# taz.de -- Nationaler Radverkehrsplan: Gut gebrüllt, Scheuer!
       
       > Der Nationale Radverkehrsplan von Verkehrsminister Scheuer ist nicht so
       > ehrgeizig, wie es scheint. Und: Es fehlt die Perspektive für dessen
       > Umsetzung.
       
 (IMG) Bild: Zu sehr Autominister: Andreas Scheuer verspricht im Radverkehrsplan viel – doch was davon hält er?
       
       Auf dem Papier klingt es großartig. Die Bundesrepublik soll bis zum Jahr
       2030 zum Radland werden, verspricht Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer
       (CSU). Bis dahin soll es ein flächendeckendes Radwegenetz geben, in allen
       Metropolen Vorrangrouten für Radler:innen und ein Programm für
       Radparkplätze an Bahnhöfen.
       
       Das und noch viel mehr steht im Nationalen Radverkehrsplan, den Scheuer am
       Dienstag bei der 7. Nationalen Radkonferenz in Hamburg vorstellen wird. Der
       Plan wird von vielen Seiten freudig-erstaunt aufgenommen, denn solche
       Vorschläge hatten viele von dem notorischen Autominister nicht erwartet.
       Doch dokumentiert Scheuers Plan vor allem eins: 20 verlorene Jahre.
       
       „So eine umfassende Strategie für ein sicheres und gutes Miteinander gab es
       noch nie“, erklärte Scheuer, nachdem das Bundeskabinett in der vergangenen
       Woche seinen „Nationalen Radverkehrsplan 3.0“ verabschiedet hat. Klingt
       gut, stimmt aber nicht. Der 2002 verabschiedete erste Radverkehrsplan war
       nicht nur detailreicher und konkreter, sondern weitaus umfassender. Der von
       der rot-grünen Regierung beschlossene Plan listete umfangreiche Maßnahmen
       auf, die bis 2012 ergriffen werden sollten.
       
       Ein Blick in das vom damaligen Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD)
       verantwortete Dokument zeigt: Vor 20 Jahren nahm die Bundesregierung das
       Fahrrad als Verkehrsmittel weitaus ernster als heute. Den rot-grünen
       Entscheidungsträger:innen war schon damals mindestens so klar wie den
       heutigen, dass sichere, zusammenhängende Radwege hermüssen und dass
       [1][Rad- statt Autoverkehr] gut für den Klimaschutz, die Luftqualität, die
       Gesundheit und die Belebung der Innenstädte ist.
       
       ## Freudlosigkeit statt Aufbruch
       
       Anders als seine Nachfolger listet der erste Radverkehrsplan auf, wie viel
       CO2 Bürger:innen einsparen, wenn sie das Rad statt das Auto nutzen. Denn
       Bodewig hatte verstanden, dass ohne deutlich weniger Pkws eine echte
       Verbesserung des Radfahrens nicht möglich ist. Kein Wunder, dass er unter
       Autokanzler Gerhard Schröder nicht die Chance hatte, sein Vorhaben
       voranzubringen. Der Plan von 2002 ging davon aus, dass seinerzeit rund 12
       Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt wurden. Bodewig legte die Latte
       hoch: „Vorbild sind die Niederlande mit derzeit 27 Prozent, wo Radfahren
       auch als eigenständige Verkehrsart betrachtet wird.“
       
       An den Ehrgeiz kam der zweite, von CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer
       verantwortete Radverkehrsplan nicht einmal entfernt heran. Statt Aufbruch
       spiegelt er die Freudlosigkeit eines Verkehrsübungsplatzes wider, auf dem
       grimmige Polizist:innen Radfahrende ermahnen, immer schön vorsichtig zu
       sein und Alkohol zu meiden – als würden so strukturelle Sicherheitsprobleme
       gelöst. Auf 15 Prozent sollte der Radverkehrsanteil bis 2020 steigen, so
       das bescheidene Ziel. Erreicht wurden nach Angaben des Allgemeinen
       Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) 11 Prozent – also faktisch ein Rückschritt
       gegenüber 2002.
       
