# taz.de -- Basisdemokratie bei den Grünen: Grüne bald in Reih und Glied?
       
       > Auf dem Parteitag will der Bundesvorstand die Hürden zur Mitbestimmung in
       > der Basis erhöhen. Dagegen regt sich Widerstand.
       
 (IMG) Bild: Wird neu gewählt: der sechsköpfige Bundesvorstand der Grünen, 2019
       
       Berlin taz | Karl-Wilhelm Koch ist wieder dabei, na klar. Der Pensionär aus
       der Vulkaneifel hat seit seinem Debüt 1998 kaum einen Grünen-Parteitag
       verpasst. Von der Basis aus reicht er zuverlässig seine Anträge ein,
       diesmal unter anderem einen für Frieden mit Russland, einen zu Atomwaffen
       in Deutschland und, als Unterstützer, einen gegen die Bewaffnung von
       Bundeswehrdrohnen noch in dieser Legislaturperiode.
       
       Wer weiß, vielleicht wird er zumindest mit der letzten Forderung Erfolg
       haben. Im Sommer, bei der Aufstellung des Wahlprogramms, hatten sich die
       Grünen für Kampfdrohnen geöffnet – bei der entscheidenden Abstimmung aber
       nur mit einer hauchdünnen Mehrheit. Im Koalitionsvertrag ist die Bewaffnung
       nun zwar vereinbart. Ein Beschluss des SPD-Parteitags von vergangenem
       Dezember hat die Vereinbarung aber schon wieder infrage gestellt. Sollten
       die Grünen-Delegierten jetzt folgen, hätte die Ampel keine zwei Monate nach
       Amtsantritt den ersten Sand im Getriebe.
       
       Würde, könnte, sollte: Natürlich kann es auch ganz anders kommen. Womöglich
       läuft alles [1][im Sinne der Parteispitze] und die Delegierten lehnen den
       Antrag ab. Darauf zählen kann aber niemand. Unberechenbarkeit macht
       Grünen-Parteitage schließlich aus, früher regelmäßig, heute zumindest
       gelegentlich.
       
       Und in Zukunft? Geht es nach dem Bundesvorstand, dann wird es bei den
       Grünen demnächst noch vorhersehbarer zugehen. Mit einer Satzungsänderung
       will er die Zahl der Unterschriften vervielfachen, die ein Antrag braucht,
       um überhaupt auf dem Parteitag behandelt zu werden. Für einfache Mitglieder
       würde es schwieriger, eigene Themen zu setzen. „Ich sehe das als Versuch,
       die Möglichkeiten der Mitbestimmung in der basisdemokratischen Partei ‚Die
       Grünen‘ auszuschalten“, sagt Dauerantragsteller Koch.
       
       ## Der sechsköpfige Bundesvorstand wird neu gewählt
       
       Die Satzungsänderung ist natürlich nicht der einzige Tagesordnungspunkt auf
       dem digitalen Bundesparteitag, der am Freitag beginnt. Robert Habeck und
       Annalena Baerbock verabschieden sich von der Parteispitze. Der sechsköpfige
       Bundesvorstand wird neu gewählt. Eine Reihe inhaltlicher Anträge steht zur
       Abstimmung, neben denen zu Drohnen und Atombomben auch zwei zur
       EU-Taxonomie. Die Fehler im Wahlkampf werden ebenfalls Thema sein und wohl
       auch die Ermittlungen gegen den bisherigen Vorstand wegen womöglich zu
       Unrecht kassierter Coronaboni.
       
       Allerdings ist die Satzungsänderung nicht weniger heikel als diese Themen,
       zumal die Parteispitze eine Zweidrittelmehrheit bräuchte, um ihre
       Vorstellungen durchzusetzen. Vor ein paar Jahren ist sie mit dem Ansinnen
       schon mal gescheitert. Jetzt startet der scheidende Bundesgeschäftsführer
       Michael Kellner, der als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium
       wechselt, bei seinem letzten Parteitag einen neuen Versuch.
       
