# taz.de -- Salz gegen Eis auf Radwegen: Eine schwierige Güterabwägung
       
       > Berlins grüne Verkehrs- und Umweltsenatorin Jarasch will Radfahrer im
       > Winter besser vor Stürzen schützen – und setzt auf Salz. Ein
       > Wochenkommentar.
       
 (IMG) Bild: Bei so viel Schnee hilft mutmaßlich auch Salzstreuen nicht viel weiter
       
       Salz also gegen Glätte auf Radwegen. Was lange verpönt war, soll künftig
       Radler vor Stürzen und Verletzungen schützen – und grundsätzlich das Gefühl
       geben, in Berlin auch bei eisigen, widrigen Wetterverhältnissen auf dem Rad
       unterwegs sein zu können. Umweltschützer hatten den breiten Einsatz von
       Salz erfolgreich zurück gedrängt, mit Verweis auf negative Folgen für die
       Straßenbäume. Nun soll das Berliner Abgeordnetenhaus den Weg für eine
       Gesetzesänderung frei machen, die zumindest eine Pilotversuch zum
       Salzeinsatz erlaubt: auf Radwegen, die oberhalb des Bordsteins neben
       Gehwegen verlaufen
       
       Der dahinter stehende Zwiespalt verkörpert sich am besten im Amt der Frau,
       die [1][den Vorstoß am Dienstag in der Senatssitzung auf den Weg] gebracht
       hatte: Bettina Jarasch von den Grünen ist als Senatorin sowohl für Verkehr
       und Mobilitätswende zuständig wie für Umwelt und Klima. Mehr Schutz durch
       Salz – genauer: Sole – für die einen bedeutet gleichzeitig: mehr Belastung
       für die anderen, in diesem Fall die Umwelt.
       
       Das Schwierige ist, dass es in diesem Fall keine klaren Maßstäbe gibt. Es
       gibt keine Eindeutigkeit wie beim Sport: Die eine Seite hat mehr Tore
       geschossen, liegt also vorn. Denn wie sollen sich möglicherweise
       verhinderte Brüche von Handgelenk und Schlüsselbein mit eingegangen Bäumen
       ins Verhältnis setzen lassen? Wieviel Baum ist ein verhinderter Bruch wert?
       Oder anders herum gefragt: Was muss jemand akzeptieren, der die Umwelt
       vorrangig schützen will?
       
       Selbst wenn am Ende einer Pilotphase verwertbare Zahlen vorliegen sollten –
       so und so viel kaputte Bäume mehr an gesalzten Radwegen als an nicht
       gestreuten und analog so und so viele Stürze weniger. Es bleibt am Ende
       eine politische Entscheidung. Umso mehr, weil sich ja gar nicht alle Stürze
       registrieren lassen und auch noch zu erheben wäre: Sitzen tatsächlich mehr
       Leute auf dem Sattel, wenn die Radwege weniger vereist sind?
       
       Das ist kaum anders als in der jüngst aufgeflammten Debatte, ob man nicht
       [2][mit Atomkraft statt Kohle eine eventuelle Versorgungslücke] bei
       alternativen Energien überbrücken sollte. Da stehen Restrisiko und
       Endlagerproblematik einer weiteren CO2-Belastung gegenüber. Da mögen Zahlen
       vorliegen, aber was letztlich aktuell „richtig“, „besser“, „angemessen“
       ist, ist keine wissenschaftliche Kategorie, sondern eine politische
       Entscheidung
       
       ## Eine Frage der Angemessenheit
       
       Der Grundkonflikt, nämlich eine Güterabwägung, beschränkt sich längst nicht
       auf den Bereich von Verkehr, Klima und Umwelt. Er ist seit fast zwei Jahren
       täglich in der Corona-Bekämpfung zu erleben. Gesundheitsschutz steht da
       Einschränkungen in der eigenen Lebensgestaltung gegenüber. Die Frage der
       Angemessenheit von Entscheidungen hat dabei inzwischen schon Gerichte bis
       auf Bundesebene beschäftigt.
       
       Theoretisch ist die Lösung letztlich bei all diesen Themen dieselbe:
       Erklären, vermitteln, darlegen und überzeugen, warum plötzlich etwas Neues
       gelten soll. Wie sehr das aber Theorie ist, zeigt die Corona-Debatte
       ebenfalls am besten. Auch wenn die Emotionen beim Thema Salz nicht ganz so
       hoch gehen dürften: Ohne Konflikt wird das auch hier nicht gehen.
       
       29 Jan 2022
       
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