# taz.de -- Lügenbilderbuch zur Landwirtschaft: Immer auf die Kleinen
       
       > Die niedersächsische Landwirtschaftskammer, eine Behörde, übt sich in
       > Schönfärberei gegenüber einem kindlichen Publikum.
       
 (IMG) Bild: Verursacht Artensterben in großem Stil: der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft
       
       Nichts gegen Propaganda: Wenn eine Lobbyorganisation Infomaterial unters
       Volk bringt, ist das stets eine Schulung fürs kritische Denken, eine
       Möglichkeit, zu reflektieren, wie stark man anfällig ist für Appelle ans
       Unbewusste. Weil: Es ist klar, dass die ihre Produkte vermarkten und ihre
       eigennutzgetriebene Agenda als moralisch mustergültiges Handeln vorstellen
       wollen; na, und wer’s glaubt, wird halt selig.
       
       Wenn also der [1][Bauernverband] beziehungsweise seine niedersächsische
       Gruppierung, die sich [2][Landvolk] nennt, seine Medienmacht dazu genutzt
       hätte, das Bilderbuch „Landwirtschaft? Artenvielfalt? Was ist denn das?“ zu
       promoten, würde zu Recht kein Hahn danach krähen. Denn selbstverständlich
       ist dem agrochemischen Komplex im deutschen Monokultur- und
       Massentierhaltungsparadies Niedersachsen daran gelegen, seine schädlichen
       Auswirkungen zu verschleiern. Geschenkt!
       
       Aber: Dieses Buch hat die niedersächsische Landwirtschaftskammer
       [3][unterstützt], und im Vorwort beansprucht sie eine Ko-Autorschaft des
       von einem gewissen Uwe Klindworth verfassten Werks: „Mit diesem Buch
       möchten wir euch zeigen“, wendet sich ihr Präsident Gerhard Schwetje ans
       junge Publikum, „was Landwirtinnen und Landwirte alles machen, um die
       Pflanzen und Tiere zu schützen.“
       
       Die Landwirtschaftskammer ist kein Ableger des Bauernverbands, wohlgemerkt.
       Landwirtschaftskammern sind in Norddeutschland – Funfact: die erste
       entstand 1849 im Superagrarland Bremen – eher Teil der Verwaltung. Sie
       nehmen hoheitliche Aufgaben wahr, wie eine staatliche Behörde. Behörden
       aber sind in puncto Kommunikation der Wahrheit verpflichtet – und der
       Neutralität. Ganz besonders, wenn sie sich an Kinder wenden. Ein Bilderbuch
       über das Verhältnis von Landwirtschaft und Artenvielfalt ist nämlich ein
       Medium politischer Bildung.
       
       Dazu gehört – das ist das im [4][Beutelsbacher Konsens] festgehaltene
       Minimum –, dass Konflikte auch als Konflikte dargestellt werden. Sprich: Zu
       zeigen wäre auch, was Landwirte und Landwirtinnen alles getan haben, um
       Pflanzen und Natur zu schaden. Ihr Beitrag zum dramatischen Insekten- und
       Vogelschwund und zur Verengung der Lebensräume darf nicht verschwiegen
       werden, wenn ihr Verhältnis zur Artenvielfalt Thema ist. Und erst recht
       nicht, wenn das Werk per Untertitel den Anspruch erhebt, zu klären, „was
       niedersächsische Landwirtschaft eigentlich ist“.
       
       Hier aber wird suggeriert, diese sei harmonisch und gut, ja, die
       Bewirtschaftung der Felder fördere den Reichtum in Flora und Fauna und
       diese hätten gemeinsame natürliche „Feinde wie Unkraut, Schädlinge,
       Bakterien und Pilze“.
       
       Auch Kindern ist die Wahrheit zumutbar; dass die vielbeschworene
       Produktsicherheit agrarischer Güter, ihr niedriger Preis und die wirklich
       komfortable Versorgungslage [5][ein erhebliches Maß an Umweltzerstörung]
       bedeuten, gehört zu den Tatsachen, mit denen sie umzugehen lernen müssten.
       Und völlig richtig wäre es, das Umdenken, das allmählich – viel zu langsam!
       – in Gang kommt und sich in Regelungen wie der Novelle der
       „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ manifestiert, zu erzählen. Die
       Herausforderung wäre, das kindgerecht zu tun und ohne sperrige Worte.
       
       Aber den lieben Kleinen weiszumachen, dass, „erst wenn nichts mehr hilft
       […] Planzenschutzmittel, sozusagen als Medizin, eingesetzt“ würden, ist
       schlicht unwahr, solange prophylaktische Saatgutbeize mit Herbi-, Fungi-
       und Pestiziden erlaubt bleibt. Wie sollen sich die Kinder dagegen wehren?
       Wie sollen sie erkennen, dass es die zuvor abgefeierte Agrarindustrie ist,
       die dafür gesorgt hat, dass sie die auf der nächsten Seite dargestellten
       süßen Tiere, die Ringelnatter und den Edelkrebs, den Feldhamster und die
       Wiesenweihe nimmermehr in natura zu Gesicht bekommen? Eine
       Landwirtschaftskammer, die diese Verschleierung fördert, verrät ihren
       Auftrag.
       
       28 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bauernverband.de/
 (DIR) [2] https://landvolk.net/
 (DIR) [3] https://www.lwk-niedersachsen.de/lwk/news/38607_%E2%80%9ELandwirtschaft_Artenvielfalt_Was_ist_denn_das%E2%80%9C
 (DIR) [4] https://www.lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens
 (DIR) [5] /Bauernproteste-gegen-Umweltauflagen/!5642349
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Artensterben
 (DIR) Klimakonferenz in Dubai
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Volksbegehren Artenvielfalt
 (DIR) Düngemittel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nabu-Präsident zur Klimakonferenz: „Wir erleben eine Krise der Natur“
       
       Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger warnt davor, die Biodiversität zu
       vernachlässigen. Warum die FDP und das Agrarministerium ein Problem sind.
       
 (DIR) Zwist zwischen Umwelt- und Agrarressort: Groko streitet über Agrarhilfen
       
       Das Bundesumweltministerium will, dass Bauern für EU-Subventionen mehr in
       Sachen Natur leisten. Jetzt greift es das Landwirtschaftsressort an.
       
 (DIR) Volksbegehren Artenvielfalt: Besser als in Bayern
       
       Das niedersächsische Volksbegehren Artenvielfalt wird wohl noch im November
       gestoppt – wenn der Landtag den „niedersächsischen Weg“ verabschiedet.
       
 (DIR) Neue Regeln zum Schutz des Wassers: Bauern müssen weniger düngen
       
       Bundesrat billigt umkämpfte Verordnung: In belasteten Gebieten muss 20
       Prozent weniger gedüngt werden. Bauern und Wasserwerke sind unzufrieden.