# taz.de -- Afghanistan nach dem Machtwechsel: Die Charmeoffensive
       
       > Bei der ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme haben sich die
       > Taliban versöhnlich gegeben. Vor allem Frauen haben Zweifel an den
       > Versprechen.
       
 (IMG) Bild: Sabihullah Mudschahid ist seit Jahren der wichtigste Sprecher der Taliban; 18.08.2021
       
       Berlin taz | Eine versöhnliche Generalamnestie, einen inklusiven starken
       Staat nach islamischen Gesetzen, volle Rechte für Frauen im Rahmen der
       Scharia, Freiheit für unparteiische und private Medien, ein Verbot des
       Drogenanbaus und gute Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft: All
       dies [1][haben die afghanischen Taliban] am Dienstagabend bei ihrer ersten
       Pressekonferenz in Kabul nach ihrer dortigen Machtübernahme versprochen.
       
       Bei dem rund einstündigen Auftritt am Dienstagabend vor
       Journalist*innen in Kabul gab sich Talibansprecher Sabihullah
       Mudschahid auffällig konziliant, vermied jeglichen Triumphalismus über den
       miliärischen Sieg und bot den alten Feinden die Freundschaft der
       Gotteskrieger an: „Wir wollen weder im Aus- noch im Inland Feinde haben“,
       sagte er. Er versprach, es werde keine Racheakte an denjenigen geben, die
       der bisherigen Regierung oder ausländischen Mächten gedient hätten.
       
       Den Taliban sei demnach auch die Sicherheit der ausländischen Botschaften
       in Kabul ein wichtiges Anliegen. Dabei sei es jetzt schon sicherer in der
       Hauptstadt als noch eine Woche zuvor, so Mudschahid. Die Taliban seien
       gegen Chaos und würden sich wünschen, dass Landsleute nicht ins Ausland
       fliehen. „Wir tun niemandem etwas an“, beteuerte der mit einem schwarzen
       Turban bekleidete Sprecher.
       
       Wiederholt sprach er selbst die künftige Situation von Frauen an, wurde
       aber auch von ungläubigen Journalist*innen immer wieder danach gefragt.
       Frauen hätten das Recht auf Bildung, Gesundheit und Arbeit, sagte
       Mudschahid, um stets sogleich den relativierenden Halbsatz hinzuzufügen „im
       Rahmen der Scharia“.
       
       ## „Musliminnen sollten froh sein, unter der Scharia zu leben“
       
       Das „islamische Gesetz“ ist bekanntlich Auslegungssache und bereits in
       Afghanistans bisheriger Verfassung ein wichtiger und zum Teil
       widersprüchlich formulierter Bezugsrahmen. Doch wie die Taliban die Scharia
       jetzt im Hinblick auf Frauen definieren, sagte Mudschahid nicht.
       
       Wegen ihrer früheren islamistischen Praxis stoßen die Taliban, die Frauen
       unter die Burka und ins Haus zwangen und ihnen Bildung verwehrten, bei
       vielen auf Ablehnung und lösen Ängste aus. Die dürften jetzt auch durch die
       vagen Äußerungen nicht ausgeräumt sein. Denn Mudschahid sagte auch,
       Musliminnen sollten doch froh sein, unter der Scharia leben zu können.
       
       Er kündigte für die nächsten Tage die Bildung einer neuen Regierung an,
       deren genauer Form er nicht vorgreifen wolle. Doch werde die Regierung
       sicherstellen, dass Afghanistan nicht mehr benützt würde, um andere Länder
       anzugreifen. Die Taliban seien reifer als vor zwanzig Jahren, so Mudschahid
       selbstkritisch.
       
       Kurz zuvor war mit Mullah Abdul Ghani Baradar der bisherige Leiter des
       internationalen Büros der Taliban in Doha nach Kandahar geflogen. Es wird
       damit gerechnet, dass der Vizechef der Taliban, der zugleich als ihr
       politischer Kopf gilt, in der neuen Regierung eine zentrale Rolle einnimmt.
       
       ## Bemühen um internationale Anerkennung
       
       Deutlich wurde bei Mudschahids Auftritt das Bemühen der Taliban,
       international anerkannt zu werden. Das dürfte zu den gemäßigten Tönen
       beigetragen haben. Beim künftigen Verbot des Drogenanbaus machte Mudschahid
       denn auch zugleich deutlich, dass zum Umstieg auf alternative Anbauprodukte
       ausländische Hilfen nötig seien.
       
       Die ersten Reaktionen auf die Rede waren bei den Regierungen etwa von Katar
       und Pakistan denn auch positiv. Nach Angaben eines pakistanischen Ministers
       erwäge Islamabad die baldige Anerkennung der Machtübernahme der Taliban in
       Kabul. Die von 1996 bis 2001 amtierende letzte Taliban-Regierung war nur
       von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten
       anerkannt worden.
       
       Jetzt sind die Taliban immerhin schon zum Verhandlungspartner mehrerer
       Regierungen wie der deutschen geworden, die sich in diesen Tagen um die
       Ausreise ihrer Landsleute und ihrer Ortskräfte vom [2][Flughafen Kabul] aus
       bemühen.
       
       Mudschahid ist seit Jahren der wichtigste Sprecher der Taliban. Deshalb ist
       sein Name auch den meisten Afghanen geläufig. Doch hatten sie ihn bis dahin
       noch nie live gesehen, weil er im Untergrund lebte. Jetzt hielt er die
       Pressekonferenz ausgerechnet genau in dem Briefing-Raum der gestürzten
       Regierung ab, den auch der vor knapp zwei Wochen von den Taliban ermordete
       bisherige Regierungssprecher zu nutzen pflegte.
       
       ## Versöhnliche Geste gegenüber den Hasara
       
       Angesprochen auf die vielen Terroropfer der Taliban und den ermordeten
       Sprecher erklärte Mudschahid, es sei Krieg gewesen. Auch die Taliban hätten
       hohe Verluste gehabt.
       
       Die Zweifel insbesondere von Frauen an den Versprechen der Taliban sind
       berechtigt, schließlich sind sie eine durch Gewalt und Terror an die Macht
       gekommene autoritäre Bewegung. Die Taliban lehnen Wahlen explizit ab. Und
       vereinzelt gibt es auch bereits erste noch unbestätigte Berichte über neue
       Taliban-Gräuel und über einzelne Racheakte.
       
       Andererseits scheinen einige Taliban jetzt mit symbolischen Gesten zeigen
       zu wollen, dass sie dazugelernt haben. So besuchten inzwischen mehrere
       Taliban-Funktionäre im Kabuler Stadtteil Dasht-e-Barchi eine dortige
       Gemeinde ethnischer Hasara, um mit ihnen ein religiöses Fest zu feiern. Die
       schiitischen Hasara wurden früher von den Taliban unterdrückt und zum Teil
       massakriert.
       
       In Dasht-e-Barchi waren im Mai 2020 bei einem Angriff eines bewaffneten
       Kommandos auf die Geburtsklinik des dortigen Krankenhauses mehr als 20
       Personen getötet worden. Schon damals hatten sich die Taliban von dem
       barbarischen Anschlag auf Frauen, zu dem sich niemand bekannt hatte und der
       wahlweise ihnen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) zugeschrieben
       wurde, distanziert. Der jetzige Besuch unterstreicht also mit einer
       versöhnlichen Geste Mudschahids hehre Versprechen und soll die Hasara
       offenbar beruhigen.
       
       18 Aug 2021
       
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