# taz.de -- Kunst der Woche: Fern jeden Alltags
       
       > Auf Augenhöhe: Horst Schieles Liniengeflechte bei Art Cru, Daniela
       > Comanis „Archive in Progress“ bei Skope und die Aktion „Fair Share!“ zum
       > Frauentag.
       
 (IMG) Bild: Horst Schiele, O.T., 2015, Ölpastellkreide, 50x70 (Ausschnitt)
       
       Wie die Blitze am Gewitterhimmel auf die Landschaft niederfahren, so
       scheinen sich die schwarzen Linien auf die bunten Farbflächen zu stürzen.
       Aber während im Grau der Regenlandschaft das gleißende Blitzlicht
       schlagartig einzelne Häuser und Bäume sichtbar macht, verschattet das
       dichte Liniengeflecht die Farbflächen und verankert sie dauerhaft in der
       Bildfläche. Doch wie ein Naturphänomen erscheint auch dieser Vorgang.
       
       [1][Horst Schiele], der 1948 in Berlin geborene Schöpfer der vielfarbigen
       Abstraktionen, ist ein Outsider Artist. Er kennt nicht viel von der Welt.
       Bis zu seinem 31. Lebensjahr lebte er bei seinen Eltern, einer
       Bäckersfamilie. Als sie starben, siedelte er in eine betreute Wohn- und
       Arbeitseinrichtung der Albert-Schweitzer-Stiftung über. Die Bildfindungen,
       so darf man annehmen, rühren weniger aus seiner Umwelt als aus seinem
       Seelenleben her.
       
       Traumbilder mit großen oder kleineren Partien von wunderbaren Variationen
       von Blau, Grün, Rot oder Lila, oft auch einem kräftigen Orange, immer
       durchzogen von den schwarzen Strichen, die sich auch mal zusammenknäulen.
       Oft findet sich kreisrund auch ein tiefes Schwarz im Bild, das wirkt wie
       ein auf die Betrachter*innen gerichtetes Auge.
       
       Aber das wäre auch schon das einzige anthropomorph zu deutende Bildelement.
       Und das macht dann eben auch die mit Ölpastellkreide gemalten Bilder so
       bezwingend: dass sie auf so einfache, unprätentiöse Weise so fern jeden
       Alltags sind (bis 15. April, Galerie Art Cru, Oranienburger Str. 27, zur
       Zeit nur Online-Ausstellung [2][www.art-cru.de]).
       
       ## Die Welt in Unordnung
       
       Meine Güte, war die Merkel jung, als sie zum ersten Mal als Bundeskanzlerin
       vereidigt wurde. War das eigentlich die Zeit, als das Klonschaf Dolly
       Schlagzeilen machte? Und warum kommt jetzt Spiderman ins Bild? – Weil sich
       „Die Welt in Unordnung“ befindet? Wie eine Schlagzeile über der Fotografie
       des sehr ordentlich und sehr aufgeräumt in die Landschaft gestellten
       Atomkraftwerks Kahl am Main besagt?
       
       Mit diesem Bild startet das „Archive in Progress“, das Daniela Comani in
       der Zeit zwischen 2015 und 2020 zusammengestellt hat. Die Bilder, die sie
       dafür zu einer rund 40-minütigen Videoarbeit montiert hat, stammen aus
       Zeitungen und Magazinen, teils handelt es sich auch um Fernsehbilder und
       Videostills aus dem Netz. Alle zwei Sekunden wechselt das Bild.
       
       Wir sehen Elfriede Jelinek, Woodstock, Nelson Mandela und Anne Frank, wir
       sehen einen Mercedes-Stern, wir sehen Bilder von Krieg und Verderben, von
       Naturkatastrophen wie Erdbeben oder dem Tsunami, der die thailändischen
       Strände heimsuchte. Wir sehen Stalin, das brennende World Trade Center,
       Lech Wałęsa und Windkrafträder.
       
