# taz.de -- Umgang mit islamistischem Terror: Das doppelte Monster
       
       > Kevin Kühnert und Sascha Lobo fordern, islamistischen Terror
       > entschlossener zu benennen und zu bekämpfen. Aber wie, ohne Rechten
       > Futter zu geben?
       
 (IMG) Bild: Trauerkundgebung für Samuel Paty am vergangenen Dienstag in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris
       
       Letzte Woche wurde der französische Lehrer [1][Samuel Paty] von einem
       18-jährigen Islamisten ermordet. Anfang Oktober attackierte ein Islamist
       [2][zwei Touristen in Dresden], einer von ihnen starb, der andere überlebte
       schwer verletzt.
       
       Der konservativ-liberale Journalist Alan Posener konstatier[3][t nach dem
       Mord an Paty], dass die deutsche Linke bei islamistischem und
       rechtsextremem Terror mit zweierlei Maß messe. Während sie rechtsextremen
       Terror verdamme, herrsche bei islamistischem Terror Schweigen. Das nütze
       den Rechtsextremen: „Die Feinde der Freiheit nutzen die Spaltung der
       Gesellschaft. Nur wer beides – die Religionsfreiheit und die Freiheit der
       Religionskritik – verteidigt, kann den Dunkelmännern wirksam begegnen.“
       
       Normalerweise erwartet man von Linken, dass sie Alan Posener ignorieren,
       auch wenn er manchmal recht hat. Kurz nach Poseners Kolumne aber
       [4][schreibt SPD-Vize Kevin Kühnert auf Spiegel.de gegen das „Schweigen“
       der Linken] über den Islamismus an. „Wenn die politische Linke den Kampf
       gegen Islamismus nicht länger Rassisten überlassen will, muss sie sich
       endlich mit diesem blinden Fleck beschäftigen.“ Auch [5][Sascha Lobo stellt
       in seiner Spiegel.de-Kolumne] nun „Stille“ bei den Linken fest. Sogar einen
       „Verniedlichungsrassismus“ gegenüber den islamistischen Täter:innen will er
       ausmachen. Damit meint er eine Art linken Rassismus, der islamistischen
       Akteur:innen Handlungsfähigkeit abschreibt, in dem er ihre Taten einfach
       nur als quasiautomatische Gegenreaktionen auf den bösen Westen
       interpretiert.
       
       Ein wenig übertreiben es Kühnert und Lobo schon. Auch haben manche linken
       Gruppierungen längst ein problematisches Interesse am Islam entwickelt. So
       schreibt zum Beispiel Stefan Grigat in der taz, dass „große Teile der
       Linken“ die „dringend notwendige Kritik des Islam den Fremdenhassern von
       rechts“ überlassen würden. Es geht aber nicht um eine Kritik des Islam,
       weil sich der Islamismus so wenig aus dem Koran erklären lässt wie die
       Kreuzzüge aus der Bibel.
       
       Dennoch beschäftigen sich Kühnert und Lobo mit einer wichtigen Frage: wie
       Linke mit islamistischem Terror umgehen sollen, ohne dabei das
       antimuslimische Ressentiment im Land zu bedienen. „Die deutsche Linke – und
       auch die Liberalen und Bürgerlichen – haben zweifellos versäumt, eine
       nichtrassistische Islamismuskritik zu entwickeln“, so Lobo. Wenn das so
       ist, dann ist das schlecht.
       
       Wie können sich Linke entschlossener, lauter und geeinter als bisher gegen
       Terror islamistischer Machart stellen, ohne sich von den rechtsextremen
       Kräften im Land instrumentalisierbar zu machen? Wie also das eine Monster
       bekämpfen, ohne das andere zu füttern?
       
       Indem die Linken das bekämpfen, was beide Monster eint: die totalitäre
       Erhöhung des Kollektivs über das Individuum. Diese äußert sich in
       Rassismus. Aber auch in Antisemitismus: Bei den Islamist:innen wie auch bei
       den Rechtsextremen haben am Ende meistens die Juden an allem Elend Schuld.
       Die Attentäter von Halle, Hanau, Paris und Dresden kommen alle aus
       derselben Hölle. Das müssen wir immer und immer wieder unterstreichen,
       anstatt die Opfergruppen oder die Tätergruppen zu hierarchisieren. Auf
       Böses folgt Böses. Nur wenige Tage nach dem Mord an Samuel Paty erlitten
       zwei muslimische Frauen in Paris Messerstiche, offenbar durch zwei
       Angreiferinnen, die sie nach Angaben der Opfer als [6][„dreckige Araber“]
       beschimpften. Die Polizei ermittelt.
       
       Beide, Rechtsextreme und Islamisten, sehen in ihren Gegnern keine
       Individuen mehr, sondern nur noch Abziehbilder einer verhassten Gruppe. Der
       junge Terrorist tötete Samuel Paty nicht deshalb, weil er Samuel Paty war,
       sondern weil er ihm als besonders schlimmer Repräsentant einer feindlichen
       Gesellschaft galt. Der rechtsradikale Attentäter von [7][Christchurch]
       tötete letztes Jahr betende Muslime, weil er sie als Verkörperungen einer
       verhassten Bedrohung sehen wollte. Beide Terroristen, die von Paris und
       Christchurch, aber auch die von Halle und Hanau, verwirkten ihr Leben. Sie
       sind tot oder in Haft wegen einer bösen Sache, die größer war als sie
       selbst. Den Aufhetzern auf beiden Seiten geht es darum, den von dem
       Politikwissenschaftler Samuel Huntington beschworenen Clash of Cilizations
       auf bestialische Weise wahr werden zu lassen. Einen Kulturkampf, in dem der
       Wert eines Individuums nur noch daran bemessen wird, was es für die eigene
       Seite leistet.
       
