# taz.de -- Hochhausdebatte in Bayern: München kratzt an den Wolken
       
       > In der bayerischen Landeshauptstadt ist ein neuer Hochhausstreit
       > entflammt. Ein CSU-Politiker will nun das Volk entscheiden lassen.
       
 (IMG) Bild: „Mit Modernität tut sich der Münchner ein bisschen schwer“, meint Architektin Claudia Neeser
       
       München taz | Es war im September, da erschienen plötzlich zwei rote Punkte
       über der Stadt. Die beiden Ballons, vier Meter im Durchmesser, sollten den
       Münchnern schon einmal einen Vorgeschmack bieten auf das, was sie in Bälde
       im Westen ihrer Stadt erwartet – zumindest, wenn es nach dem Willen einer
       Mehrheit im Münchner Rathaus und dem Unternehmer Ralf Büschl geht.
       
       Die Ballons schwebten nebeneinander in 155 Meter Höhe und damit genau in
       der Höhe, bis zu der künftig zwei neue Hochhäuser in den Himmel ragen
       sollen. Es wären damit die höchsten Häuser Münchens, nur der Olympiaturm
       wäre noch höher. Nach der auf „Wikipedia“ genannten 150-Meter-Marke dürfte
       man nun sogar erstmals von Wolkenkratzern sprechen. Gut, sagen wir:
       Wolkenkratzerchen.
       
       Nur mal so zum Vergleich: Das Empire State Building ist – ohne Antenne –
       381 Meter hoch. Und das höchste Haus der Welt 828 Meter, es steht in Dubai.
       Vergleiche, die zugegebenermaßen recht selten in der bayerischen
       Landeshauptstadt angestellt werden. Hier lässt man traditionell lieber die
       Kirche im Millionendorf und orientiert sich entsprechend an den Türmen der
       Frauenkirche. Und das wiederum hat nicht zuletzt mit dem früheren
       langjährigen Oberbürgermeister Georg Kronawitter zu tun, worüber noch zu
       sprechen sein wird.
       
       Die beiden Türme also, die nun so manche Gemüter in München erhitzen,
       sollen auf dem Areal der Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke
       entstehen, drei S-Bahn-Stationen westlich des Hauptbahnhofs. Früher war
       hier tatsächlich mal ein Umschlagplatz für Pakete, die mit Güterzügen auf
       15 Gleisen in die Halle geliefert wurden, heute wird die Halle noch als
       Briefzentrum genutzt, zwischenzeitlich war sie ein heißer Kandidat für den
       Bau den neuen Münchner Konzertsaals, 2018 schließlich verkaufte die Post
       sie samt des umliegenden Geländes an Investor Büschl.
       
       ## Münchens höchster Biergarten
       
       1.100 Wohnungen und 3.000 Arbeitsplätze wird es hier geben, heißt es. Die
       Türme würden zum „sichtbaren Zeichen des modernen Münchens“, wirbt der
       Investor auf der Website des Projekts. „Internationale Architektur. Für
       Wohnungen und Kinderspielflächen, Büros, Hotel und Gastronomie. Mit dem
       höchsten Biergarten der Stadt.“ Gewichtige Argumente, zumal in einer Stadt,
       in der Biergärten ohnehin das Höchste sind.
       
       Robert Brannekämper sieht das etwas anders. Nicht dass er etwas gegen
       Biergärten hätte, aber für den CSU-Landtagsabgeordneten hat München
       Hochhäuser dieser Größenordnung ungefähr so nötig wie die Weißwurst den
       Ketchup. Als „Todsünde“ bezeichnet der studierte Architekt die geplanten
       Türme an der Paketposthalle. Brannekämper ist dabei nicht irgendein
       Landtagsabgeordneter. Als Vorsitzender des CSU-Kreisverbands Bogenhausen
       hat er in der Münchner CSU durchaus etwas zu sagen. 18 Jahre lang saß er
       auch im Stadtrat und war dort mit zuständig für das Thema Stadtplanung.
       
       Der Politiker sitzt in der Gaststätte des Landtags, zu seinen Füßen die
       Landeshauptstadt. Der Blick aus dem Fenster umfasst die Highlights des
       Stadtpanoramas: Frauentürme, Rathaus, Alter Peter – das ganze Programm.
       „Neun Millionen Touristen kommen jedes Jahr hierher, um dieses
       Millionendorf München zu erleben“, sagt Brannekämper. „Ich glaube, dass das
       in erster Linie mit der Stadtgeschichte und dem Stadtbild zu tun hat.
       München zählt schließlich ohne Zweifel zu den schöneren Städten in der
       Welt.“
       
       ## Fronten quer durch die Parteien
       
       Und damit es das bleibt, will Brannekämper der Stadt nun die aus seiner
       Sicht überflüssigen Hochhausprojekte verbieten lassen – von den
       Münchnerinnen und Münchnern. Sobald es Corona zulässt, voraussichtlich im
       Frühjahr, wollen er und seine Mitstreiter ein Bürgerbegehren starten und
       sich auf Unterschriftenjagd begeben, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen.
       Wie ein solcher ausgehen würde, darüber lässt sich nur spekulieren – nicht
       nur, weil die genaue Fragestellung noch unbekannt ist, sondern auch, weil
       sich die Münchner Geister sehr scheiden, bei der Frage, wie hoch München
       hinaus darf.
       
