# taz.de -- Besetzung des Dannenröder Forst: „Ich habe die Klimakrise gesehen“
       
       > Carola Rackete wurde als Seenotretterin bekannt. Nun unterstützt sie die
       > Besetzer*innen im Dannenröder Wald gegen den Bau der A49.
       
 (IMG) Bild: Die Waldbesetzung sei auch das Vorleben eines anderen Gesellschaftsmodells, sagt Carola Rackete
       
       taz: Frau Rackete, haben Sie letzte Nacht in einem Baumhaus geschlafen? 
       
       Carola Rackete: Nein, im Dannenröder Wald habe ich noch keine Nacht im
       Baumhaus verbracht. Ich unterstütze die Medienarbeit der Besetzer*innen und
       schlafe im Mediencamp, weil im Wald kaum Handy-Empfang ist.
       
       Wie läuft ein Tag im besetzten Wald ab? 
       
       Es werden Baumhäuser und Barrikaden gebaut, aber es gibt natürlich auch
       Reproduktionsarbeit zu erledigen. Die Baumhäuser sind als kleine Dörfer
       organisiert, jedes Dorf macht mindestens einmal am Tag Plenum, um zu
       besprechen, wer kocht, wer kümmert sich um die Toiletten, wer baut was. Es
       gibt auch Veranstaltungen zu gesellschaftlichen Themen wie Feminismus,
       Konsum oder Entscheidungsprozesse in Gruppen. [1][Wie im Hambi] ist so eine
       Besetzung ja auch das Vorleben eines anderen Gesellschaftmodells.
       
       Wenn man vom Dannenröder Wald spricht, sind meist der kleinere Herrenwald
       und Maulbacher Wald mit gemeint, wo seit dem 1. Oktober gerodet wird. 
       
       Genau. Zu der Besetzung im Wald kommen mehrere angemeldete Mahnwachen an
       den drei Wäldern, da kann jeder hin und da sind die Zeltcamps. Das größte
       ist direkt in Dannenrod, da waren letzte Woche rund 200 Leute. Viele zelten
       aber auch im Wald.
       
       Warum tun die Leute das? 
       
       Sie sind aus unterschiedlichen Gründen da. Die einen wollen konkret diesen
       alten, gesunden Mischwald schützen. Anderen, zu denen ich mich auch zähle,
       geht es um die Verkehrswende.
       
       Da müssen Sie aber noch viele Wälder besetzen. 
       
       Wir wollen nicht nur dieses eine Projekt stoppen. Im aktuellen
       Bundesverkehrswegeplan stehen mehrere Hundert geplante Autostraßen. Der
       muss komplett überarbeitet werden. Jedes Infrastrukturprojekt, egal ob auf
       Bundes-, Landes- oder Kommunalebene, muss darauf geprüft werden, ob es mit
       dem Klimaschutz und dem Artenschutz zusammen passt.
       
       Ein Riesenaufwand. 
       
       Aber wir haben die internationalen Abkommen nun mal unterschrieben.
       Außerdem wird der Plan nur alle zehn Jahre erneuert, der aktuelle gilt seit
       2016. Aber inzwischen hat sich die Sachlage geändert, die Klimakrise spitzt
       sich immer mehr zu. Statt Investition in den Autoverkehr muss in das
       Schienennetz investiert werden. Dafür steht der Danni symbolisch.
       
       Ist konkret im Dannenröder Wald noch was zu gewinnen? 
       
       Auf jeden Fall. Wir wollen ja eine Diskussion über die Verkehrswende
       aufmachen. Annalena Baerbock und Anton Hofreiter haben ein Moratorium für
       den Bau der A49 und den gesamten Verkehrswegeplan gefordert. Die Grünen
       haben zurecht [2][Angst, dass es ihnen schadet, was in Hessen passiert].
       
       Aber die A49 ist nicht mehr zu verhindern, oder? 
       
       Na ja, selbst wenn die Trasse gerodet ist, steht da noch keine Autobahn.
       Die soll nächsten September, also zur Bundestagswahl, gebaut werden. Ich
       denke, die Baustelle wird massiv blockiert werden. Sie wird der Schauplatz
       für die Verkehrswende sein.
       
       Warum waren Klagen gegen das Projekt erfolglos, [3][obwohl ein
       Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebiet (FFH) gerodet] und
       Trinkwasserschutzgebiete bebaut werden sollen? 
       
