# taz.de -- Kriegsverbrechen in Afghanistan: Australiens Mörder in Uniform
       
       > Vernichtendes Urteil eines Untersuchungsberichts: Australische
       > Elitesoldaten haben in Afghanistan offenbar Kriegsverbrechen begangen.
       
 (IMG) Bild: Harte Fakten: Australiens General Angus Campbell bei der Vorstellung des Untersuchungsberichts
       
       Canberra taz | Das Fernsehbild ist verwackelt, die Todesangst des jungen
       Afghanen aber spürbar. Der Bauer in ärmlicher Kleidung rennt in ein Feld –
       und stolpert. Hinter ihm ein schwer bewaffneter australischer Elitesoldat.
       Nach einem kurzen Wortwechsel mit seinem Vorgesetzten im Hintergrund feuert
       der Australier auf den am Boden liegenden Mann, der um sein Leben zu
       betteln scheint. Dann bricht das Video ab.
       
       Solche Bilder, aufgenommen mit Helmkameras der Soldaten und gesendet im
       australischen Fernsehsender ABC, haben die umfassendste Untersuchung des
       Verhaltens australischer Streitkräfte in der Geschichte ausgelöst. Mehrere
       Jahre lang ging ein Sonderbeauftragter Berichten und Gerüchten über
       mögliche Kriegsverbrechen nach.
       
       Das am Donnerstag bekannt gegebene Ergebnis der Untersuchung war
       vernichtend: 25 Angehörige der Eliteeinheit Special Air Services (SAS)
       sollen in mindestens 23 verschiedenen Situationen 39 afghanische Zivilisten
       „unrechtmäßig getötet“ haben, darunter auch Gefangene. Einige Soldaten
       hätten „das Gesetz in die eigene Hand genommen“, so der Kommandant der
       australischen Streitkräfte, Angus Campbell.
       
       Der Bericht habe eine „beschämende Bilanz“ enthüllt. Unter anderem seien
       neue Mitglieder der Truppe von ihren unmittelbaren Vorgesetzten dazu
       ermutigt worden, Gefangene zu erschießen und sich dadurch Respekt zu
       verschaffen. „Blooding“ hätten die Soldaten das genannt. Campbell
       kritisierte die „egozentrische Kriegskultur“, die in der Eliteeinheit
       herrsche. Oftmals hätten die Täter Material wie Funkgeräte und Waffen bei
       den Opfern platziert, damit es so aussah, als wenn es sich um Kämpfer
       handle.
       
       ## Kleinkind während einer Hausdurchsuchung erschossen
       
       Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte Australien insgesamt
       46.000 Soldaten nach Afghanistan geschickt. Sie kämpften zusammen mit der
       US-Armee gegen die Taliban und al-Qaida. [1][2013 wurden die Truppen
       abgezogen]. Seither häuften sich Gerüchte um Straftaten durch
       Elitesoldaten. Mehrere Whistleblower sagten aus.
       
       Kritiker hatten der Regierung von Premierminister Scott Morrison
       vorgeworfen, Berichte über mutmaßliches Fehlverhalten lange unterdrückt zu
       haben. Die australische Polizei führte [2][beim Fernsehsender ABC sogar
       eine Razzia] durch, nachdem dieser 2017 in einer Sendung zum ersten Mal
       über potenzielle Kriegsverbrechen berichtet hatte. Der Druck der
       Öffentlichkeit wurde schließlich so groß, dass Canberra die Untersuchung
       anordnete.
       
       Einzelheiten über die verschiedenen Taten sind geheim. Informanten aus den
       Reihen der SAS sowie Whistleblower in Afghanistan sprachen in
       Medienberichten jedoch von einer Vielzahl von potenziellen Verletzungen des
       Kriegsrechts. So soll in einem Fall während einer Hausdurchsuchung ein
       Kleinkind erschossen worden sein. In einem anderen Fall habe ein
       australischer Soldat einen Gefangenen ermordet, um Platz in einem
       Hubschrauber zu schaffen.
       
       Campbell machte klar, dass die mutmaßlichen Straftaten nicht „in der Hitze
       des Gefechts“ begangen worden seien. Die Untersuchungskommission hat 143
       Empfehlungen herausgegeben, wie in Zukunft solches Verhalten verhindert
       werden könne.
       
       ## Der juristische Prozess beginnt erst noch
       
       Premierminister Scott Morrison hatte in den vergangenen Tagen die
       Bevölkerung mehrfach gewarnt, die Enthüllungen würden „schockieren“. Am
       Mittwoch rief er den afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani an, um ihn zu
       informieren, dass es „einige verstörende Anschuldigungen“ gegen Soldaten
       gäbe, welche seine Regierung „sehr ernst“ nehme.
       
       Vor einer Woche hatte Morrison einen Sonderermittler eingesetzt, der den im
       Untersuchungsbericht gemachten Vorwürfen juristisch nachgehen soll. Dieser
       Prozess könnte länger als zehn Jahre dauern. Die von militärischen
       Ermittlern gesammelten Fakten können nicht mehr verwendet werden, weil sie
       unter Druck und unter Androhung schwerer Strafen ermittelt worden waren.
       Sämtliche Beweise müssen nochmals gesammelt werden.
       
       Danach beginnt der juristische Prozess vor dem australischen Bundesgericht.
       19 Männern drohen im Fall der Verurteilung lebenslange Haft wegen Mordes
       oder 25 Jahre Gefängnis wegen „grausamer Behandlung von Gefangenen und
       Zivilisten“ – beides Kriegsverbrechen.
       
       Wie Campbell am Donnerstag weiter meinte, schädige das Verhalten der
       Soldaten „die moralische Autorität als Armee“. Die Enthüllungen werden mit
       großer Wahrscheinlichkeit Folgen haben für das Ansehen der SAS-Truppen
       sowie der gesamten Streitkräfte. Soldaten haben in Australien beinahe den
       Status von Helden.
       
       Australische Truppen kämpften und kämpfen in allen Kriegen und Konflikten
       des ehemaligen Mutterlandes Großbritannien und des modernen
       Bündnispartners, der Vereinigten Staaten. Kritik an der Armee ist generell
       verpönt. Australische Regierungen jeder politischen Couleur zelebrieren den
       Mythos des „überlegenen“ und „ethisch puren“ australischen Soldaten in
       jährlich stattfindenden Paraden.
       
       19 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
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