# taz.de -- Überraschende Wende auf Kuba: Revolution auf dem Arbeitsmarkt
       
       > Havanna reagiert auf die schwere Wirtschaftskrise. Fortan darf in 2.000
       > statt in nur 127 Berufen auf eigene Rechnung gearbeitet werden.
       
 (IMG) Bild: Corona macht der kubanischen Wirtschaft zu schaffen. Eine Frau mit Atemschutzmaske in Havanna
       
       HAMBURG taz | Die Ankündigung aus dem kubanischen Arbeitsministerium kam
       vollkommen überraschend. Ministerin Marta Elena Feitó Cabrera gab am
       Freitag bekannt, dass die bisherige Liste der 127 Berufe, in denen
       selbstständig gearbeitet werden kann, Geschichte sei. „Jetzt können die
       Kubaner, die sich selbstständig machen wollen, aus mehr als 2.000 Berufen
       wählen“, so die Ministerin im kubanischen Fernsehen. Nur 124 Aktivitäten
       seien ganz oder teilweise davon ausgenommen.
       
       Über Nacht haben sich die Voraussetzungen für viele Kubaner und Firmen um
       180 Grad gedreht. Nun dürfen sie in Wirtschaftsbereichen arbeiten, die
       zuvor staatlichen Unternehmen vorbehalten waren. Freiberufliche Lehrer oder
       Mediziner waren in Kuba bislang genauso wenig erwünscht wie Juristen,
       Wirtschafts- oder Politikberater, erklärt der kubanische Ökonom und
       Finanzexperte Pavel Vidal.
       
       Er selbst ist das beste Beispiel. Als 2010 auf der Insel die „Arbeit auf
       eigene Rechnung“ in engen Grenzen legalisiert wurde, gehörte er zu den
       kubanischen Sozialwissenschaftlern, die dafür plädierten, mehr und eben
       auch akademische Berufe für die Selbstständigkeit freizugeben. Auch
       Großmärkte und Genossenschaften, forderte Vidal gemeinsam mit Kollegen,
       müssten eingerichtet werden, um der Inselökonomie wieder auf die Sprünge zu
       helfen.
       
       Doch das ging den politisch Verantwortlichen zu weit. Pavel Vidal zog
       angesichts mangelnder Perspektiven im kubanischen Wissenschaftsbetrieb auch
       persönliche Konsequenzen: Er ging ins kolumbianische Cali, wo er an der
       Universität Javeriana lehrt, und unterstützt seine Eltern in Havanna
       seitdem mit regelmäßigen Überweisungen.
       
       Kein Einzelfall und eine direkte Folge des Schneckentempos, das den
       Reformprozess auf Kuba seit 2010 charakterisiert, so Omar Everleny Pérez.
       Der Ökonom aus Havanna war lange mit Vidal an der Universität von Havanna
       tätig, wurde entlassen und ist nun freier Analyst. Ein seltener Fall. Denn
       trotz durchaus vorhandener Expertise müssen kubanische Spezialisten oft
       unter der Hand in- wie ausländische Unternehmen beraten – bei der
       Ansiedlung und Firmengründung.
       
       ## Weitere Reformen erwartet
       
       Das wird nach der Ankündigung der Reform für die selbstständige Arbeit
       anders werden. Bislang gibt es allerdings keine Liste der Berufe, die nur
       partiell oder gar nicht auf eigene Rechnung ausgeübt werden dürfen. Offen
       ist auch, wie und wann die Ankündigung umgesetzt wird.
       
       Der Zeitpunkt der Reform ist kein Zufall. Denn die Inselökonomie macht
       derzeit die schlimmste Wirtschaftskrise seit Beginn der 1990er Jahre durch.
       Damals ging das sozialistische Lager, der Rat für gegenseitige
       Wirtschaftshilfe (RGW), gemeinsam mit der Sowjetunion unter. Heute steht
       Kuba wegen der Coronapandemie, den [1][US-Sanktionen] und einer maroden
       Wirtschaftsstruktur vor der Zahlungsunfähigkeit.
       
       Mit der seit Januar [2][laufenden Währungsreform] versucht die Regierung in
       Havanna gegenzusteuern. Sie hat nun nachjustiert, erklärt Omar Everleny
       Pérez: „Das war überfällig, denn die Reform auf dem Arbeitsmarkt war seit
       Juli 2020 angekündigt und ist nötig, um die Währungsreform zu stützen und
       für Dynamik in der Wirtschaft zu sorgen.“
       
       Doch für eine Ankurbelung der Wirtschaft ist noch mehr erforderlich, so die
       kubanischen Experten. Sie plädieren für [3][weitere Reformen], um
       Betrieben, aber auch Genossenschaften Perspektiven neben den staatlichen
       Unternehmen zu verschaffen. Der Revolution auf dem Arbeitsmarkt sollen
       weitere Schritte folgen. Darüber wird der Parteikongress im April
       wahrscheinlich entscheiden.
       
       7 Feb 2021
       
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