# taz.de -- Streit um Regelbetrieb an Schulen: Maske auf und durch
       
       > Trotz hoher Coronazahlen soll der Unterricht normal weiterlaufen – zum
       > Teil auch gegen den Willen der Schulen.
       
 (IMG) Bild: Gedränge am Eingang der Gesamtschule Kronsberg in Niedersachsen
       
       Berlin/Bochum taz | Die Grundschule Tündern, das Humboldt-Gymnasium Bad
       Pyrmont und die Pestalozzi-Schule Hameln verbindet nicht nur der Landkreis.
       Alle drei Schulen liegen in Hameln-Pyrmont südlich von Hannover – und alle
       drei unterrichten seit vergangener Woche im Wechselmodell, also in
       geteilten Klassen, [1][mit Abstandsregeln und im Schichtbetrieb], wie
       zuletzt vor den Sommerferien.
       
       Das schreibt ihnen das niedersächsische Kultusministerium vor. Seit dem 2.
       November gilt an den rund 3.000 Schulen im Bundesland: Tritt ein Coronafall
       auf und liegt zu dem Zeitpunkt der Inzidenzwert im Kreis über 100
       Infektionen pro 100.000 Einwohner:innen, muss die Schulleitung auf
       „Szenario B“ schalten: in den Wechselbetrieb.
       
       Laut dem Kultusministerium in Hannover trifft das aktuell auf 319 Schulen
       zu, mehr als jede zehnte. So hoch ist der Anteil in keinem anderen
       Bundesland. Und das liegt weniger an den jeweiligen Infektionszahlen als
       daran, wie unterschiedlich die Landesregierungen damit umgehen.
       
       Wie eine Umfrage der taz zeigt, macht die Mehrheit der Kultusminister:innen
       den Schulen keine konkreten Vorgaben, wann genau sie die Klassen
       verkleinern und abwechselnd unterrichten sollen. Die Entscheidung darüber
       könne „regional durch eine Absprache zwischen Gesundheitsbehörden,
       Schulträgern und unseren Schulämtern ausgelöst werden“, lautet
       beispielsweise die entsprechende Formulierung in Hessen.
       
       ## Wechselmodell? Nicht vorgesehen!
       
       In Rheinland-Pfalz erwägt man, erst bei einem weiteren Anstieg der
       Infektionszahlen „älteren Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen,
       zeitlich befristet in Wechselmodelle zu gehen“. Andere Länder wie Hamburg
       teilen mit, der Wechselunterricht sei „derzeit nicht vorgesehen“.
       
       Die Folge: Auch in Corona-Hotspots wie Frankfurt am Main (297,9
       Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen) oder Mainz (279,1) werden
       Schulklassen weiter normal unterrichtet. Also in vollen Klassen, in denen
       die Abstandsregeln nicht eingehalten werden. Viele Länder haben zwar in den
       vergangenen Wochen die Hygieneregeln an ihren Schulen verschärft und zum
       Beispiel die Maskenpflicht im Unterricht ausgeweitet.
       
       In Bayern etwa müssen jetzt auch Grundschüler:innen Mund-Nasen-Schutz
       tragen. An die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, Klassen ab dem
       Inzidenzwert von 50 zu verkleinern und getrennt zu unterrichten, hält sich
       derzeit jedoch kein Land.
       
       Und das [2][stößt auf massive Kritik]. Seit Wochen fordern Elternverbände
       und Lehrergewerkschaften, dass Schulen flächendeckend zum Wechselmodell
       zurückkehren. „So wie im Moment unterrichtet wird, sind die
       Gesundheitsrisiken für Schüler und Lehrer zu hoch“, sagte die Vorsitzende
       der Gewerkschaft Erziehung und Wissen (GEW), Marlis Tepe, am Donnerstag.
       
       ## 2,7 Prozent in Quarantäne
       
       Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger bezeichnete es als „falsch und
       gefährlich“, in den Klassen „Mitglieder aus bis zu 30 Haushalten eng und
       oft auch noch ohne Maskenschutz nebeneinander sitzen“ zu lassen. Laut
       seinem Verband hat sich die Zahl der Schüler:innen in Quarantäne seit
       September auf 300.000 versechsfacht. Das entspräche rund 2,7 Prozent der
       Schüler:innen in ganz Deutschland.
       