       Bei Minister Scheuer liegen die Dinge anders als bei seinen direkten
       Vorgängern. Mit ihm ist seit Bodewig zum ersten Mal ein Verkehrsminister im
       Amt, der in der Tat etwas für den Radverkehr bewegen will. Kein Minister
       vor ihm hat so viel Geld für eine bessere Radinfrastruktur zur Verfügung
       gestellt. In den kommenden Jahren könnten mehr als 1 Milliarde Euro für
       eine bessere Radinfrastruktur ausgegeben werden. Scheuer hat die
       Einrichtungen von Radprofessuren an Hochschulen angestoßen, sodass in den
       kommenden Jahren die Leute ausgebildet werden können, die in Städten und
       Ländern Pläne für eine fahrradgerechte Verkehrsplanung entwickeln und die
       Umsetzung möglich machen.
       
       Auch die Vorhaben in Scheuers Radverkehrsplan sind nicht nichts. Wege für
       Autos und Räder sollen möglichst getrennt gebaut werden, die Anlage von
       Radwegen soll beim Straßenbau von Anfang an mitgedacht werden. 11 Euro pro
       Person und Jahr für den Radverkehr werden heute ausgegeben, 2030 sollen es
       30 Euro sein.
       
       ## Zu sehr Autominister
       
       Nur: Scheuer schafft nicht die rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass etwa
       Kommunen Radwege leichter anlegen können. Die Vorhaben aus Scheuers
       Radverkehrsplan sind kein Masterplan, sondern eine Ansammlung von Appellen.
       Ob Kommunen, Länder oder der Bund die Vorschläge aufgreifen, bleibt ihnen
       überlassen. Völlig zu Recht fordert der ADFC einen Aktionsplan, damit die
       Pläne überhaupt die Chance haben, umgesetzt zu werden. Ohne so ein
       konkretes Programm bleibt Scheuers Vorstoß unglaubwürdig.
       
       Das gilt besonders für das Thema Sicherheit. Bis 2030 soll die Zahl der im
       Verkehr getöteten Radfahrer:innen gegenüber 2019 um mindestens 40
       Prozent sinken. Ein ähnliches Ziel hatte der Vorgängerplan. Tatsächlich ist
       die Zahl der getöteten Radfahrer aber gestiegen. 2011 verloren 399
       Radfahrende ihr Leben, im Jahr 2019 waren es 445 Menschen.
       
       Um Radeln sicherer zu machen, müssen unter anderem Autos langsamer fahren
       und Fahrer:innen bei Übertreten der Geschwindigkeitsbegrenzung sehr viel
       härter bestraft werden. Minister Scheuer hat die Erhöhung des
       Bußgeldkatalogs gerade um über ein Jahr verschleppt. Er hat verhindert,
       dass der Führerschein weg ist, wenn Fahrende mit über 50 Sachen durch eine
       Tempo-30-Zone brausen. Wer nicht konsequent gegen RaserInnen vorgeht, der
       gefährdet Radler:innen (und Fußgänger:innen).
       
       Und: Radwege müssen sehr viel schneller besser werden – nicht erst bis
       2030. Dass das geht, zeigen die in der Coronakrise entstandenen temporären
       Radwege, die [2][Pop-up-Bikelanes]. Immer mehr Städte legen sie an. Doch
       Scheuer hat sich nicht an die Spitze dieser Bewegung gestellt, sondern
       ignoriert sie weitgehend. Denn bei diesen Projekten geht es um die
       Verteilungsfrage. Radfahren kann nur sicherer werden, wenn der Platz auf
       der Straße zulasten der Autofahrenden neu verteilt wird. [3][Scheuer ist
       viel zu sehr Autominister], um das ernsthaft voranzutreiben.
       
       26 Apr 2021
       
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 (DIR) Anja Krüger
       
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