# taz.de -- Film „Highfalutin“: „Was ist das Leben ohne Wehmut?“
       
       > Er erscheint zärtlich und brutal, grazil und kolossal. Hans Broich setzt
       > dem Schauspieler Volker Spengler ein Denkmal in seinem Film
       > „Highfalutin“.
       
 (IMG) Bild: Volker Spengler (l.) mit dem Filmemacher Hans Broich im Diener Tattersall
       
       Wehmut kennzeichnet eine Verwandtschaft zur Melancholie. Sich wehmütig an
       eine Verlusterfahrung zu erinnern transportiert immer auch den bittersüßen
       Nachgeschmack dessen, was nicht mehr da ist. Wo Wehmut sich hin zur
       Melancholie neigt, will sie wiederbeleben, was doch unwiederbringlich
       verloren ist. Eine solche Neigung erschafft mitunter wiedergängerische
       Figurationen, eurydische Nachbilder aus dem Totenreich.
       
       „Was ist das Leben ohne die Wehmut? Ziemlich traurig, würde ich sagen“,
       heißt es an einer Stelle in [1][Rainer Werner Fassbinders seminalem Film
       „In einem Jahr mit 13 Monden“ (1978)], der die letzten Tage im Leben einer
       trans Frau vor dem Suizid erzählt. Den Satz spricht Volker Spengler, der in
       der Hauptrolle der Elvira Weishaupt mit einer darstellerischen Tour de
       force Filmgeschichte schrieb.
       
       An diesem Punkt war der 1939 geborene Volker Spengler bereits mehrere Jahre
       zur See gefahren, hatte in Wien Schauspiel studiert und mit Fritz Kortner
       in Berlin zusammengearbeitet. Er sollte neben seinen
       Fassbinder-Kollaborationen noch für Christoph Schlingensief und Volker
       Schlöndorff vor die Kamera treten, bis er schließlich für [2][Frank
       Castorf] und [3][René Pollesch] wieder auf Berliner Theaterbühnen
       zurückfand.
       
       ## Erinnerungen, Witze, Gedankenfetzen
       
       Mit seinem Film „Highfalutin“ (2021) hat ihm Hans Broich ein wehmütiges
       Denkmal gesetzt. Broich versammelt in Spenglers Westberliner Stammlokal,
       dem Diener Tattersall, Schauspieler:innen, Künstler:innen, Freund:innen
       des Anfang 2020 Verstorbenen. Und Broich lässt sie erzählen: Erinnerungen,
       Witze, Gedankenfetzen, in denen sich Hochtrabendes, Vulgäres, Entlarvendes
       und Selbstentlarvendes überlagern und vermengen. Genau so wie es die
       Blickachsen und Anschlüsse der Einstellungen tun.
       
       Daraus kristallisiert sich das Porträt eines Menschen, der zärtlich und
       brutal, grazil und kolossal war. Den einerseits eine unbändige Lust an der
       Provokation um ihrer selbst willen antrieb, der in raren Momenten die
       Provokation aber auch als beinahe moralistische Parteinahme für Schwächere
       zu handhaben wusste. Dem ein eilfertiges Harmonieklima im Privaten wie in
       der Kunst nie behagt haben dürfte. An der Berliner Volksbühne, an der
       Spengler öfters spielte, wird die Berliner Premiere von „Highfalutin“
       gezeigt.
       
       Der Filmwissenschaftler Marc Siegel vergleicht Spengler einmal mit dem
       brasilianischen Musical-Star Carmen Miranda, die anarchische Schroffheit
       und Sanftmut jonglierte und das Umfeld in ihren Hollywoodfilmen nachhaltig
       verwirrte. Für ein paar Minuten setzt sich Volker Spengler auch mal an den
       Tisch, etwa in der Mitte des Films. Er ist von Alter und Krankheit
       gezeichnet, nimmt sich zurück, bleibt wortkarg, trinkt Wasser statt Gin
       Tonic. Dann geht er wieder, trotz und wegen seiner physischen Anwesenheit
       bleibt eine Distanz.
       
       ## Eine spiritistische Sitzung
       
       Der Rahmen der Gesprächsrunde, den der Film um diese Erscheinung Spenglers
       legt, erinnert nicht zufällig an eine Art Séance. Eine spiritistische
       Sitzung, bei der die Anwesenden mithilfe eines Mediums Kontakt zu einem
       Geist aufzunehmen versuchen, einer verstorbenen Person, die man vermisst,
       die einem fehlt. Das Medium dieser Séance sind zweifelsohne der Film und
       seine technischen Mittel.
       
       In dem vielleicht schönsten Moment von „Highfalutin“ bricht plötzlich aus
       dem Off das kehlige Lachen Volker Spenglers über eine montierte Tonspur in
       den Raum des Lokals: als akusmatisches Wesen, das offenbar mitgehört zu
       haben scheint. Das als allmächtige und allwissende Präsenz die Erzählungen
       über das eigene Leben mit diesem charakteristischen Lachen quittiert, in
       dem sich Brachialgewalt und freies Schweben die Waage halten.
       
       Ein Lachen, das auf alles Gesagte zu antworten scheint und doch nichts
       Ausdrückliches preisgibt, sich wiederum als Rätsel präsentiert. Als
       Reaktion darauf hält die Runde inne, man schweigt, raucht und reflektiert.
       Die Séance um Volker Spengler als eurydische Figur, die aus dem Totenreich
       gerufen wurde, scheint geglückt.
       
       Orpheus’ Frau Eurydike trug im antiken Sagenstoff auch den Namen Agriope,
       was manche Quellen übersetzen als „die mit dem wilden Gesicht“. Ein
       eigenartiger Zufall, wenn es denn ein Zufall sein sollte. Was wären Theater
       und Film ohne all ihre wilden Gesichter, an denen sich die Wehmut des
       Tagesgeschehens wahrnehmen lässt?
       
       4 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Moersener
       
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