       ## Die Bilder, die wir sehen
       
       Meist sind es nur die Bilder, die wir sehen, nur hin und wieder kommt eine
       Jahreszahl in den Blick, oder die Bildunterschrift beziehungsweise die
       Schlagzeile über der Fotografie. Doch diese Information ist letztlich nicht
       zielführend. Die Ordnung des Archivs ist eine andere, Themenblöcke zeigen
       zum Beispiel Freiheitsheld*innen aus allen Jahrhunderten,
       Aktivist*innen für Demokratie, für Bürger- und Frauenrechte, und sie
       zeigen dabei wiederkehrende Bildmuster, die das visuelle Stereotyp „Große
       Männer, die Geschichte schreiben“ bedienen.
       
       Das Interessante an Comanis „[3][Archive In Progress]“ ist nun, dass sie
       genau dieses visuelle Stereotyp ausgiebig bedient, um es dabei zu
       unterlaufen und aufzubrechen, indem sie es weiblich besetzt. Während der 40
       Minuten lebt man in einer Welt bedeutender und wichtiger Frauen: Elfriede
       Jelinek, Golda Meir, Susan Sontag, Serena Williams, Rosa Luxemburg, Anne
       Frank, Lady Diana, Oriana Fallaci und so weiter und so fort.
       
       Man ist wirklich verblüfft, wie einfach das Bild der Welt zu drehen ist,
       und darüber wie es offensichtlich jeden Tag doch nur immer auf den
       Blickpunkt „It’s a Man’s World“ hin besetzt wird
       ([4][www.TheThingsITellYou.com], bis 14 März. Ausstellung bei Scope
       Hannover bis 31. März. Instagram-Takeover: [5][Daniela
       Comani@scoper_hannover]).
       
       ## Mehr Sichtbarkeit für Frauen
       
       Der Himmel war mit den Künstlerinnen. Dass die Sonne am Montag, am
       Weltfrauentag, der in Berlin löblicherweise ein Feiertag ist, so herrlich
       schien, nach grauen Tagen, war natürlich eine einzige große Einladung, sich
       am Kulturforum zu versammeln. Um dort, auf der schrägen Ebene vor der
       Gemäldegalerie und dem Kunstgewerbemuseum die [6][Aktion] „Fair Share! Mehr
       Sichtbarkeit für Frauen“ zu unterstützen.
       
       Von den Aktivistinnen gehaltene große Banner informierten darüber, dass
       „2020 in Berlin eingesetztes Unterrichtsmaterial für den Leistungskurs
       Kunst (Thema Porträtmalerei) Werke von 53 Künstlern und 3 Künstlerinnen
       (Marlen Dumas, Frida Kahlo und Maria Lassnig) zeigte“.
       
       Auch schön: „An deutschen Universitäten und Akademien sind 82 % der
       C4-Stellen für Kunst und Kunstwissenschaft mit Männern besetzt. 18 % mit
       Frauen“. Künstlerinnen sind ganz offensichtlich auch Outsider Artists. Und
       deshalb mussten wirklich mal die Namen aller nur denkbar bekannten
       Künstlerinnen, von der Barockmalerin Artesimia Gentileschi bis zur
       zeitgenössischen Installationskünstlerin Monica Bonvicini, auf die
       einzelnen Platten des Bodenbelags beim Kulturforum geschrieben werden. Mit
       bunter Kreide von den beteiligten Kunstaktivistinnen, in immer neuen
       Anläufen, nachdem rund ein Dutzend Künstlerinnennamen verlesen worden
       waren.
       
       Und plötzlich dreht sich wieder das Bild der Welt und sie ist entgegen der
       berühmten Frage der Kunsthistorikerin Linda Nochlin voller großer
       Künstlerinnen.
       
       9 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.art-cru.de/
 (DIR) [2] http://www.art-cru.de
 (DIR) [3] https://www.thethingsitellyou.com/exhibition-enter
 (DIR) [4] http://www.TheThingsITellYou.com
 (DIR) [5] http://scoper_hannover
 (DIR) [6] https://www.bbk-berlin.de/kalender/fair-share-sichtbarkeit-fuer-kuenstlerinnen-demonstration
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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