       Der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler warnte am Mittwoch, dass
       sich die Lage an den Schulen ändere: Es würde zunehmend Infektionsgeschehen
       an die Schulen getragen und wieder hinaus. „Ich kann nur dringend dazu
       aufrufen, diese Konzepte mit aller Stringenz durchzusetzen“, sagte er in
       Hinblick auch auf Abstandsregeln und das Tragen von Masken. Die Ärzteschaft
       habe sich klar geäußert: Es gebe bei Kindern und Jugendlichen weder
       psychische Probleme noch Probleme mit der Sauerstoffversorgung, wenn sie
       Masken trügen.
       
       Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Mahnungen des RKI-Chefs die
       Kultusministerien umstimmen werden. Bei den Masken haben die Bundesländer
       ohnehin schon längst umgeschwenkt und [3][das Tragen der Masken] angeordnet
       – die Abstandsregeln hingegen lehnen sie nach wir vor ab. Denn die hätten
       kleinere Klassen und damit den Wechselunterricht zur Folge.
       
       „Wir müssen als Bildungspolitiker:innen auch andere Faktoren
       berücksichtigen“, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK)
       und rheinland-pfälzische Bildungsministerin, Stefanie Hubig, der taz. So
       raten Kinderärzte und Kinderpsychologen dringend zu Präsenzunterricht.
       Außerdem seien [4][die bisherigen Erfahrungen] mit Wechselunterricht und
       geschlossenen Schulen nicht besonders positiv.
       
       ## Eltern für offene Schulen
       
       Ähnlich äußerte sich auch die baden-württembergische Kultusministerin
       Susanne Eisenmann (CDU): Kleinere Lerngruppen oder ein Wechselbetrieb
       bedeute, dass für die Schüler, die zu Hause sind, wochenweise kein
       Präsenzunterricht stattfinde. „Die Erfahrungen aus der ersten Jahreshälfte
       haben bundesweit gezeigt, dass sich auf diese Weise, insbesondere für
       Kinder aus sozial schwächeren Familien, dem Bildungsauftrag nicht auf die
       gleiche Weise gerecht werden lässt wie im Präsenzunterricht.“
       
       Ein anderes Argument, das die Ministerien gern anführen: Ein Großteil der
       Eltern wünscht sich, dass die Schulen geöffnet bleiben. Im aktuellen
       „Deutschlandtrend“ sprachen sich gerade [5][86 Prozent der Befragten] gegen
       Schulschließungen aus. Man werde das Infektionsgeschehen aber genau
       beobachten und gegebenenfalls auf lokaler Ebene die Maßnahmen verschärfen,
       heißt es unisono aus den Ministerien. Wechselunterricht und
       Schulschließungen inklusive.
       
       Dass das jedoch nicht immer stimmt, zeigt ein Blick nach
       Nordrhein-Westfalen. Dort blockiert die schwarz-gelbe Landesregierung von
       CDU-Ministerpräsident Armin Laschet seit Wochen jede Form von Distanz- oder
       Hybridunterricht. FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer hält strikt am
       Präsenzmodell fest. Nur der dauerhafte Kontakt zu Lehrer:innen und
       Mitschüler:innen sichere „Bildungsgerechtigkeit“, wiederholt die Ministerin
       gebetsmühlenartig.
       
       Schon Anfang November hatte das für Infektionsschutz zuständige
       Gesundheitsministerium die Stadt Solingen gezwungen, eine
       Allgemeinverfügung zurückzunehmen, die eine Halbierung der Klassen vorsah.
       Dabei wollte Solingens SPD-Oberbürgermeister Tim Kurzbach so die
       Infektionszahlen in dem Corona-Hotspot drücken – Ende Oktober lag der
       Inzidenzwert bei 279 Infektionen.
       
