# taz.de -- Urteil gegen Nawalnys Organisationen: Opposition nun endgültig verboten
       
       > Ein Moskauer Gericht stuft die Organisationen des inhaftierten
       > Kreml-Kritikers als extremistisch ein. Die demokratische Fassade ist
       > dahin.
       
 (IMG) Bild: Nawalny in einer Videoübertragung aus dem Gefängnis während einer Gerichtsverhandlung am 31. Mai
       
       Moskau taz | Es war eine Marathonsitzung hinter verschlossenen Türen. Zwölf
       Stunden verhandelte das Moskauer Stadtgericht am Mittwoch etwas, das längst
       entschieden war: Alle Organisationen des inhaftierten [1][Kremlkritikers
       Alexei Nawalny] sind als „extremistisch“ einzustufen.
       
       Das Urteil bedeutet das Aus für deren Arbeit und eine Zäsur für die
       politische Kultur Russlands. „Wenn Korruption die Grundlage der Staatsmacht
       ist, sind Korruptionsbekämpfer Extremisten“, ließ Nawalny über seinen
       Instagram-Account nach dem Gerichtsurteil mitteilen. Das Team um den
       45-Jährigen, der seine [2][zweieinhalbjährige Strafe] in einer der
       härtesten Strafkolonien des Landes absitzt, gibt sich optimistisch. „Wir
       klären das, ändern was, entwickeln uns weiter, werden uns anpassen. Von
       unseren Zielen und Ideen rücken wir nicht ab“, heißt es bei Nawalny. Der
       Entscheid aber erschwert das Leben seiner Mitarbeiter*innen und auch
       seiner Anhänger*innen enorm.
       
       Der Prozess glich einer Farce. Zwölf Stunden lang blätterten Anwälte in
       leeren Seiten, wurden die Anträge der Angeklagten allesamt abgewiesen und
       Zeugen nicht zugelassen, obwohl ihre Namen ständig in den 22 Bänden des als
       „geheim“ eingestuften Falles erschienen. Die Sitzung klärte nicht, welchen
       Gegenstand sie eigentlich verhandelt, aber sie zeigte – und nur dafür war
       der Prozess letztlich angesetzt –, dass das [3][System Putin keine
       Opponenten duldet]: Nicht in landesweiten organisierten Gruppen, nicht auf
       der Straße und schon gar nicht bei Wahlen.
       
       Nawalnys [4][Antikorruptionsstiftung (FBK)], seine Stiftung zum Schutz der
       Bürgerrechte, die als Ersatz für die FBK gegründet worden war, sowie seine
       als „Stäbe“ bekannten Regionalvertretungen müssen nun überall als
       „extremistisch“ gekennzeichnet werden. Medien, die das nicht tun, drohen
       hohe Geldbußen, Internetnutzer*innen, die nicht darauf verweisen, machen
       sich ebenfalls strafbar. Selbst Spender*innen könnten bis zu acht Jahre
       in die Strafkolonie kommen.
       
       ## Angst und Apathie
       
       Daraus ergibt sich ein Minenfeld der Unsicherheit. Hunderttausende
       Russ*innen sind durch das Urteil mit Terrorist*innen und
       Terrorsympathisant*innen wie jener der Miliz „Islamischer Staat“
       gleichgesetzt. „Sie haben extremistische Tätigkeiten ausgeführt“, sagte der
       Staatsanwalt nach der Verhandlung. Worin der „Extremismus“ in den
       Tätigkeiten von FBK und Nawalnys „Stäben“ besteht, erklärte er nicht. Die
       Anwälte wollen in Berufung gehen.
       
       Die Arbeit hatten all diese Organisationen [5][bereits vor Wochen
       einstellen müssen]. Nawalnys Team hatte diese auf Druck der Behörden
       aufgelöst, um das Leben der Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen nicht
       weiter zu gefährden. Das Gerichtsurteil von Mittwochnacht war nur noch eine
       Formalie.
       
       Seit Nawalny im Januar nach seiner Genesung nach dem Anschlag mit dem
       Nervengift Nowitschok nach Moskau zurückgekehrt ist, rollt eine Welle der
       Repressionen durchs Land. Angst und Apathie bestimmen das Leben der
       Menschen mehr denn je, weil ihnen jedes Ventil zur Unmutsäußerung genommen
       wird. Das Regime geht mit immer plumperen Mitteln gegen die Opposition vor.
       Es eliminiert diese offen und macht Gewalt zum Prinzip seines Vorgehens.
       
       Putin sieht sich im Belagerungszustand und hat die Opposition zur fünften
       Kolonne des Feindes erklärt, die es zu vernichten gilt. Deshalb tauchen in
       der Gesetzgebung Begriffe wie „ausländischer Agent“ oder „unerwünschte
       Organisation“ auf, deshalb nehmen Verfahren wegen Landesverrat und
       Extremismus zu. Sich gegen die offizielle Linie aufzulehnen und die Arbeit
       der sogenannten „Macht“ offen in Frage zu stellen, wird zur Bedrohung des
       Lebens. Viele Oppositionelle sind in Haft oder haben das Land verlassen.
       Aus Putin-Gegner*innen werden nun nach und nach Dissident*innen.
       
       10 Jun 2021
       
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