       Bisher muss ein Mitglied mindestens 20 Unterstützer*innen werben, um
       einen Antrag einreichen zu dürfen. Alternativ reicht auch das Votum eines
       einzelnen Ortsverbands. In Zukunft, so der Vorschlag des Vorstands, muss
       die Zustimmung zumindest von einem Kreisverband kommen – oder von 0,1
       Prozent aller Parteimitglieder. Bei aktuell rund 125.000 Mitgliedern läge
       das Quorum aufgerundet also bei 130 Unterstützer*innen.
       
       Kellner begründet das Vorhaben mit dem Mitgliederwachstum der Partei. Die
       bisherigen Regeln stammen aus der ersten Grünen-Satzung aus dem Jahr 1980,
       als die Partei 20.000 Mitglieder hatte. Zuletzt hat sich neben der Zahl der
       Mitglieder auch die der Anträge erhöht, beim Programmparteitag im Juni 2021
       waren es über 3.000. Neben dem Wachstum der Partei könnte dabei auch eine
       Rolle spielen, dass sich Mitglieder durch das Internet heute leichter
       vernetzen können. „Es ist gut, dass wir Debatten haben. Aber die schiere
       Menge an Anträgen führt dazu, dass ich beim letzten Parteitag
       wahrscheinlich der Einzige war, der sie alle gelesen hat“, sagt Kellner.
       Gerade um weiterhin basisdemokratisch entscheiden zu können, muss die
       Partei demnach das Quorum erhöhen.
       
       ## Die Parteispitze pokert aber bis auf Weiteres hoch
       
       Ähnlich sieht es die Europaabgeordnete Hannah Neumann. Seit einem Jahr
       sitzt sie in der achtköpfigen Antragskommission, dem Gremium, bei dem alle
       Anträge zuerst landen. Vor dem letzten Parteitag war sie gut beschäftigt.
       „Ich habe meinen Job im Europaparlament in der Zeit zwar weitergemacht.
       Niemand von uns sitzt hauptamtlich in der Antragskommission. Aber es war
       schon ein sehr exzessives Hobby“, sagt Neumann.
       
       Allein in das Thema der Drohnenbewaffnung habe sie damals mindestens 15
       Stunden Arbeit gesteckt. Zig Anträge waren dazu eingegangen. Neumann hat
       alle gelesen, sie miteinander verglichen, Expertise eingeholt,
       Kompromissvorschläge formuliert, mit Antragsteller*innen telefoniert
       und Videokonferenzen abgehalten. Am Ende bekam sie von allen die
       Zustimmung, die Anträge auf drei Positionen herunterzubrechen: keine
       Bewaffnung der Drohnen, Prüfung von Einsatzszenarien vor einer Entscheidung
       oder Bewaffnung mit strengen Regeln. Diese drei Optionen kamen auf dem
       Parteitag zur Abstimmung.
       
       „Die Antragskommission ist die Herzkammer unserer Parteidemokratie. Ich
       liebe diese Partei für ihre Beteiligungsmöglichkeiten“, sagt Neumann. „Aber
       über 3.000 Anträge so zu bündeln, dass die Delegierten die Übersicht
       behalten und sinnvolle Abstimmungen möglich bleiben, ist auf Dauer nicht zu
       leisten.“
       
       Das Argument lassen auch an der Parteibasis viele gelten. Selbst
       Karl-Wilhelm Koch hält das Ansinnen der Parteispitze grundsätzlich für
       „nachvollziehbar“. Unverständlich ist für viele Mitglieder aber, warum die
       Bedingungen auf einen Schlag massiv verschärft werden sollen. Zum Antrag
       der Satzungsänderung sind von der Basis wiederum elf Änderungsanträge
       eingegangen, der erfolgreichste davon übrigens mit 81 Unterschriften. Einer
       fordert die Beibehaltung des bisherigen Quorums, andere schlagen einen
       behutsamen Anstieg vor: eine Hürde von 25, 30 oder 50 Anträgen.
       
       Möglich, dass am Ende ein Kompromiss durchgeht. Die Parteispitze pokert
       aber bis auf Weiteres hoch. „Wir haben bewusst einen Vorschlag gemacht“,
       sagte Michael Kellner am Mittwoch, „den wollen wir auch zur Abstimmung
       stellen, damit die Versammlung in ihrer Weisheit entscheiden kann.“
       
       27 Jan 2022
       
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