# taz.de -- Hotspot der Klimakrise: Mach's gut, Mittelmeer
       
       > Laut Uno-Bericht ist der Mittelmeerraum Hotspot des Klimawandels.
       > Waldbrände, Hitze und Dürre nehmen zu. Abschied von einem Sehnsuchtsort.
       
 (IMG) Bild: Urlaub, den es so nie wieder geben wird: Italien in 1970er Jahren
       
       Es brennt im Mittelmeerraum, neben Italien, sind vor allem die Türkei und
       Griechenland stark betroffen. Und nicht nur das: Für Italien hat das
       Gesundheitsministerium für die kommenden Tage die höchste Hitze-Warnstufe
       ausgegeben. Bis zu 48 Grad soll es in Rom, Neapel, Bari und Palermo werden.
       Ein Ende ist nicht in Sicht.
       
       Hitzewellen, Starkregen, Dürren, Fluten, Brände. Aus einem Entwurf des
       [1][Dokuments des Uno-Weltklimarates (IPCC)] geht hervor: Die
       Mittelmeerregion ist ein Hotspot des Klimawandels. Das ist in erster Linie
       natürlich für die Bewohner:innen der Region schlimm, die fürchten
       müssen ihre Wohnorte, ihr Zuhause und im schlimmsten Fall ihr Leben zu
       verlieren. Doch auch eine sehr beliebte Urlaubsregion wird dadurch über
       kurz oder lang zu eine No-Go-Area. Vier taz-Redakteur:innen erzählen hier
       von ihren liebsten [2][Erinnerungen von dem Sehnsuchtsort.]
       
       ## Vom ersten Erfolg in der Brühe
       
       Am Mittelmeer, in der knietiefen Brühe, habe ich schwimmen gelernt. Zum
       Glück dort und nicht etwa zu Hause im Schwimmunterricht, in einer dieser
       gefliesten deutschen Höllen mit Sprungturm, Gruppenumkleiden und anderen
       Foltermethoden für kleine unsportliche Kinder. Sondern am Strand in
       Spanien, wo es ziemlich egal war, ob und wann ich schwamm. Und gerade
       deshalb schwamm ich irgendwann.
       
       Jemand musste mir die Bewegungen vorher mal gezeigt haben, wahrscheinlich
       hatte ich dabei diese aufgepumpten Flügelchen aus Plastik an den Armen,
       deren scharfe Nähte in die Haut schnitten, während ich Salzwasser
       schluckte. Aber der Moment, als ich dann endlich schwamm, war ein anderer.
       Alleingelassen ganz am Rand dümpelte ich ein bisschen sinnlos vor mich hin,
       ließ mich von den sanften Wellen hochheben und wieder absetzen, vielleicht
       stundenlang – bis ich irgendwann, ganz aus Versehen, bemerkte, dass ich
       jetzt schon länger als eine Sekunde keinen Boden gespürt haben musste. Und
       danach war das alles kein Problem mehr. Ich bin nie wieder nicht
       geschwommen.
       
       Derweil lag die Familie irgendwo im Sand, machte Siesta und kümmerte sich
       kein Stück um meinen lebensverändernden Moment. Ich wünsche mir bis heute,
       dass Fortschritte im Leben immer so kämen, wie das Schwimmen am Mittelmeer
       zu mir gekommen ist – ohne Anstrengung und wenn es einen gerade am
       wenigsten interessiert. Erfolg als Überraschung, ganz ohne die Angst vor
       dem Scheitern. Manchmal ist es so. Meistens nicht. Peter Weissenburger
       
       ## Wo ich nie hindurfte
       
       Die Sommerurlaube vieler Kinder in Deutschland lassen sich geografisch
       einteilen in Nord- oder Ostsee und das Mittelmeer. Wer in Bremen
       aufgewachsen ist, wird sich den Magen mit Fischbrötchen vollgestopft haben.
       Kinder aus Bayern fuhren stattdessen meist nach Italien. Ich falle in keine
       der beiden Kategorien. Meine Eltern trennten sich früh, ich fuhr also zwei
       Mal weg. Mein Vater flog gerne nach Ägypten ans Rote Meer,
       All-Inclusive-Urlaub. Ich empfand die eingezäunten Hotelkomplexe als
       Paradies. Buffets, die nie leer wurden, Kinderdisko und
       Animationsprogramme, mehrere Swimmingpools und eine Open Bar. Nach dem
       fünften alkoholfreien Cocktail bildete ich mir als 10-Jährige ein,
       betrunken zu sein.
       
