# taz.de -- Buch über Antonio Gramsci: Der italienische Marx
       
       > Eine Einführung des Berliner Soziologen und Dramatikers Johannes
       > Bellermann in das Denken des Philosophen Antonio Gramsci.
       
 (IMG) Bild: Gemälde des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci beim Gramsci-Monument in New York
       
       Für die nächsten zwanzig Jahre müssen wir verhindern, dass dieses Gehirn
       funktioniert.“ Kurzfristig hatte der Staatsanwalt, der [1][im Mai 1928
       Antonio Gramsci vor einem Sondergericht im faschistischen Italien
       Mussolinis anklagte,] Erfolg. Der italienische Kommunist wanderte zwar ins
       Gefängnis und starb dort 1937. Doch in diesen neun Jahren skizzierte er
       trotz schwerer Krankheit und restriktiver Haftbedingungen politische
       Kategorien, deren Wirkmacht ungebrochen ist.
       
       Von der „Hegemonie“ bis zur „Zivilgesellschaft“ – im politischen Diskurs
       heute wimmelt es nur so von Begriffen, die Gramscis legendären
       „Gefängnisheften“ entlehnt sind.
       
       Meist werden sie jedoch aus dem Zusammenhang gerissen oder machttaktisch
       instrumentalisiert. Mit neuen Deutungen Gramscis wartet der Berliner
       Soziologe und Dramatiker Johannes Bellermann in seiner Einführung in
       Gramscis Denken, Leben und Rezeption nicht auf.
       
       Kenntnisreich zeichnet er nach, wann und wie Gramsci seine Theorien und
       Begriffe entwickelte: Integraler Staat, Organischer Intellektueller oder
       die „Superstruktur“ (das Analogon zu Marx’ Überbau). So erfüllt sein Band
       gleichsam exemplarisch das Ziel des Verlages, mit seiner vor elf Jahren
       aufgelegten „theorie.org“-Reihe „einen Einstieg in zentrale Themen linker
       Theorie“ zu bieten.
       
       ## „Hegemonie“ von Lenin
       
       Bellermann geht nüchtern und kritisch vor. Er erinnert daran, dass dessen
       Begriffe, heute zu universalen Schablonen geronnen, vor dem Hintergrund der
       italienischen Geschichte des 19. Jahrhunderts entstanden. Oder er weist
       darauf hin, dass viele von Gramscis Ideen auf denen von Zeitgenossen
       aufbauten. Den Zentralbegriff „Hegemonie“ etwa übernahm er von dem
       Philosophen Georgi Plechanow und von Lenin.
       
       Das Zauberwort hatte in den achtziger Jahren der damalige
       SPD-Geschäftsführer Peter Glotz bei dem Versuch ausgegraben, seiner Partei
       „neue Mehrheiten“ zu organisieren. Heute bekennt sich ein Mann [2][wie
       Björn Höcke offensiv zu Antonio Gramscis Konzept], mit den Begriffen das
       Denken und schließlich den Staat zu prägen.
       
       Wenn Gramsci, wie Bellermann ausführt, die „nazional-populare“ Kultur gegen
       die kosmopolitische Elite in Stellung brachte, markiert er eine
       Schnittstelle zu Argumentationsfiguren wie sie die Linken-Politikerin Sarah
       Wagenknecht aufgreift. Doch nur weil die Neue Rechte sich heute auf Gramsci
       beruft und seine Idee der kulturellen Hegemonie als „Metapolitik“
       übersetzt, ist das kein Grund, den unorthodoxen Marxisten ad acta zu legen.
       
       Diese Querfront sollte Linke veranlassen, den „kulturellen Faktor“ selbst
       ernster zu nehmen. Die kulturelle Praxis ist eine Keimzelle der Ideologien.
       Sie gehen jeder „Ordine Nuovo“ voraus. Bellermann enthält sich jeder
       Bewertung. Wenn er am Ende davon spricht, dass dessen Vision einer
       selbstbestimmten, partizipativen Gesellschaft und Wirtschaft „Aufgabe
       unserer Zeit“ sei, sollte sie hier ansetzen.
       
       8 Sep 2021
       
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