden genau wie vertikal
       gegen ein Haltestellenschild beherrscht. Wirths Beweglichkeit ist
       beeindruckend, und damit das so bleibt, trinkt er während einer Schicht
       mehrere selbst gemachte Gemüsesmoothies und nutzt seine kurzen Pausen an
       den Endhaltestellen zum Trainieren.
       
       Auch an diesem Montagnachmittag legt er ein Bein durchgestreckt auf einen
       hüfthohen Zaun am Bahnsteigrand und schaut dabei ins Handy. Mehrere Minuten
       lang. „Zeit, ins Fitnessstudio zu gehen, hätte ich gar nicht“, sagt er.
       Also trainiert er eben in den Pausen und jeden Morgen in der
       Einzimmerwohnung, in der er mit seiner Ehefrau lebt.
       
       Seit 37 Jahren schon betreibt Wirth Kraftsport, und ohne dieses Hobby wäre
       er wohl niemals zum Bahnbabo avanciert. [4][Babo] heißt so viel wie Chef
       oder Anführer. Den Namen bekam er vor etwa zehn Jahren von einer Gruppe
       Jugendlicher, die ihn bei der Arbeit zunächst blöd angemacht hatten. Er
       schaffte es, zu deeskalieren und die Teenager mit seinen Kraftübungen zu
       beeindrucken. „Du bist stabil“, habe einer dann zu ihm gesagt. „Du bist der
       Bahnbabo!“
       
       ## Er spricht die Sprache der Jugend
       
       Jugendliche sind eine Zielgruppe, die Wirth ausgesprochen am Herzen liegt,
       und hier spricht auch wieder der Oberbürgermeisterkandidat aus ihm: „Wir
       müssen Jugendlichen vor allem dann Angebote machen, wenn es Probleme gibt“,
       findet er. „Und das ist hauptsächlich am Wochenende und in den Ferien.“
       Wichtiger als eine pädagogische Ausbildung sei dabei, dass die
       Betreuer:innen eine Vorbildfunktion hätten und die Sprache der
       Jugendlichen sprächen. So wie auch der Bahnbabo: „Gechillt“ ist für ihn
       eine normale Vokabel, genauso wie der Ausruf „Bleib stabil!“. Die Frage
       „Eh, was geht?“, die ihm ein Basketballer am Main zuruft, kontert er mit
       einer Gegenfrage: „Was geht, Brudi?“
       
       Wirth ist niemand, den seine Prominenz zu stören scheint, im Gegenteil.
       Beim Spaziergang durch die Stadt weicht er keinem Blick aus, geht vielmehr
       proaktiv auf Leute zu, die ihn anschauen, ist sich für kein Foto zu schade.
       Breites Lächeln, Hang-Loose-Geste, ab und an eine Spagatvorführung, dazu
       die Anekdoten und Reime. Gut möglich, dass manche:r ihn als
       holzschnittartig oder nervig empfindet. Doch ob Presse, Passant:innen
       oder Passagier:innen, mit allen geht er gleich um. Seine Art ist nicht
       aufgesetzt, nicht situationsabhängig. Peter Wirth spielt sein Alter Ego
       nicht. Er ist der Bahnbabo.
       
       Und er ist Frankfurter durch und durch. Hier ist er geboren und
       aufgewachsen, hier hat er zunächst Elektroinstallateur gelernt und als
       Obermonteur gearbeitet, war einige Jahre selbstständiger Taxifahrer, bevor
       er 1988 mit der Ausbildung zum Tramfahrer begann, ein halbes Jahr später
       als seine Ehefrau Heike. Die beiden lernten sich 1980 in der Tanzschule
       kennen, heute fahren sie in ihren Straßenbahnen regelmäßig aneinander
       vorbei. „Ich habe sehr viel Glück in meinem Leben gehabt“, sagt Wirth.
       „Und das will ich, wenn es geht, jeden Tag an Menschen zurückgeben.“
       
       ## Spenden für soziale Projekte
       
       2019 verschenkte er eine Reise, die er bei einer Quizshow gewonnen hatte,
       an ein krankes Kind und dessen Mutter. Seitdem engagiert er sich für den
       Verein MainLichtblick, der kranken Kindern Wünsche erfüllt. Sollte er
       wirklich Oberbürgermeister werden, wolle er jeden Monat mit einem Drittel
       seines Gehalts soziale Projekte fördern, sagt er. Auch die seiner Ansicht
       nach katastrophale Wohnungssituation würde er als Stadtoberhaupt gerne
       verbessern: „Es sollen keine Menschen auf der Straße liegen“, und auch
       Studierende sollten „aus dieser ewigen Sucherei nach Wohnungen rauskommen“.
       
       Bis der Bahnbabo gewählt werden könnte, wird es noch dauern. Noch ist der
       andere Peter, Sozialdemokrat Feldmann, im Amt, und der Wahlkampf in
       Frankfurt hat noch lange nicht begonnen.
       
       Doch wie schätzt Wirth seine Chancen ein? „Ich kann nicht viel Wahlwerbung
       machen, ich habe kein großes Budget“, sagt der Mann, der ohne Partei ins
       Rennen geht. Zwar habe es Angebote gegeben, unter anderem von der Partei
       der Humanisten, doch die habe er ausgeschlagen. „Nee, ich bleib parteilos.“
       Ein paar Plakate wolle er drucken und eigenständig aufhängen, dazu ein
       Fahrrad mit Bildschirm mieten, auf dem sein Slogan aufleuchten soll: „Mit
       dem Bahnbabo bleibt Frankfurt stabil.“
       
       Und wenn es nicht klappt? „Dann gehe ich nach Hause, mache Rentner und
       chill mein Leben.“
       
       15 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.fr.de/frankfurt/alles-gechillt-beim-bahnbabo-10987403.html
 (DIR) [2] /Ruecktritt-des-Frankfurter-Oberbuergermeisters/!5865349
 (DIR) [3] /Verkehrswende/!t5328047
 (DIR) [4] /Haftbefehl-auf-Tour/!5020440
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jonas Wagner
       
       ## TAGS
       
 (DIR) IG
 (DIR) Bodybuilding
 (DIR) Frankfurt am Main
 (DIR) Kommunalpolitik
 (DIR) Öffentlicher Nahverkehr
 (DIR) Straßenbahn
 (DIR) SPD
 (DIR) Hessen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) CDU-SPD-Koalitionsvertrag in Hessen: Schwarz-roter Populismus
       
       SPD und CDU haben sich in Hessen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt.
       Gendern soll abgeschafft werden und es soll mehr Abschiebungen geben.
       
 (DIR) Petition der Woche: Hessen braucht den Äppelwoi-Tag!
       
       Die Bewohner des zentralsten Bundeslandes wissen es: Apfelwein ist ein
       verdammt edles Gesöff. Deshalb muss der Äppelwoi-Feiertag für Hessen her.