# taz.de -- ARD-Thriller „Gefangen“: Haus mit Wolf
       
       > Ein Polizist wird Zeuge eines tödlichen Unfalls. Und versenkt sich im
       > surreal anmutenden ARD-Thriller tief in das Leben der Verstorbenen.
       
 (IMG) Bild: Harry (Wolfram Koch) wird im ARD-Thriller „Gefangen“ zum Wolf
       
       So entspannt und zugewandt wünscht man sich einen Polizisten, wenn er einen
       beim Telefonieren im Auto erwischt. „Einfach mal nicht rangehen, was“, rät
       Polizist Harry anstelle einer Verwarnung mit Bußgeld dem Fahrer. „Ich bin
       einfach an den Leuten interessiert“, erklärt Harry seinem leicht genervten
       Kollegen. Sonst hätte er von dem Mann am Steuer ja auch nicht erfahren,
       dass dessen Frau eine Reise machen will, nach Tunesien – ein kurzer
       Austausch, der entscheidend für die Geschichte sein wird. Ein normaler
       Polizist, wie der Kollege, will so etwas gar nicht wissen. Aber Harry ist
       eben empathisch, versetzt sich in die Leute hinein. Vielleicht zu sehr?
       
       Als Harry, gespielt von [1][Wolfram Koch], den Mann von der Kontrolle das
       nächste Mal sieht, liegt der im Sterben, nach einem Unfall neben seinem
       Auto. Harry kann weder ihm noch der Frau oder den beiden Töchtern helfen.
       
       Immer surrealer geht es von da an zu in diesem Film von Regisseurin Elke
       Hauck ([2][„Karger“], „Der Preis“) zu.
       
       Den Nachmittag verbringt Harry im Freibad. Bei ihm sind seine Frau (Antje
       Traue), die ein Kind erwartet, und seine Tochter, die eine andere Mutter
       hat, bei der sie lebt. Der Sohn ist gerade erst aus dem Haus. Als sie
       später von dem Unfall erfährt, wundert sich die Frau, wie er danach den Tag
       so fröhlich mit ihnen habe verbringen können. „Es war eben ein fröhlicher
       Tag“, sagt er.
       
       ## Des Menschen Wolf
       
       Und zu der Polizeipsychologin, zu der er nur widerwillig geht: „Das gehört
       dazu. Ein anderer kann vielleicht nicht ganz so gut damit umgehen.“ Zu
       seiner Chefin, die sich sorgt: „Manchmal geht man durch den Tag und dann
       geht man wieder raus.“
       
       Was Harry sagt, ist das eine – was er tut, das andere. An die Adresse der
       toten Familie kann er sich noch erinnern. Das Haus ist eigentlich nichts
       Besonderes – aber sehr idyllisch gelegen in der brandenburgischen Pampa:
       mit Wald und See und Wildgehege. Und mit Wolf in dem Wildgehege.
       Wahrscheinlich gehört es längst irgendeinem Berliner Kulturpromi, der es
       zum Zwecke der Refinanzierung bei so einer Location-Agentur ins Portfolio
       gegeben hat. Und natürlich gibt es da, anders als in dem Film behauptet,
       auch Internet. Harry schwimmt in dem See und Jugendliche klauen ihm seine
       Klamotten. Er bricht in das Haus ein und schlüpft in den biederen
       Rautenpullover des Mannes. Er spricht mit dessen toter Frau und den toten
       Mädchen, als wären sie seine Familie und noch am Leben.
       
       Wolfram Koch dürfte es gefallen haben, der Rolle des Fernsehpolizisten, den
       er seit 2015 in dem in Frankfurt am Main spielenden „Tatort“ gibt, einen
       neuen Dreh zu verpassen. Auf der Bühne war Koch in den vergangenen Jahren
       häufig in den Inszenierungen Peter Fritschs zu erleben, dessen sehr
       eigener, kunterbunt-slapstikhafter Stil dem Regietheater eine surreale
       Dimension erschlossen hat.
       
       Man muss ja nicht gleich mit so großen Vorbildern wie Roman Polańskis
       Mietertrilogie kommen. Das Motiv, dass ein Domizil zum Schauplatz einer
       Horrorgeschichte wird, ist nicht weniger als ein (Genre-)Klassiker. Wie
       auch das Schlüpfen in die Identität eines Verstorbenen.
       
       ## Wer denkt schon an Horror!
       
       Und es bleibt ja nicht bei diesen Motiven. Bleiben wir doch zu Hause: Die
       Tierwerdung eines zunächst angepassten Menschen, das Wolfsmotiv, kennen wir
       etwa aus „Die dunkle Seite des Mondes“ oder, natürlich: „Wild“ von
       Nicolette Krebitz.
       
       Das allerdings war Kino, nicht Fernsehen. Da rechnet man doch nicht mit
       Horror. Zumal auf dem gemäß dem ARD-Programmschema den anspruchsvolleren
       Stoffen vorbehaltenen Sendeplatz am Mittwochabend. Da erwartet man viel
       eher das, was der Film mit dem Titel „Gefangen“ zunächst ja auch zu sein
       schien: das Porträt eines empathischen Mannes, der um so stärker in die
       Gefangenschaft seines Traumas gerät, je mehr er versucht, es zu verdrängen.
       
       Nun müssen die surrealen Wendungen nicht unbedingt bedeuten, dass er nicht
       genau das am Ende – auch – ist. Der Film lässt mehr als nur eine Lesart zu
       und erklärt nichts. Noch dazu gestattet er sich ein offenes Ende. Da hat
       die ARD sich aber mal was erlaubt!
       
       7 Apr 2021
       
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