       Die Voraussetzung für die Zerstörung eines Teils von einem FFH-Schutzgebiet
       ist, dass es ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Projekt gibt.
       Aber die Planung für die A49 ist 40 Jahre alt. Ich bezweifle, dass heute
       noch ein überwiegendes öffentliches Interesse an einem so schädlichen
       Infrastrukturprojekt besteht. Leider möchte weder das
       Bundesverwaltungsgericht noch der Europäische Gerichtshof das prüfen. Es
       ist nicht geregelt, wer für die Prüfung zuständig ist.
       
       Mehrere Kleinstädte haben Interesse daran, dass die viel befahrene
       Bundesstraße, die durch die Region geht, entlastet wird. 
       
       Aber die geplante Autobahnbrücke führt durch das Gleental, ein
       Trinkwasserschutzgebiet, das 500.000 Menschen versorgt. Das verstößt
       [4][gegen die EU-Wasserrahmenrichtlinie, das hat das
       Bundesverwaltungsgericht eingeräumt]. Würde man das Projekt heute nochmal
       beantragen, würde es nicht genehmigt werden.
       
       Die hessischen Grünen stellen den Kampf ja als verloren dar. Eine Ausrede? 
       
       Sie könnten sich zumindest an mehreren Stellen gegen das Projekt einsetzen,
       zum Beispiel mit einem Gutachten über das Trinkwasserschutzgebiet, das
       haben sie aber nicht gemacht. Die Räumung und die Rodung liegen zudem in
       der Verantwortung des Landes. Die Klimabewegung hat die hessischen Grünen
       aufgefordert, die Koalition platzen zu lassen.
       
       Dann realisiert die CDU das Projekt mit einem anderen Koalitionspartner. 
       
       Es geht um die Glaubwürdigkeit der Grünen. Setzen sie sich wirklich für
       Naturschutz ein und verteidigen ihre Grundwerte, oder verbreiten sie nur
       leere Worthülsen? Und: Können sie das repräsentieren, was die heutige
       Umweltbewegung erwartet?
       
       Was denken Sie? 
       
       Dass es im Moment keine Partei gibt, die ein Programm hat, das den Wandel,
       den wir bräuchten, fordert und umsetzen kann. Ich weiß aber, dass es bei
       den Grünen Menschen gibt, die dafür offen sind. Also offen, darüber zu
       sprechen, wie man die Wirtschaft nicht mehr nur am Bruttoinlandsprodukt
       ausrichtet, sondern an Indikatoren für zufriedene Gesellschaften. Dazu
       zählen etwa Zugang zum Gesundheitssystem, zu Bildung, soziale Gerechtigkeit
       und saubere Luft. Schottland, Island und Neuseeland machen das schon.
       
       Sie sind als Kapitänin der „Sea-Watch“ auf dem Mittelmeer bekannt geworden.
       Was hat Sie in den Wald gebracht? 
       
       Für mich ist das kein Themenwechsel, es hängt ja zusammen. Ich war nie
       festes Mitglied bei Sea Watch, aber ich helfe gern aus bei
       Menschenrechtsaktionen. Aber in dem Bereich gibt es momentan viele
       Menschen, die sich engagieren, es fehlt nicht an Aktivist*innen.
       
       Bäume zu retten, ist wahrscheinlich entspannter, als ein Einsatz für
       Menschenleben auf dem Mittelmeer. 
       
       Wir dürfen soziale Probleme nicht gegeneinander ausspielen, sondern müssen
       vielmehr gucken: Wie schafft man es, dass mehr Leute sich engagieren? Ich
       bin Naturschutzökologin. Seit 2011 war ich acht Mal in der Antarktis, unter
       anderem als im Februar die argentinische Forschungsstation Esperanza 18
       Grad Celsius gemessen hat, obwohl es um die null Grad sein müsste. Die
       Klimakrise ist für mich real, ich habe sie gesehen. Außerdem war ich immer
       in Kontakt mit Wissenschaftlern, die mir schon 2011 gesagt haben: „Die Lage
       ist dramatisch, wir berichten das seit 20, 30 Jahren.“
       
       Was haben Sie aus diesen Erfahrungen für sich geschlossen? 
       
       Dass Fakten und Berichte allein nichts bringen – es zählt der politische
       Wille. Deshalb muss man sich mit sozialen Bewegungen befassen. Man muss
       gucken, wie die in der Vergangenheit Veränderungen geschaffen haben und wie
       wir es schaffen können. Ich sitze auch nicht im verregneten Wald, weil mir
       das so viel Spaß macht. Aber politisch wird sich nichts ändern, ohne dass
       die Zivilgesellschaft Druck macht.
       
       11 Oct 2020
       
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