       ## Unterricht so oder so schwer
       
       An Solinger Schulen herrscht deshalb großes Unverständnis für das Verbot
       aus der Landeshauptstadt Düsseldorf: „Ein normaler Unterricht ist schon
       heute nicht möglich“, sagt Dirk Braun, Schulleiter der Gesamtschule
       Höhscheid. 308 seiner 764 Schüler:innen seien aktuell in Quarantäne. Vier
       Lehrer:innen seien positiv getestet, elf weitere in Quarantäne.
       „Insgesamt ist ein Viertel des Kollegiums im Krankenstand“, so Braun zur
       taz. „Wenn wir die Klassen vorher geteilt hätten, wären wir nicht in so
       einer Situation.“
       
       Allerdings sagt die Zahl der Menschen in Quarantäne nichts über die
       tatsächlich Infizierten aus. Umstritten bleibt nach wie vor, wie sehr
       Kinder und Jugendliche zur Übertragung des Virus beitragen. Die
       Kultusministerien gehen nach wie vor davon aus, dass Schüler:innen nicht zu
       den „Treibern“ der Pandemie gehören. Sie stützen sich dabei auf Studien
       unter anderem von der Universität Dresden. Diese wurden jedoch noch vor den
       Herbstferien durchgeführt, also vor dem starken Anstieg der Infektionen.
       
       „Es verhärtet sich der Eindruck, dass die Schuljahrgänge genauso zur
       Übertragungsverbreitung beitragen wie andere Altersgruppen auch in der
       Bevölkerung“, sagte der Virologe Christian Drosten am Dienstag in seinem
       NDR-Podcast mit Blick auf eine [6][neue Metastudie] von Zoë Hyde von der
       University of Western Australia.
       
       Sie hat weltweit Untersuchungen zu Corona-Ausbrüchen an Schulen und Kitas
       ausgewertet und beschreibt zahlreiche Fälle von Infektionsclustern
       ebendort. Sie kommt zu dem Schluss: Entwarnung für Schulen könne es nicht
       geben, man müsse die Situation permanent beobachten. Und auch wenn einige
       Studien darauf hindeuten, dass Kleinkinder weniger infektiös sind als
       Erwachsene, sei das längst nicht sicher.
       
       ## Welche Rolle spielen Schulen in der Pandemie?
       
       Das RKI akkumuliert Daten von Gesundheitsämtern und konnte in 25 Prozent
       der Fälle nachvollziehen, wie Infektionsketten begannen – nach wie vor sind
       Kitas und Schulen hier kaum vertreten. Aber könnte es sein, dass sich die
       in den anderen 75 Prozent verbergen und einfach nicht ermittelt werden?
       Eher nicht, sagt Ralf Thomas. Er leitet im ländlich geprägten
       Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen mit über 600.000 Einwohner:innen
       die Fachstelle Covid im Gesundheitsamt.
       
       „Die Erfahrung zeigt, dass wir gerade in den Schulen sehr schnell und auch
       erfolgreich Infektionsketten unterbrechen können“, sagt er. Aus einem
       simplen Grund: Es ist kinderleicht nachzuvollziehen, wer die
       Kontaktpersonen von infizierten Personen in einer Schule waren. Derzeit
       liegt der Landkreis mit fast 150 Infizierten pro 100.000 Einwohner:innen
       knapp über dem Bundesdurchschnitt.
       
       Es gibt zwar 52 Ausbrüche an Schulen, aber nur 75 Infizierte – und
       sämtliche Kontaktpersonen sind bis vor Kurzem noch getestet worden. Das
       heißt, in den meisten Fällen hat eine mit dem Sars-CoV-2-Virus infizierte
       Person niemanden in der Schule angesteckt. Auch in Kitas das gleiche Bild:
       17 Ausbrüche, 26 Infizierte. Die Annahme, ein Kind in einer Kitagruppe
       stecke alle an, stimme aus seiner Erfahrung nicht, sagt Thomas – eine
       Erklärung dafür habe er nicht, außer dass die Betroffenen und ihre
       Kontaktpersonen schnell isoliert würden.
       
       Thomas weiß aber um die begrenzte Aussagekraft dieser Beispiele. Der
       Virologe Christian Drosten stellt klar: Wenn Schulen offen bleiben, ist das
       eine politische Entscheidung, keine virologische.
       
       12 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] /Rueckkehr-zum-Unterricht/!5702094
 (DIR) [4] /Stefanie-Hubig-ueber-Corona-an-Schulen/!5724163
 (DIR) [5] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/
 (DIR) [6] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.5694/mja2.50823
       
       ## AUTOREN
       
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