# taz.de -- Berichterstattung über Ukrainekrieg: Wir sind Europas Augen und Ohren
       
       > Ohne das Wissen ukrainischer Journalisten wären westliche Medien
       > aufgeschmissen. Viele Jahre überging man aber deren Perspektiven.
       
 (IMG) Bild: Ukraines Präsident Wolodimir Selenski mit Einwohner*innen von Butscha, April 2022
       
       Kyiv taz | Als sich im Februar dieses Jahres die Nachricht einer möglichen
       russischen Invasion verbreitete, strömten zahlreiche ausländische
       Korrespondenten in die Ukraine. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigten
       sich bald: Die russische Armee griff das gesamte Staatsgebiet der Ukraine
       mit Raketen an, bombardierte [1][Kyiv] und andere große Städte des Landes
       und besetzte einen Teil der südlichen Regionen.
       
       [2][Ausländische Journalisten flogen ein], um international zu berichten,
       wie ein Staat, der die zweitstärkste Armee der Welt besitzt, ein anderes
       Land mitten in Europa angriff. Und das nur, weil dieses sich seit vielen
       Jahren zu westlichen Werten bekennt und im Gegensatz zu den meisten
       Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion eine Aufnahme in die
       Europäische Union anstrebt.
       
       In Kriegen, wie wir ihn jetzt in der Ukraine erleben, sind lokale Reporter
       die ersten Ansprechpartner für westliche Medienvertreter. Journalisten aus
       dem Ausland sind auf die Kenntnisse ukrainischer Kollegen angewiesen. Sie
       sind es, die wissen, wie man sich in der Ukraine am besten fortbewegt,
       wohin man fahren, mit wem man sprechen sollte und worauf man bei der
       Berichterstattung achten muss.
       
       Den Rahmen, wie über die Geschehnisse in der Ukraine berichtet wurde, setzt
       schon seit vielen Jahren der Westen. Selbst unter Ukrainern genießen
       westliche Medien größeres Vertrauen, der nationalen Presse hingegen
       misstraut man. Ein Großteil ukrainischer Medien ist im Besitz von
       Oligarchen und Konzernen. Sie pflegen oftmals Beziehungen zu Politikern,
       die die Medien für ihre politischen Zwecke und ihre Geschäftsinteressen
       ausnutzen. Das Wort eines westlichen Journalisten zählte in der
       Vergangenheit deshalb oft mehr als das eines örtlichen Reporters. An diesen
       Zustand hatten sich alle im Land gewöhnt.
       
       Doch der 24. Februar markierte einen Wendepunkt. Lokale Journalisten
       befanden sich, anders als ihre ausländischen Kollegen, [3][in einer noch
       prekäreren Lage] als sowieso schon: Schutzwesten und Helme besaßen die
       wenigsten, es fehlte an Erfahrung mit Sicherheitstrainings oder an
       grundlegenden Dingen wie einer Krankenversicherung. [4][Mehr als 70
       Medienhäuser] mussten bereits aufgrund der militärischen
       Auseinandersetzungen mit Russland oder aus wirtschaftlichen Gründen
       schließen. Ein Ausweg bestand für viele darin, als „Fixer“ oder lokaler
       Produzent für westliche Medien zu arbeiten.
       
       ## Ukrainische Perspektiven fehlen
       
       Aktuell wiederholt sich etwas, das der Journalismus 2014 auf ähnliche Weise
       erlebt hat. Als sich in Kyiv auf dem Maidan Protest gegen den damaligen
       Präsidenten Wiktor Janukowitsch formierte, der sich weigerte, das
       Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen und sich stattdessen für
       ein Bündnis mit Russland entschied, kamen schon einmal Journalisten aus dem
       Westen in die Ukraine, um da-rüber zu berichten.
       
       Bald darauf folgte die Annexion der Krim, und der Donbass wurde durch
       Separatisten besetzt. Fixer übernahmen auch damals schon die Hauptarbeit
       der Berichterstattung. Sie versorgten Journalisten aus dem Westen mit
       nützlichen Informationen und riskierten nicht selten dafür ihr Leben.
       Daraus ergab sich ein ungleiches Abhängigkeitsverhältnis: Der Westen war
       auf die Hilfe ukrainischer Fixer angewiesen. Diese wiederum brauchten die
       Aufträge aus dem Ausland, konnten aber wenig Einfluss darauf nehmen, wie
       ihre Zulieferungen in Berichten verarbeitet wurden. Westliche Medien
       nutzten die Arbeitskraft örtlicher Journalisten aus, übergingen aber ihre
       Perspektiven. Stattdessen übernahm man russische Argumentationen und
       Sichtweisen.
       