       Meine Mutter zog es weiter östlich in die Ukraine, ans Schwarze Meer. Statt
       Pizza und Gelato gab es Wassermelone, Trockenfisch und Maiskolben. Von den
       durchschnittlichen 35 Grad konnte man sich kaum abkühlen: Schwimmen im
       Schwarzen Meer war wie in eine Badewanne zu steigen.
       
       Als Kind möchte man so sein wie alle anderen. Ich beneidete meine
       Mitschüler:innen um ihre Sommer. Mein inneres Kind wird deshalb
       wehmütig: Ich muss Abschied nehmen von einer Region, die ich nie
       kennenlernen durfte. Wenn ich es doch pragmatisch sehe, dann habe ich
       meinen Mitschüler:innen etwas voraus: Einen neuen Urlaubsort muss ich
       mir nicht suchen. Ich kann einfach weitermachen wie bisher. Erica Zingher
       
       ## Als Frankreich zu kalt wurde
       
       In meiner Kindheit bestand mein Leben hauptsächlich aus Warten. Das Warten
       auf diese eine Nacht im Juli, wenn meine Eltern mich und meine Geschwister
       um 4 Uhr weckten und ausgerüstet mit Kassettenrekorder und Schlafsack in
       unser Auto verfrachteten. Damit begann die Reise von der niedersächsischen
       Kleinstadt an die Côte d’Azur.
       
       Das Ziel war ein unprätentiöser Campingplatz im kleinen Dörfchen
       Cavalaire-sur-Mer, direkt neben Saint-Tropez. Einen Pool, Animationsclowns,
       Klobrillen oder anderen Schnickschnack gab es nicht. Dafür Pinienduft, neue
       Freund:innen aus den Niederlanden und vor allem unseren kleinen süßen
       Strand, den man nur zu Fuß über einen steilen Berg erreichen konnte. An
       schlechten Tagen standen Ausflüge in benachbarte Städte und Museen auf der
       Tagesordnung. An guten stundenlanges Toben in den Wellen und mit Papa von
       den Klippen springen.
       
       Wieder zurück in der Lüneburger Heide begann dann wieder das Warten. Bis zu
       unserem Umzug nach Baden-Württemberg. Das Mittelmeer war zwar auf einmal
       näher, aber die Sommerferien deutlich später. Schnell schwabisiert, wurde
       unser Urlaub in die Nebensaison verschoben. Im September konnte es an der
       Côte d’Azur schon zu kalt sein fürs Campen, fortan ging es also nur noch
       nach Spanien. Das stundenlange Autofahren und das Campen blieben, hinzu
       kamen der Pool, die Animateure und der ganze Schnickschnack. Doch so schön
       wie Cavalaire-sur-Mer wurde es nie wieder. Carolina Schwarz
       
       ## Ohne geht es auch
       
       Mein erstes Mittelmeer war die Costa Brava, 1977. Während ich im bezaubernd
       warmen Wasser plantschte, saß mein Vater zu Hause in der warmen Badewanne.
       So hatten wir ihn jedenfalls verlassen, als meine Brüder und ich schon im
       aufgeheizten VW Käfer schmorten und einfach nur loswollten. Wie immer, wenn
       mein Vater schmollte, war der Grund, dass man – also meine Mutter – ihn
       „nicht rechtzeitig informiert“ hatte.
       
       Zwei Jahre später hatte er sich eingekriegt. Nach Großplanungen mit
       ADAC-Karten über einzuschlagende Routen fuhren wir nach Jesolo an die
       Adria. Ob mein Vater mal im Wasser war, weiß ich gar nicht, meine Mutter
       suchte in der Ferienanlage auf Französisch einen Schachpartner für ihn, und
       zwei Woche lang saß er dann mit wechselnden Italienern am Campingtisch,
       spielte Schach und sah glücklich aus. In unserem letzten gemeinsamen Urlaub
       fuhren wir mit dem Bus vom Münchner Hauptbahnhof nach Istrien, damals noch
       in Jugoslawien gelegen. Ich war 15 und hatte nicht mitbekommen, was genau
       das Ziel war – sonst wäre ich auch zu Hause in der Badewanne geblieben:
       Meine Eltern hatten ein FKK-Camp gebucht. Wenn man sich im kleinen
       Supermarkt ein Eis kaufte, musste man in der Schlange hinter Landsleuten
       stehen, deren Penisse knapp über dem Kassenband schlenkerten; und ich kann
       mich gut erinnern, dass ich jedes Mal hoffte, die Dinger würden eingesogen,
       so schämte ich mich. Wenigstens das bleibt dem Mittelmeer künftig erspart.
       Ambros Waibel
       
       10 Aug 2021
       
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