# taz.de -- Drei Jahre Mord an Walter Lübcke: Ein verklungener Aufschrei
       
       > Der Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke bleibt ein Fanal, eine Zäsur war
       > er nicht. Die Gefahr des Rechtsextremismus ist längst nicht gebannt.
       
 (IMG) Bild: In der Nacht zum 2. Juni wurde der hessische CDU-Politiker Walter Lübcke ermordet
       
       Es sollte ein mörderisches Zeichen sein. In der Nacht zum [1][2. Juni 2019
       schlich der Rechtsextremist Stephan Ernst] auf die Terrasse von Walter
       Lübcke im kleinen Istha bei Kassel. Der CDU-Politiker und Kasseler
       Regierungspräsident saß dort mit seinem Tablet rauchend auf einem
       Gartenstuhl. Ernst schoss ihm direkt in den Kopf, Lübcke verstarb wenig
       später im Krankenhaus. Für Ernst war er ein „Volksschädling“, er wünschte
       sich, dass „der Terror“ nun zu den Verantwortlichen zurückkomme.
       
       Die Tat war lange vorbereitet. Über Jahre hatte der Attentäter seinen Hass
       auf Lübcke aufgestaut, nachdem dieser ihn und andere Rassisten auf einer
       Veranstaltung in Kassel öffentlich in die Schranken gewiesen hatte.
       Parallel war der CDU-Politiker mit immer neuen Hasskommentaren im Internet,
       [2][von Erika Steinbach] und anderen, als Feind aufgebaut worden. Ernst
       betankte seinen Hass aber auch auf der Straße, beteiligte sich an
       AfD-Demonstrationen und einem rassistischen Großaufmarsch in Chemnitz. Mit
       einem Gesinnungskameraden schwadronierte er über einen nahenden
       Bürgerkrieg, trainierte mit ihm auf Schießständen. Er fuhr nach Istha, um
       Lübckes Haus auszukundschaften. Dann drückte er ab.
       
       Drei Jahre ist der Mord nun her. Er bleibt ein schreckliches Fanal. Aber er
       war keine Zäsur. Schon viele Jahre vorher wurden Dutzende Menschen Opfer
       rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik, ermordete der „NSU“ zehn
       Personen und verübte drei Bombenanschläge.
       
       Nach Lübcke folgen die Attentate von Hanau und Halle. Und die Umstände des
       Lübcke-Mordes finden auch heute erschreckende Parallelen. Denn auch zuletzt
       wollten Rechtsextreme wieder Zeichen setzen. Im April wurden mehrere
       Coronaleugner festgenommen, die laut Bundesanwaltschaft planten,
       Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. Die Erschießung seiner
       Personenschützer soll mit eingepreist gewesen sein, mit Anschlägen auf
       Strommasten sollte ein Bürgerkrieg ausgelöst werden.
       
       Und in [3][Idar-Oberstein erschoss ein Mann einen Tankstellenwärter,] weil
       dieser ihn auf die Maskenpflicht hinwies. In einer Vernehmung sagte auch
       er, er habe ein Zeichen setzen wollen gegen die Coronapolitik. An Merkel
       und Spahn komme man ja nicht ran.
       
       ## Der Aufschrei von damals klingt heute fern
       
       Drei Jahre seit dem Lübcke-Mord. Der Aufschrei von damals klingt inzwischen
       ziemlich fern. Dabei ist die Gefahr ganz offensichtlich nicht gebannt. Es
       war bei Lübcke eine rechtsextreme Stimmung in Teilen dieser Gesellschaft,
       gegen Geflüchtete und politisch Verantwortliche, die das Attentat
       beförderte. Und diese Stimmung gibt es bis heute. Die Querdenken-Proteste
       haben den Hass auf Staatsvertreter wieder befeuert, im Netz sammeln sich
       wieder offene Mordaufrufe. Die Zahl politisch motivierter Straftaten war
       zuletzt so hoch wie nie, der Anstieg ist vielfach den Coronaprotesten
       anzurechnen. Der Hass reißt nicht ab. All die Appelle, all die Aktionspläne
       – sie scheinen viele nicht zu erreichen.
       
       Und es bleibt auch offen, ob die Behörden gelernt haben. Bis heute sind
       Fragen zum Mord an Lübcke ungeklärt, sie beschäftigen einen
       Untersuchungsausschuss in Hessen. Wie konnte es sein, dass die
       Sicherheitsbehörden, den Attentäter als „abgekühlt“ einstuften – während er
       gleichzeitig auf rechten Aufmärschen mitlief und mit Waffen trainierte? Gab
       es einen Mitwisser der Tat, allen voran der freigesprochene Mitangeklagte
       Markus H., dessen Schuld die Bundesanwaltschaft in einer Revision noch
       festzustellen versucht? Und hätte Lübcke nicht doch besser geschützt werden
       können, ja müssen?
       
       Nach dem Mord an Lübcke sprach der Anwalt der Familie von einem
       „Komplettversagen“ des Verfassungsschutzes. Auch nach dem Hanau-Attentat
       kritisierten Betroffene die Polizeiarbeit. Und nach Halle zeigte sich, wie
       wenig Einblick die Ermittler in rechtsterroristische Onlinenetzwerke haben.
       Auch hier gibt es offensichtlich Kontinuitäten des Versagens.
       
       [4][Die Familie Lübcke] hatte nach dem Mord an ihrem Mann und Vater vor
       allem ein Anliegen: Der Hasse dürfe sich nicht weiter ausbreiten, die
       Gesellschaft müsse sich klar dagegen positionieren, appellierte sie. „Die
       Unkultur der Hetze und Diffamierung darf sich nicht verfestigen.“ Es sieht
       so aus, als würde die Hoffnung der Familie Lübcke enttäuscht.
       
       1 Jun 2022
       
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 (DIR) Konrad Litschko
       
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