       Viele Jahre wurde die Situation im Donbass folglich nicht als Krieg
       bezeichnet und die Annexion der Krim gerne als „Wiederherstellung einer
       historischen Gerechtigkeit“ dargestellt. Dass die militärischen Attacken
       Russlands auf keine Weise gerechtfertigt waren, ließ sich den westlichen
       Redaktionen nur schwer vermitteln.
       
       Acht Jahre lang hat ein Großteil westlicher Medien seinem Publikum erzählt,
       dass die Annexion der Krim und die Besetzung des Donbass nachvollziehbare
       Gründe hätten. Sie versäumten es, ihre Leser ordentlich über die
       Aggressionen Russlands gegen die Ukraine aufzuklären. Ukrainische
       Journalisten, Politiker und Diplomaten schrien buchstäblich, dass die
       Russen ihre Gebiete gewaltsam eingenommen hätten. Sie wurden nicht gehört.
       
       Die Ukraine müsse Verständnis für Russland aufbringen und einen Frieden
       aushandeln, las man stattdessen oft. Uns, den Ukrainern, sagte man: Euer
       Land ist korrupt, ist voller Rechtsradikaler, ihr seid nicht gut genug, um
       in der EU zu sein. Russischen Oppositionellen und Journalisten, die sich
       nicht damit auseinandersetzen wollten, dass ihr Land ukrainische Gebiete
       illegal einnahm, gaben Medien häufiger eine Plattform als Ukrainern, die
       mit eigenen Augen gesehen hatten, wie russische Streitkräfte Ukrainer im
       Osten des Landes entführten und folterten. Acht Jahre lang hat sich
       Russland an die Tatsache gewöhnt, dass es für seinen Umgang mit der Ukraine
       kaum eine Strafe zu erwarten hat.
       
       ## Journalisten setzen ihr Leben aufs Spiel
       
       Dieser Umgang des Westens mit der Ukraine setzt sich bis heute fort.
       [5][Kürzlich stellte die Welt die russische Ex-Propagandistin Marina
       Owsjannikowa] ein, die mit ihrem Protest gegen den Krieg im russischen
       Staatsfernsehen bekannt geworden war. Währenddessen sehen Dutzende
       ukrainische Journalisten ihre Existenz bedroht und wissen nicht, wie es
       mit ihrer beruflichen Karriere weitergehen soll. Über ihr Schicksal liest
       man kaum etwas.
       
       Russische Journalisten tauchen hingegen öfter in den Medien auf und
       berichten, wie sie unter den restriktiven Maßnahmen der russischen Behörden
       leiden. Ukrainische Journalisten berichten parallel dazu aus
       Luftschutzkellern und reisen in gefährliche Militärgebiete, um zu zeigen,
       wie die russische Armee Zivilisten beschießt und hinrichtet.
       
       Seit Beginn des erweiterten Krieges haben die russischen Streitkräfte zwölf
       Journalisten getötet. Unter ihnen waren sowohl westliche als auch lokale
       Reporter. Journalisten setzen ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel, um
       der Welt zu zeigen, welches Grauen mitten in Europa geschieht. Heute ist es
       deshalb wichtiger denn je, ukrainischen Journalisten und anderen Menschen
       vor Ort, die etwas zu sagen haben, eine Stimme zu geben.
       
       Im Krieg mit Russland verteidigt die Ukraine die Grenzen Europas, seine
       Unversehrtheit und Sicherheit. Wir ukrainischen Journalisten nehmen dabei
       eine besondere Rolle ein: Wir sind Europas Augen und Ohren.
       
       Wir zählen die Tage seit dem Beginn der russischen Invasion und warten auf
       sein Ende wie auf ein Wunder. Die Ukraine kämpft für Europa, und
       ukrainische Journalisten riskieren täglich ihr Leben. Ist Europa aber
       bereit, der Ukraine zuzuhören?
       
       Wir verdienen es, dass sich der Westen endlich mit der Tatsache abfindet,
       dass unsere Stimmen ebenso zählen. Denn auch wir sind Europäer.
       
       Aus dem Englischen von [6][Erica Zingher]
       
       [7][Die taz unterstützt aktuell die ukrainischen Medien] Zaborona und
       Hromadske mit Spenden.
       
       23 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Rueckkehr-zum-Leben-in-Kiew/!5846339
 (DIR) [2] /NGO-Referent-zur-Lage-in-der-Ukraine/!5838314
 (DIR) [3] /Pressefreiheit-und-Ukrainekrieg/!5841292
 (DIR) [4] https://imi.org.ua/monitorings/rosiya-skoyila-148-zlochyniv-proty-zhurnalistiv-ta-media-v-ukrayini-za-misyats-napadu-i44595
 (DIR) [5] /Russische-Propaganda/!5846143
 (DIR) [6] /Erica-Zingher/!a52365/
 (DIR) [7] /!173163/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katerina Sergatskova
       
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