# taz.de -- Tobias Ginsburg über rechte Ideologie: „Diese Angst ist eine Waffe“
       
       > Antifeminismus und Kampf gegen die Demokratie strahlen bis in den
       > Mainstream hinein, sagt Tobias Ginsburg. Er hatte sich undercover unter
       > Rechte gemischt.
       
 (IMG) Bild: Ob Reichsbürger, Neonazi, Incel oder Islamist: Sie eint der Antifeminismus, so Ginsburg
       
       taz: Herr Ginsburg, Sie haben sich den Kopf geschoren, um mit sexuell
       frustrierten Männern über die Vergewaltigung von Frauen und mit Faschisten
       über die Ausrottung „minderwertiger“ Menschen zu fantasieren. Warum? 
       
       Tobias Ginsburg: Ich schaue mir vieles, was sonst als Selbstinszenierung
       von Extremisten zu sehen ist, gern aus nächster Nähe an.
       
       Ist das nicht furchtbar? 
       
       Es ist in erster Linie eine Bekämpfung meiner Furcht. All diese
       antidemokratischen, menschenfeindlichen Positionen können einem irre Angst
       einjagen. Aber wenn ich mich in die Szene hineinwage, lassen sich die
       Drohkulissen einreißen und ich sehe die Menschen dahinter. Das macht die
       Gefahr zwar nicht kleiner, aber es ist unumgänglich für die Frage, wie wir
       diesen Ideologien gesellschaftlich begegnen.
       
       Sie sind also einfach zu [1][Burschenschaftlern] gegangen und haben mit
       denen Bier getrunken? 
       
       Zunächst habe ich mir falsche Identitäten zugelegt: einen Allerweltsnamen,
       Webseiten, verschiedene Fake-Profile. Wer mich googelte, fand etwas, aber
       nichts zu Spezifisches. Ich muss flexibel bleiben mit den Rollen, in die
       ich schlüpfe. Denn erstens will ich möglichst unvoreingenommen sein und
       wirklich verstehen, was die Menschen da reinreißt. Da kann ich nicht mit
       vorgeformten Feindbildern arbeiten.
       
       Und zweitens? 
       
       Die Ideologien mögen krude erscheinen, aber sie sind in sich geschlossen.
       Also werde ich zum Echo derjenigen, die ich treffe: Ich gebe das Gehörte
       nur wieder. Außerdem macht man sich so schnell beliebt. Das ist wie im
       echten Leben: Als Jasager kommt man leicht durch.
       
       Das klingt, als ob es ganz einfach war, sich Zutritt zu höheren Ebenen der
       extremen Rechten zu verschaffen. 
       
       Diese seltsamen Welten, die bereits bis mitten in unsere Gesellschaft
       reichen, sind darauf aus, neue Leute zu rekrutieren. Wenn ich also etwas
       verspreche, was dafür dienlich ist – sei es Reichweite, Geld oder Loyalität
       –, bin ich da schnell drin. Als vermeintlicher AfD-Mann mit fiktiver
       finanzkräftiger Organisation im Rücken habe ich es sogar zu einer
       klerikalfaschistischen Organisation in Polen geschafft. Das ist extrem
       spooky, wenn die die Arme ausbreiten: Komm rein, werde Teil unseres
       internationalen Netzwerks!
       
       Die Bandbreite derjenigen, die Sie undercover besucht haben, ist groß. Was
       haben polnische Klerikalfaschisten mit den liberalen Männern der FDP zu
       tun, einer Regierungspartei? 
       
       Antifeminismus hält die extreme Rechte zusammen und ist anschlussfähig für
       die bürgerliche Gesellschaft. Die Rechte versucht darüber, immer mehr
       Menschen zu radikalisieren und Unsagbares sagbar zu machen. Bedrohlich gut
       funktioniert das mit dem Hass gegen „Verweiblichung“, gegen Emanzipation
       von Frauen und sexuellen Minderheiten. Die Angst davor, dass der westliche
       Mann ausstirbt, steckt in so ziemlich allen rechtsterroristischen
       Manifesten der letzten zehn Jahre. Diese Angst ist eine Waffe. Der bin ich
       hinterhergereist.
       
       Wo sind Sie gewesen? 
       
       Zum einen tief im neurechten Netzwerk, auch bei der US-amerikanischen
       Alt-Right. Aber ich wollte auch schauen, wie die Gedanken im bürgerlichen
       Lager instrumentalisiert werden. Deshalb bin ich in die sogenannte
       Manosphere hinabgestiegen, in die Ausprägungen eines radikalen, aber
       weitverbreiteten Antifeminismus und Männlichkeitswahns. Mögen das nun
       bürgerliche Männerrechtler sein oder Pick-Up-Artists oder [2][Popstars wie
       Kollegah], dem ich monatelang hinterhergereist bin.
       
       Sie machen sich über Ihre Protagonisten lustig, entdecken Sympathisches,
       manche tun Ihnen leid. Wie viel Empathie darf man mit Nazis haben? 
       
       Ich würde erst mal von mir weisen, dass ich mich über sie lustig mache.
       
