# taz.de -- David Finchers „Mank“ auf Netflix: Orson Welles als Ehrgeizling
       
       > „Mank“ handelt vom Drehbuchautor des Klassikers „Citizen Kane“. Regisseur
       > Fincher rechnet darin mit Hollywoods Historie ab.
       
 (IMG) Bild: Herman Mankiewicz (Gary Oldman) und Marion Davies (Amanda Seyfried) auf dem Land
       
       1940, irgendwo in der Mojave-Wüste. Ein Mann, mit Gipsbein und auch sonst
       ziemlich ramponiert, wird in eine abgelegene Ranch gebracht, wo er von
       einer Krankenschwester versorgt wird und einer Sekretärin, die zum Diktat
       bereitsteht und nebenbei seine schwere Trunksucht unter Kontrolle halten
       soll.
       
       Der Ramponierte ist Herman J. Mankiewicz, ein alkoholkranker Drehbuchautor,
       der hier in Abgeschiedenheit ein Manuskript schreiben soll, aus dem später
       „Citizen Kane“ wird, das Epos über den Aufstieg und Fall eines Millionärs,
       der sich ein Medienimperium aufbaut und an seiner Machtgier zugrunde geht.
       Es wird das Regiedebüt eines 25-jährigen Wunderkinds namens Orson Welles,
       das zunächst floppt, aber für viele heute als bester Film aller Zeiten
       gilt.
       
       Die sagenumwobene Entstehung dieses Klassikers erzählt Regisseur David
       Fincher in „Mank“, seinem ersten Spielfilm seit [1][„Gone Girl“] vor sechs
       Jahren, in einer eigenwilligen Mischung aus Detailverliebtheit und
       fiktionaler Freiheit.
       
       Er zeigt Mankiewicz ([2][Gary Oldman]) als kaputten Säufer, Spieler und
       sozial wenig verträglichen Zeitgenossen, der sich immer wieder mit Leuten
       anlegt oder sich danebenbenimmt, porträtiert ihn zugleich als genialen
       Autor, der verkatert bessere Ideen hat als alle anderen, aber an der
       Branche, letztlich an sich selbst und den eigenen Ansprüchen scheitert.
       
       Der Film schlägt sich klar auf seine Seite, Orson Welles erscheint dagegen
       als junger Ehrgeizling, der die Mechanismen des Business für sich zu nutzen
       weiß. Er bezahlt Mankiewicz für das Verfassen des Drehbuchs, den Credit
       will er allerdings für sich allein.
       
       Eine Interpretation, die lange als Gerücht durch Hollywood geisterte und
       sich vor allem durch einen umstrittenen Essay der Filmkritikerin Pauline
       Kael im Magazin The New Yorker 1971 verfestigte, in dem sie sehr
       meinungsstark darlegte, warum das Drehbuch zu „Citizen Kane“ maßgeblich von
       Mankiewicz verfasst worden sein musste. Fincher folgt ihrer Lesart.
       
       Für „Mank“ übernimmt er die narrative Struktur von „Citizen Kane“ mit ihren
       chronologischen Sprüngen, erzählt die Arbeit am Drehbuch auf der Ranch,
       unterbrochen durch Rückblenden, in denen die Beinverletzung durch einen
       Autounfall ebenso vorkommt wie die Bekanntschaft mit William Hearst
       (Charles Dance), dem erzkonservativen Medienmogul und offensichtlichen
       Vorbild Kanes, und vor allem mit dessen Muse, der Schauspielerin Marion
       Davis ([3][Amanda Seyfried]), die sich beide später wenig schmeichelhaft im
       Film wiedererkennen.
       
       ## Zynische Studiobosse, Goldgräber und Wilder Westen
       
       Fincher versammelt so zahlreiche Anekdoten, die auf die ein oder andere Art
       das „Kane“-Drehbuch beeinflusst haben sollen, von Manks besoffenen
       Ausfällen bei Dinnerpartys bis zu legendär gewordenen Aussprüchen zynischer
       Studiobosse und Szenen, die den Mythos Hollywoods der Studioära als einen
       von „Idioten“ (O-Ton Mank) und Goldgräbern bevölkerten Wilden Westen
       zementieren.
       
       Nicht alles hat so stattgefunden oder ist belegt. Das Verhältnis zu seinem
       jüngeren Bruder und späteren Regisseur Joe („All About Eve“) etwa, oder
       Manks deutsche Krankenschwester, die sich als Jüdin erweist, vor den Nazis
       geflohen, und ihrem Patienten dankbar dafür ist, ein ganzes Dorf gerettet
       zu haben.
       
       Verbürgt ist dagegen der kalifornische Gouverneurswahlkampf 1934, in dem
       der Schriftsteller Upton Sinclair („Der Sumpf“) für die Sozialisten ins
       Rennen ging und von Hearst und MGM-Manager Irving Thalberg mit einer
       Schmierkampagne als Kommunist und verlängerter Arm Moskaus bekämpft wurde,
       sehr zu Manks Missfallen.
       
       ## Ambivalentes Spiel mit Erinnerungen
       
       Fincher geht es dabei gar nicht um ein möglichst dokumentarisches
       Auffächern historisch verbürgter Tatsachen, sondern um ein ambivalentes
       Spiel mit Erinnerung, wie in Manks eigenem vernebeltem Gedächtnis, in dem
       auch die Zeitsprünge nicht bloße Hommage an „Citizen Kane“ sind.
       
       Mit digitalen Spielereien imitiert er analoges Bild- und Tonmaterial dieser
       Ära, die körnige Schwarz-Weiß-Textur und die Tiefenschärfe in ausgeklügelt
       choreografierten Sequenzen, die Abblenden am Ende einer Szene, den
       Monosound, sogar die Markierungen, die dem Filmvorführer im Kino anzeigten,
       wann er die Filmrolle wechseln musste. Ein postmodernes Pastiche, das wie
       der Fiebertraum eines Filmnerds wirkt.
       
       ## Wunderknabe ohne Bonus
       
       Geschrieben hatte das „Mank“-Drehbuch vor vielen Jahren Finchers 2003
       verstorbener Vater Jack. Mehr als zwei Jahrzehnte hatte David Fincher
       versucht, den Stoff zu verfilmen, doch selbst Ende der 1990er, als auch er
       mit „Sieben“ und „Fight Club“ als Wunderknabe Hollywoods galt, wollte ihm
       kein Studio Geld für ein Schwarz-Weiß-Biopic über einen abgehalfterten
       Drehbuchautor geben.
       
       Da musste erst Netflix kommen, wo offensichtlich erhofft wurde, damit an
       den Kritiker- und Oscar-Erfolg von [4][Alfonso Cuaróns „Roma“] von vor zwei
       Jahren anknüpfen zu können.
       
       Und tatsächlich bekam „Mank“ in den letzten Wochen hymnische Besprechungen
       in der US-Presse, und Finchers Herzensprojekt hat sich in dieser
       merkwürdigen Award Season, in der kaum Spielfilme ins Kino kommen und die
       Streamingdienste erstmals den US-Filmpreisreigen bis zu den Academy
       Awards im April dominieren werden, zum sicheren Favoriten gemausert, den es
       zu schlagen gilt.
       
       Zu gut passt dieses die Geschichte Hollywoods reflektierende, das
       Filmemachen feiernde, den eigenen Kunstanspruch betonende und sich gegen
       die Konventionen des Kinomainstreams positionierende Werk eines
       hochtalentierten Sonderlings über einen ebensolchen zu einer Filmbranche,
       die sich damit am Ende auch selbst auf die Schultern klopfen kann.
       
       3 Dec 2020
       
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