       [8][In einer aktuellen Studie] belegt das Jenaer Institut für Demokratie
       und Zivilgesellschaft vielfältige Verbindungen zwischen beiden Extremismen
       – auch in Deutschland. Die Studie untersucht etwa Ideologie, Rekrutierungs-
       und Diskursstrategien und Social-Media-Verhalten. „Feindlichkeit gegen
       Muslime und islamistischer Fundamentalismus sind eng miteinander verknüpft
       und verstärken sich gegenseitig“, so die Zusammenfassung der Studie.
       Ideologisch und in Sachen Radikalisierungsstrategie, gerade über die
       sozialen Netzwerke, bestehen hierzulande große Gemeinsamkeiten. Das Fazit
       der Autor:innen lautet, „dass beide Seiten in einem wechselseitigen
       Abhängigkeitsverhältnis stehen, um ihren extremistischen Narrativen
       Glaubwürdigkeit und ihren Aktivitäten Legitimität zu verleihen.“
       
       „Früher als erhofft.“ So reagierte Jörn Kruse, Hamburger Spitzenpolitiker
       der AfD, auf die islamistische Anschlagsserie in Paris 2015. Islamistische
       Gewalt polarisiert die Gesellschaft und nutzt der AfD, so das ebenso
       strategische wie menschenverachtende Kalkül. Kruses Parteikollege Arvid
       Immo Samtleben aus Dresden äußerte sich 2017 ähnlich und wünschte sich in
       einem Facebook-Post „ein paar islamistische Anschläge“, um die Umfragewerte
       der Partei zu verbessern. Diese und eine Vielzahl weiterer Beispiele,
       online wie offline, finden sich in der wichtigen Studie aus Jena.
       
       Was für Frankreich und Deutschland gilt, gilt auch global. Gilbert Achcar,
       ein Politikwissenschaftler der University of London, [9][beschrieb das
       symbiotische Verhältnis zwischen Gotteskriegern und Kulturkriegern] bereits
       nach dem 11. September und dem Irakkrieg von 2003. Damals wurde der War on
       Terror zum herrschenden Narrativ westlicher Politik. Gegen die rechten
       Kulturkrieger argumentierte Achcar, dass wir uns heute eben nicht in einem
       Clash of Civilizations befinden, in welchem sich die „Kulturkreise“ des
       Westens und des Islams in einem unerbittlichen Wertekampf gegenüberstünden.
       Vielmehr hätten wir es mit einem Clash of Barbarisms zu tun, in dem sich
       die radikalen Kräfte in beiden Zivilisationen gegenseitig aufstacheln. Ein
       Kampf, in dem die Barbaren drohen, die zivilisierten Mehrheiten auf beiden
       Seiten in Geiselhaft zu nehmen. Daraus folgt eine vielleicht altmodisch
       anmutende universalistische linke Perspektive, die sich gegen Monster auf
       beiden Seiten stellt. Das lässt sich leichter schreiben als tun. Vor allem
       zu einem Zeitpunkt, in der die Linke selbst zu sehr kulturalisiert und
       partikularisiert. Wenn es aber stimmt, dass Islamismus und Hass gegen
       Muslime sich gegenseitig bedingen, dann wäre nichts fataler, als den
       Rechten die Islamismusbekämpfung zu überlassen.
       
       Was also tun? In der Anerkennung der symbiotischen Verbundenheit von
       rechtem Islamhass und Islamismus liegt der Schlüssel zum Kampf gegen beide.
       Wer den antimuslimischen Rassismus der AfD eindämmt, verengt auch die
       digitalen und analogen Echokammern, innerhalb deren Islamist:innen
       ihre Anhänger:innen finden. Wer zeigt, wie viel die dschihadistische
       Ideologie mit dem Menschenhass der Rechtsextremen zu tun hat, steht ein für
       eine offene, demokratische und religionstolerante Gesellschaft. Wer auf den
       Clash of Barbarisms aufmerksam macht, hilft dabei, dass aus dem großen
       Kulturkampf nicht die sich selbst erfüllende Prophezeiung wird, die die
       Rechtsextremen so gerne herbeireden würden.
       
       25 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Trauer-um-ermordeten-Lehrer-bei-Paris/!5720032
 (DIR) [2] /Messerattacke-in-Dresden/!5720528
 (DIR) [3] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article218161858/Mord-an-Samuel-Paty-Dieses-Fanal-gilt-auch-uns.html
 (DIR) [4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kevin-kuehnert-ueber-islamismus-die-politische-linke-sollte-ihr-schweigen-beenden-a-5133948b-bac7-490a-a56a-a42d87a62532
 (DIR) [5] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/islamistische-anschlaege-die-linke-social-media-empoerung-bleibt-aus-kolumne-a-9ac7415a-f0d2-4d7d-8279-e5c606f2a82f
 (DIR) [6] https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2020/10/20/enquete-ouverte-apres-une-agression-contre-deux-femmes-au-champ-de-mars-a-paris_6056731_4355770.html
 (DIR) [7] /Urteil-gegen-Christchurch-Attentaeter/!5704534
 (DIR) [8] https://www.idz-jena.de/newsdet/radikalisierung-muslimfeindlichkeit-und-islamismus-verstaerken-sich-gegenseitig/
 (DIR) [9] https://www.amazon.de/Clash-Barbarisms-Making-World-Disorder/dp/1594513090/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&keywords=clash+of+barbarisms&qid=1603341998&sr=8-1
       
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