       Die Fronten verlaufen dabei quer durch die Parteien. So hat Brannekämper
       mit der Ankündigung des Bürgerbegehrens nicht wenige in der Münchner CSU
       verärgert, und sein Sancho Panza im Kampf gegen die Gebäuderiesen ist
       ausgerechnet der frühere langjährige SPD-Stadtrat Wolfgang Czisch.
       
       „Dass das Thema in München so emotional wird, hat sicherlich viel damit zu
       tun, dass München sehr traditionell ist“, erklärt Claudia Neeser. Das habe
       sich schon beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem 80 Prozent
       der Stadt zerstört worden seien, gezeigt. Damals habe man zwar im Stil der
       fünfziger, sechziger und siebziger Jahre gebaut, sich aber recht streng an
       den früheren Baulinien und -höhen orientiert.
       
       ## Homogene Innenstadt
       
       Neeser ist Architektin und Stadtplanerin, spezialisiert auf die Vermittlung
       von Baukultur; seit ein paar Jahren arbeitet sie viel mit dem Münchner
       Planungsreferat zusammen, organisiert beispielsweise Stadtführungen. Wenn
       es um das Thema Hochhäuser geht, beginnt sie die Tour gern im Stadtmuseum.
       Dort steht ein recht beeindruckendes dreidimensionales Holzmodell der
       Innenstadt, Maßstab 1:500. Anhand dieses Modells sehe man sehr gut wie
       homogen die Architektur der Innenstadt sei, was die Traufen und Dachflächen
       angehe. „Das einzige, was da herausschaut, sind die Kirchtürme und das Alte
       und Neue Rathaus.“
       
       Claudia Neeser führt das auch auf das besondere Münchner
       Traditionsbewusstsein zurück: „Das steckt schon immer noch in sehr vielen
       Menschen drin. Eigentlich möchte man die Stadt genau so, wie man sie liebt,
       behalten. Mit Modernität tut sich der Münchner ein bisschen schwer.“
       
       Den Vorwurf müssen sich auch Brannekämper und seine Mitstreiter regelmäßig
       anhören. Sie verharrten im Gestern, seien nicht offen für Neues. Besonders
       scharf artikuliert das Investor Ralf Büschl, der den CSU-Politiker dann
       auch mal recht unfreundlich als Querdenker und Populisten bezeichnet. Ohne
       Mut zu Veränderung, so Büschl, hätte es wohl auch nie die U-Bahn oder das
       Olympiagelände in München gegeben.
       
       Dabei ist es nicht so, dass [1][München keine Hochhäuser] hätte. Der
       BMW-Vierzylinder von 1972 und das Hypo-Hochhaus von 1981 etwa sind längst
       zu Wahrzeichen der Stadt geworden und stehen unter Denkmalschutz. Sie sind
       101 und 114 Meter hoch.
       
       ## Kommen jetzt die Vierkantbolzen?
       
       Brannekämpers Hauptargument gegen die „Büschl-Towers“ ist ohnehin ein
       anderes: „Wir glauben, dass Hochhäuser, wenn es ums nachhaltige und
       ökologische Bauen geht, schlechter abschneiden als der klassische
       Wohnungsbau.“ Sobald man ein Haus höher als 60 Meter baue, müsse man allein
       schon wegen der erheblich höheren Brandschutzvorschriften Vorgaben
       erfüllen, die ein ökologisches und klimafreundliches Bauen schier unmöglich
       machten.
       
       Erst das zweite Argument, das Brannekämper anführt, ist das ästhetische,
       das Münchner Hochhausgegner schon immer umgetrieben hat: die Verschandelung
       der Stadtsilhouette. Im aktuellen Fall stößt ihnen zum Beispiel auf, dass –
       je nach Blickwinkel – der Anblick von Schloss Nymphenburg gestört sei.
       
       Und da kommt man nun zwangsläufig zum schon erwähnten [2][Georg
       Kronawitter]: Der mittlerweile verstorbene SPD-Politiker war mit einer
       Unterbrechung von 1972 bis 1993 Münchner Oberbürgermeister und machte als
       Rentner 2004 seinem Nachfolger Christian Ude das Leben schwer, indem er
       selbst ein Bürgerbegehren gegen Hochhäuser initiierte. Gegen die
       „gesichtslosen Vierkantbolzen“ hat man damals gewettert und beklagt, dass
       der Alpenblick gestört werde, der sich den Münchnern bei Föhnlage mitunter
       bietet. Am Ende kam es zum Bürgerentscheid. 50,8 Prozent stimmten dafür,
       dass künftig kein Hochhaus mehr höher als 100 Meter sein dürfe, was etwa
       der Höhe der Frauentürme entspricht. Die Wahlbeteiligung lag zwar nur bei
       21,9 Prozent, doch Kronawitter freute sich über die „Watschn für den
       Stadtrat“.
       