       Sie schreiben: „Ich lache diese Männer aus.“ 
       
       Okay, ertappt, aber das war ein wirklich außergewöhnlicher Moment. Eine
       bürgerliche Männerrechtsgruppe diskutierte ausufernd darüber, wie man
       Frauen am besten zwischen die Beine treten könne – weil Frauen ihrerseits
       ja beigebracht würde, Männern in die Eier zu treten, um sich vor
       Vergewaltigung zu schützen. Da traten schwer erträgliche Gewaltfantasien
       zutage. Ich habe schon mit [3][Al-Quds-Islamisten] Tee getrunken, ich war
       in einer Reichsbürgersekte – aber in diesem Moment musste ich zum ersten
       Mal einfach lachen. Aber trotzdem: Lachhaft sind nicht die Menschen, es
       sind ihre Ideen.
       
       Inwiefern? 
       
       Wir sollten nicht so tun, als seien das ein paar komische Hampelmänner am
       Rande der Gesellschaft – das sind sie nicht. Ihre Gedankenwelten mögen
       krude oder komisch sein, aber die Schicksale dahinter sind oft bedrückend
       oder traurig.
       
       Die Rechten als Opfer? 
       
       Nein, aber mitunter als Beute. Es gibt Verführer und Verführte, Profiteure
       und Verwirrte, Bösartige und Verzweifelte. Das entschuldigt nichts, aber
       wenn man hinter die Fotos und Videos der Identitären Bewegung schaut,
       hinter die beklemmenden Fackelzüge, dann begegnet man schlicht Menschen.
       Die geben sich Mühe, möglichst hart und gefährlich zu wirken. Aber mich
       interessieren die Risse – das, was nicht zur Inszenierung passt. Wenn wir
       dem Hass Einhalt gebieten wollen, müssen wir verstehen, wie er
       funktioniert.
       
       Was sind Frauen für diese Menschen? 
       
       Diese Männer verstehen sich nicht unbedingt als Frauenhasser, oft hört man
       eher die Argumentation des betrunkenen Onkels oder unangenehmen Nachbarn.
       Da werden Frauen abstrahiert, werden zur Verkörperung für den Verlust
       tatsächlicher oder vermeintlicher Privilegien. Mir wird etwas genommen,
       ich habe nicht das, was mir zusteht, die Welt ist mir das schuldig – das
       ist deren Refrain. Und schuld sind die Frauen, die aufmucken. Manchmal wird
       das zum pathologischen Frauenhass. Je tiefer im rechten Milieu, desto
       klarer hat die Frau die Funktion als Brutkasten und Haussklavin.
       
       Was bedeutet Männlichkeit in diesem Spektrum? 
       
       Männlichkeit ist, was immer man sich wünscht. Mächtig zu sein, autark,
       stark, souverän – all das wird auf das eigene Geschlecht projiziert. Das
       sind uralte Stereotype, die uns allen in den Knochen stecken. Außerdem ist
       es flexibel: Was den Leuten am meisten fehlt, machen sie zum männlichen
       Ideal.
       
       Sie sind jüdisch. Sich auf einem Neonazikonzert zu tummeln, ist eine große
       Gefahr für Sie. Wie war das für Sie, sich dort zu bewegen? 
       
       Als ich vor elf Jahren das erste Mal undercover ging, tat das noch richtig
       weh, diesen eiskalten, studierten Hass zu sehen. Aber als deutscher Jude
       muss ich leider nicht erst in die extreme Rechte abtauchen, um
       Antisemitismus zu erleben. Meine Recherchen bringen da eher zu Tage, was
       man ohnehin zu spüren bekommt: wie stark es unter der Oberfläche brodelt.
       
       Welche Erkenntnisse nehmen Sie mit? 
       
       Das Schrecklichste war vermutlich, zu erkennen, dass extreme Formen von
       Antifeminismus und Antipluralismus längst im Mainstream angekommen sind.
       Vorstellungen von ominösen Trans- und Homolobbys, die die traditionelle
       Familie bedrohen, lassen sich in großen deutschen Zeitungen nachlesen.
       Zweitens musste ich erkennen, dass das, was da passiert, kein Zufall ist.
       
       Warum nicht, wie meinen Sie das? 
       
       Hinter dieser Kampagne steckt Strategie. Klar, die viel beschworene Krise
       der Männlichkeit, das Bangen um Privilegien – das kennen wir seit der
       Antike. Traditionelle Männlichkeit steckt immer in der Krise. Aber wie
       stark daraus politisches Kapital geschlagen werden kann, hat sich in den
       letzten zehn Jahren auf einem globalen Level gezeigt.
       
       Inwiefern? 
       
       Der Hass hat sich weltweit angeglichen und so auch eine neue Qualität
       erreicht. Ob Boston oder Bautzen: das sind die gleichen
       verschwörungsideologischen Ideen von der Abschaffung des Mannes. Das liegt
       aber nicht nur am Internet, sondern auch an Netzwerken, die international
       tätig sind. In Deutschland heißt es schnell: die Polen mit ihrem
       Katholizismus, das sei nicht mit uns vergleichbar. Aber die neurechte
       Sprache und die Narrative sind genau dieselben. Evangelikale, Neofaschisten
       und kremlnahe Oligarchen wissen, welche Narrative global greifen, und
       befeuern sie. Und die gekränkten Männer und neurechten Nachwuchskrieger
       begreifen nicht, dass sie Instrumente sehr mächtiger Menschen sind, die
       gerade zur Schlacht rufen.
       
       Zur Schlacht worauf? 
       
       Ob es um Schwangerschaftsabbrüche oder Schwulenhass geht – das sind
       Instrumente in einem antidemokratischen Kampf. Dahinter stehen Menschen,
       die ganz konzentriert daran arbeiten, die Demokratie abzuschaffen.
       
       25 Jan 2022
       
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