# taz.de -- Die Wahrheit: Hüpfen im grellen Strampelanzug
       
       > Literweise Körperflüssigkeiten vergießen – das megahammerharte Revival
       > der guten, alten Telegymnastik auf allen Kanälen.
       
 (IMG) Bild: Mit dem wiederbelebten „Tele-Gym“ ist der hippe Bayerische Rundfunk ganz, ganz vorn dabei
       
       Deutschland springt im Dreieck. Nicht nur weil das Land nach fast einem
       Jahr Corona den Verstand verliert, sondern weil es seine Lust an flippigen
       Bewegungen im Zweimeter-Radius wiederentdeckt hat. Und daran ist das Virus
       nicht ganz unschuldig. Als die Fitnessstudios reihenweise schließen
       mussten, fanden viele Sportfreaks zwar im Internet vorübergehenden
       Trainingsersatz. Doch beizeiten hatten sie sämtliche Youtube-Playlists
       durchgespielt, waren genervt vom ewigen „Vergesst nicht, zu abonnieren, und
       lasst mir doch ein Like da, hihi“.
       
       Erlösung fanden Sportfreaks ausgerechnet in den Untiefen der als
       lahmarschig verschrienen dritten Programme. „Über das seltsame Revival der
       Gymnastik-Sendungen im Fernsehen“ schrieb denn kürzlich die Süddeutsche
       Zeitung. „Wie in den Achtzigern“ fühle sich das an – das Revival des
       TeleGyms ist unaufhaltsam. Ähnliche Formate fassen nun auch bei
       Privatsendern und Streaming-Diensten Fuß … und Fuß – und Fuß – und Hand –
       und Hand – und Schulter – und drehen – und vor – und links – uuuund zurück!
       
       Grelles Polyester, Stirnbänder und Nena-Songs reichen heute nicht mehr aus,
       hat beispielsweise Netflix erkannt. Kein Geringerer als David Fincher wird
       daher die erste Staffel von „Exercise“ inszenieren, und darin soll es von
       Mindfucks nur so wimmeln. Spoiler: Nach der Hälfte von „Exercise“ stellt
       sich heraus, dass die Serie unter Wasser spielt und die Übungen eigentlich
       in einem Schwimmbecken zu absolvieren gewesen wären.
       
       Jede Folge endet mit einem Cliffhanger à la „Das rechte Knie ans Brustbein
       heben, tief einatmen und … to be continued.“ Größter Clou: Der Zehnteiler
       wird nichtlinear erzählt, das heißt, die Aufwärmphase beginnt im letzten
       Drittel, und der Cooldown wird im Vorspann von Episode 2 gezeigt. Eine
       Grenzerfahrung für jeden Körper!
       
       ## Sex zwischen Leichenbergen
       
       Der amerikanische Bezahlsender HBO bietet seinen deutschen Abonnenten mit
       „TeleGym: Blood, Sweat & Tears“ ein Prestige-Fitness-Drama, in dem
       literweise Körperflüssigkeiten strömen. Mindestens fünf Gymnastinnen sollen
       jede Woche auf bestialische Weise sterben, die Überlebenden haben zwischen
       den Leichenbergen Sex.
       
       Im Anschluss geben die Produzenten in „Behind the Sweatband: Analyzing
       TeleGym“ Einblicke in das Making-of. Kostprobe: „Diese Yogamatte ist aus
       Rollsplitt, damit der Schmerz echter wirkt.“ Der familientauglichere
       Konkurrenzanbieter Disney+ hat derweil einen Zusammenschnitt der kultigsten
       Bewegungseinlagen aus Trickfilmklassikern zum Nachtanzen bereitgestellt –
       sogar die rassistischen. Letztere dann allerdings mit vorgeschaltetem
       Warnhinweis.
       
       Auch in Köln schläft man nicht. RTL hat eine auf ihre Zielgruppe
       zugeschnittene Sendung ins Nachmittagsprogramm gewuchtet: In „Morgensport
       für Hartzis“ können postironische Unterschichtsverächter ihre Lachmuskeln
       trainieren, indem sie beobachten, wie Langzeitarbeitslose auf dem Laufband
       einem Toastschnitzel hinterherjagen oder auf dem Weg zum
       Zigarettenautomaten agilen Schuldenberatern ausweichen müssen. Und Vox gibt
       dem bewährten Dauerbrenner Kochshow einen sportiven Neuanstrich: Bei „Bauch
       Beine Gaumen“ werden die verbrannten Kalorien hinterher mit Sauerbraten
       samt Karamellpudding mindestens verdoppelt.
       
       Und die Öffentlich-Rechtlichen, die sich schließlich als Vorturner in
       diesem unverwüstlichen Format bezeichnen dürfen? Die bleiben ebenfalls
       nicht untätig. Der Streberkanal BR-alpha etwa möchte sich verstärkt seines
       Bildungsauftrags besinnen: Parallel zu den Schulschließungen wird jeden Tag
       um sechs Uhr 30 die Doppelstunde „Leibesertüchtigung I mit Leutnant a. D.
       Fritz Müller“ daheimgebliebenen Mädchen und Jungen in Erinnerung rufen,
       dass Homeschooling nicht alle Aspekte des Schulsports ersetzen kann –
       beispielsweise Demütigung und lebenslange Traumatisierung.
       
       ## Altpersonal mit Herzinfarkten
       
       Beim MDR reitet man wie gewohnt auf der Ostalgiewelle und verpasst der
       DDR-Reihe „Medizin nach Noten“ ein Reboot. Für die Pilotfolge wurden sogar
       Trainerinnen aus der Originalbesetzung reaktiviert – leider mussten die
       Dreharbeiten nach zwanzig Minuten abgebrochen werden: Drei
       Oberschenkelhalsbrüche, eine gelockerte Hüftpfanne, zwei leichte
       Herzinfarkte reduzierten das Altpersonal rápido.
       
       Mit „frischem Blut“ aus der letzten FDJ-Generation geht es nun von vorne
       los. „Bei uns heißt Popgymnastik ab sofort Aerobic, da gehen wir mit der
       Zeit“, erklärt MDR-Programmdirektor Klaus Brinkbäumer. „An der alten
       60-Prozent-Quote, also der Pflicht zu 60 Prozent Ostmusik, können wir
       leider nix rütteln, die steht im Medienstaatsvertrag. Aber freuen Sie sich:
       Inka Bause hat ein paar frische fetzige Hits eingespielt!“
       
       Der ARD-Ableger One wiederum setzt auf den Megatrend Satire. Die Übungen
       der Show „Late Night Hampelmann“ kombinieren schalkhafte Anspielungen auf
       mehr oder wenige aktuelle Skandälchen („So geh’n die Gauchos, die Deutschen
       gehen so!“) mit staubtrockenen Aufklärungsnummern („Was Bänderrisse mit dem
       Kapitalismus zu tun haben“).
       
       „Egal ob vor Erschöpfung oder wegen meiner belehrenden Monologe – danach
       werden Sie schlafen wie, haha!, Sachsens Ministerpräsident Michael
       Kretschmer beim Lesen der Extremismus-Statistik!“, verspricht Moderator
       Holger Hampelmann. Sport ist eben immer auch Mord.
       
       16 Dec 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Torsten Gaitzsch
       
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