       ## „Obergrenzen finde ich absurd“
       
       Unmittelbar betroffen waren damals zwei geplante Bauprojekte: Siemens
       wollte im Süden einen 148 und einen 112 Meter hohen Turm bauen, der
       Süddeutsche Verlag im Osten ein 145 Meter hohes Gebäude. Die Firmen konnten
       ihre ursprünglichen Baupläne einpacken. Das Votum der Bürgerinnen und
       Bürger war zwar rechtlich nur ein Jahr lang bindend, doch hielt sich die
       Stadt bis zuletzt daran.
       
       Anna Hanusch macht keinen Hehl daraus, dass sie von dem Höhen-Dogma nichts
       hält: „Obergrenzen finde ich völlig absurd.“ Man könne doch nicht einfach
       einen Glasdeckel auf die Stadt legen, sagt sie gern. Dennoch, findet sie,
       müssten die Münchner selbst noch einmal entscheiden. Auch 17 Jahre nach dem
       Kronawitter-Entscheid will sie nicht einfach nur per Stadtratsbeschluss
       über das damalige Votum hinweggehen. Hanusch ist Fraktionschefin der Grünen
       im Stadtrat, gerade wurde sie von ihrer Partei für das im Sommer
       freiwerdende Amt der Baureferentin bestimmt.
       
       Die Entwürfe für die Hochhäuser an der Paketposthalle findet Hanusch
       schlüssig. „Ich mag daran vor allem, dass sie diese Halle und diesen Ort
       nochmal neu beleben.“ Der Blick vom Schloss könne nun wirklich kein Grund
       dagegen sein. „Wenn man nichts Mutiges oder auch ein bisschen Provokantes
       zulässt, was eben auch mal von der Norm abweicht, kommt auch nicht
       unbedingt die spannende, anregende und identitätsstiftende Architektur
       heraus.“
       
       ## Hoch und ökologisch – geht das?
       
       Allerdings, gibt Hanusch zu, hätte man den Prozess, wie man zu dem Entwurf
       gekommen ist, transparenter gestalten müssen. Und die Einwände in puncto
       Ökologie? Rein ökologisch seien wohl Gebäude mit genau sechs oder sieben
       Geschossen die besten. Aber die könne man nicht überall realisieren. Und in
       der Gesamtabwägung denke sie, dass sich auch die beiden Türme einigermaßen
       nachhaltig errichten ließen – sofern man es richtig mache.
       
       Eine Meinung, der sich übrigens auch Claudia Neeser anschließt. Sie
       verweist auf neue wegweisende Projekte. So gebe es bereits in Wien und in
       Mjøstårnet im Süden Norwegens Hochhäuser aus Holz, beide um die 85 Meter
       hoch. Und in Berlin soll nun ein 98 Meter hohes Haus aus Holz entstehen.
       Büschl freilich will viel höher bauen, und von Holz war bislang nie die
       Rede. Eher schon von großflächigen Photovoltaik-Anlagen, die zwar den Bau
       nicht klimafreundlicher gestalten, aber zumindest den späteren Betrieb des
       Gebäudes.
       
       Die Hochhausgegner werden in ihrem Bürgerbegehren nun voraussichtlich auf
       das Projekt an der Paketposthalle abzielen. Für eine Fragestellung, die
       Hochhäuser einer bestimmten Größe generell verbietet, seien die
       gesetzlichen Hürden mittlerweile zu hoch, sagt Brannekämper. Doch die
       Stoßrichtung ist klar und geht weit über die jetzt geplanten Türme hinaus:
       München soll keine Hochhausstadt werden. Stehen die Zwillingstürme erst
       einmal, so die Befürchtung, werde dies weitere Begehrlichkeiten wecken. Die
       Angst wird auch dadurch genährt, dass eine derzeit in Arbeit befindliche
       Hochhausstudie laut erstem Entwurf explizit Zonen ausweist, die sich für
       den Bau von Hochhäusern eigneten.
       
       Grünen-Politikerin Hanusch würde Brannekämper gern mit einem Ratsbegehren
       zuvorkommen und die Bürger abstimmen lassen. Auch andere
       Stadtratsfraktionen halten das für einen gangbaren Weg. Den Fehler von
       2004, die Sache laufen zu lassen, will man jedenfalls nicht wiederholen.
       Damals kamen die Hochhausbefürworter erst kurz vor der Entscheidung in
       Wahlkampfmodus. Am Ende fehlten ihnen 3055 Stimmen.
       
       3 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Muenchener-Industriellenfamilie/!5694340
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Baur
       
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