# taz.de -- Grundsicherung in der Coronakrise: SPD-Linke wollen 600 Euro Regelsatz
       
       > Die SPD tut sich noch immer schwer mit Hartz IV. Nach einem breiten
       > Aufruf von Verbänden wächst in der Partei der Druck sich zu bewegen.
       
 (IMG) Bild: Die SPD-Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in der Parteizentrale der SPD
       
       Berlin taz | Es brauchte fast ein ganzes Jahr Pandemie, wiederholte Appelle
       und zuletzt einen [1][gemeinsamen Aufruf von insgesamt 36 Verbänden und
       Gewerkschaften]. Erst dann stellten sich die SPD-Granden hinter einen
       Coronazuschlag für arme Menschen, die Hartz IV beziehen.
       
       „Angesichts der offenkundigen Not von Erwachsenen und Kindern in
       Grundsicherung erwarten wir von unserem Koalitionspartner im Bund, dass er
       da mitgeht“, sagte die Parteivorsitzende Saskia Esken am Montag dem
       Tagesspiegel. Sie will das Thema nun am Mittwoch beim Koalitionsausschuss
       auf den Tisch bringen.
       
       Doch wer sich nur auf die 100 Euro Sofortzuschlag konzentriert, lässt den
       wichtigsten Punkt des Aufrufs der 36 Verbände und Gewerkschaften unter den
       Tisch fallen. Sie plädieren an allererster Stelle dafür, dass Hartz IV auf
       mindestens 600 Euro steigen muss – und zwar dauerhaft.
       
       Es ist ein bemerkenswert breites Bündnis. Darunter – und das dürfte auch
       bei der SPD aufgefallen sein – sind die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
       und der SPD-nahe Wohlfahrtsverband AWO. Für die SPD wächst damit der Druck,
       sich in der Frage zu bewegen.
       
       ## Kühnert signalisiert Entgegenkommen
       
       Bisher war die Partei bei dem Thema sehr ruhig. Zwar will die Partei Hartz
       IV gerne hinter sich lassen. Doch das „Bürgergeld“, für das sich die SPD
       seit dem Parteitag 2019 ausspricht, würde dem heutigen Hartz IV beim
       regulären Regelsatz für Erwachsene fast aufs Haar gleichen. Nicht einmal
       wolkige Formulierungen, etwa, dass man die Sätze neuberechnen müsse, finden
       sich im Beschlusspapier. Linke und Grüne sind mit ihren Forderungen weiter.
       
       Das Thema Sanktionen soll am Mittwoch im Koalitionsausschuss noch einmal
       auf den Tisch. Denn auch zwei Jahre nach der Entscheidung des
       Bundesverfassungsgerichts, dass Kürzungen um mehr als 30 Prozent
       verfassungswidrig sind, wird dieses Urteil nur über Weisungen des
       Arbeitsministeriums und der Bundesagentur umgesetzt. Eine Gesetzesänderung
       fehlt.
       
       Im gleichen Zuge will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die in der
       Pandemie eingeführten Erleichterungen für die Mietkosten und Vermögen in
       den ersten zwei Jahren der Grundsicherung festschreiben. Doch gerade gegen
       diese Punkte wehrt sich die Union vehement.
       
       Der stellvertretende Parteivorsitzende und Ex-Jusochef Kevin Kühnert
       signalisierte am Wochenende, er sei beim Thema höhere Regelsätze offen. Er
       sagte bei einer digitalen Podiumsdiskussion: „Das, was derzeit an
       Regelsätzen gezahlt wird, ist zu wenig – um das zu sehen muss man nicht
       einmal links sein.“ Auf die 600 Euro wollte Kühnert sich nicht festlegen:
       „Die 600 Euro sind vielleicht medial wirksam, aber es geht ja im Endeffekt
       darum, nicht eine griffige Zahl, sondern einen richtigen Rechenweg zu
       haben.“
       
       ## Die SPD-Linke ist erbost über parteiinterne Kritik
       
       Kühnert machte Hoffnung, dass sich perspektivisch etwas ändern könnte: „Ich
       bin mir sicher, dass bei der Programmdebatte eine andere Berechnungsmethode
       rauskommen wird – und zwar eine, die am Ende zu einem höheren Satz führen
       muss.“
       
       Die linke SPD-Plattform DL21 geht einen Schritt weiter. Sie hat sich am
       Freitag auf einer Vorstandskonferenz dem Appell der Verbände angeschlossen
       und fordert nun mindestens 600 Euro Regelsatz. Das bestätigte der
       stellvertretende DL21-Vorsitzende, Lino Leudesdorff, der taz. Es ist das
       erste Mal, dass sich eine SPD-Parteigliederung zu der konkreten Höhe von
       mindestens 600 Euro bekennt. Schon zuvor hatte die DL21 höhere Sätze
       gefordert, jedoch keine konkrete Zahl genannt.
       
       „Die 600 Euro sind ein Betrag, der die echten Posten des Existenzminimums
       realistisch abbildet. Er lässt sich mit konkreten Berechnungen
       verschiedener Verbände, wie vom Paritätischen Wohlfahrtsverband,
       untermauern“, sagte Hilde Mattheis, Vorsitzende der DL21 und
       Bundestagsabgeordnete.
       
       Allerdings: Trotz erster Signale gibt es in der Partei starken Widerstand
       gegen eine dauerhafte Erhöhung des Regelsatzes. Die Argumentation der
       Kritiker brachte der Chef der Bundesagentur für Arbeit, der SPD-Mann Detlef
       Scheele auf den Punkt: „Es darf nicht die Schlüsselfrage sein, wie man mit
       höheren Geldleistungen möglichst lange von Grundsicherung leben kann“,
       sagte er der FAZ. Man solle sich stattdessen darauf konzentrieren, dass der
       Bezug der Grundsicherung für jeden Betroffenen eine möglichst kurze Episode
       in seinem Erwerbsleben bleibe.
       
       Das linke Lager in der SPD ärgert diese Haltung. Josef Parzinger,
       stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender, sagte der taz: „Wir müssen
       endlich wieder zu einem Punkt, wo wir Arbeitslosigkeit als kollektives
       Problem wahrnehmen und [2][nicht einem einzelnen in die Schuhe schieben] –
       und ihn für Arbeitslosigkeit bestrafen, in dem wir den Regelsatz bewusst
       niedrig ansetzen.“
       
       Lino Leudesdorff, stellvertretender Vorsitzender der DL 21, pocht auf die
       600 Euro: „Wir brauchen höhere Regelsätze und wir brauchen sehr wohl eine
       konkrete Zahl. Die hatten und haben wir beim Mindestlohn – und die brauchen
       wir auch beim Regelsatz.“
       
       Die letzte praktische Möglichkeit die Regelsätze deutlich zu erhöhen ließt
       die SPD im vergangenem Jahr liegen. Bei der Novelle des
       Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes wurden nur die Ausgaben für Handys neu
       berücksichtigt. Appelle von Wohlfahrtsverbänden nach einer vollständigen
       Übernahme der Kosten von Strom, oder Sonderzahlungen für langlebige und
       teure Güter blieben unerfüllt.
       
       1 Feb 2021
       
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 (DIR) Alina Leimbach
       
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