# taz.de -- Rücktritt von Kanzler Kurz: Kernschmelze eines Systems
> Wie soll in Österreich eine Regierung mit einem Strohmann, den der Pate
> Sebastian Kurz nach Mafiaart im Kanzleramt installiert, arbeiten können?
(IMG) Bild: Sebastian Kurz übergibt das Amt des Bundeskanzlers an Außenminister Alexander Schallenberg
Noch am Vortag hatten die Parteigranden der Österreichischen Volkspartei
(ÖVP) peinliche Treuebekundungen unterschrieben. Doch am Samstagabend war
[1][Sebastian Kurz nicht mehr zu halten]. Der einstige Strahlemann trat als
Bundeskanzler zurück, um seiner Partei die Regierungsführung und die
[2][Koalition mit den Grünen] zu retten. Er will sich künftig auf die Rolle
des Fraktionsvorsitzenden im Parlament beschränken.
Es ist die Flucht aus dem Amt in ein anderes, um den völligen Untergang
doch noch vermeiden zu können. Sebastian Kurz sitzt jetzt im
Fraktionsvorsitz, um hier die Korruptionsermittlungen gegen ihn und seine
sinistren Netzwerke auszusitzen und irgendwann als Kanzler zurückzukehren.
Heute liegt schon genug auf dem Tisch. Die Chats, die er mit seinen
Günstlingen austauschte, offenbaren einen Abgrund an Niedertracht,
Staatsfeindlichkeit und schierer krimineller Energie. Kurz ist
[3][Beschuldigter in verschiedenen Verfahren], bei denen es mittlerweile
auch um Untreue und Bestechlichkeit geht.
Wie soll da eine Regierung mit einem Strohmann, den der Pate nach Mafiaart
im Kanzleramt installiert, arbeiten können? Wie soll der Staat überhaupt
noch funktionieren, wenn ein als Kanzler Demontierter im Fraktionsvorsitz
verbleibt und hier auf Revanche sinnt, nicht zuletzt gegenüber dem grünen
Koalitionspartner? Die Korruptionsermittlungen gegen die mutmaßlich
kriminellen Netzwerke gehen ja weiter, es wird wöchentlich etwas Neues
herauskommen, das die ÖVP unter Druck und die Regierung lahmlegen wird. Es
ist die Kernschmelze eines Systems.
Noch hängt die ÖVP an ihrem gefallenen Ex-Strahlemann, es fällt ihr
sichtlich schwer, in der Realität anzukommen. Dabei droht ihr damit ein
Skandal ohne Ende und im Extremfall der Untergang, wenn sie nicht schnell
mit dem Kurz-System aufräumt. Kurz spekuliert jetzt darauf, wie etwa sein
großes Vorbild Benjamin Netanjahu jahrelange Korruptionsenthüllungen zu
überstehen, das Land in Geiselhaft halten und mit „Unschuldiges
Opfer“-Kampagnen an die Macht zurückkommen zu können. Der Schaden, den er
damit anrichtet, ist ihm sichtbar egal. Er ist der böse Geist der
österreichischen Politik. Und am Ende wird es doch nur ein Rücktritt auf
Raten gewesen sein, denn längst ist Kurz der Haftanstalt mindestens ebenso
nah wie dem Wiedereinzug ins Kanzleramt.
10 Oct 2021
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