# taz.de -- Hygienemuseum in Dresden: Essen gehört ins Museum
       
       > Die Ausstellung „Future Food. Essen für die Welt von morgen“ widmet sich
       > unserer Ernährung. Beziehungsweise der Frage, wie sie sein sollte.
       
 (IMG) Bild: „Taraco 2018“, hier hat sich die japanische Fotografin Izumi Miyazaki selbst inszeniert
       
       Die Ausstellung beginnt mit einem Abspann: Ein kleines Partyzelt bildet das
       Foyer, auf den Tellern liegen noch Reste vom Büfett, in den Gläsern
       schimmert Abgestandenes. Und weil auch ein paar Männer an den Tischen
       sitzen, hat diese Szene etwas besonders Eindringliches. Es ist zwar das
       Museumspersonal, das hier wartet, um die Eintrittskarten zu kontrollieren.
       Aber sie wirken wie die Leute von der Security, die auf der Party noch die
       Stellung halten, bevor abgeräumt und das Zelt abgebaut wird. Derart
       lebendig wirkt die Szenerie noch nachdrücklicher: Sagt Abschied zu der Zeit
       des schnellen, billigen Essens, zu einem Essen, das kaum je wertgeschätzt
       wurde.
       
       „Future Food. Essen für die Welt von morgen“ heißt die aktuelle
       Sonderausstellung im [1][Dresdner Hygienemuseum.] Es ist schon die dritte
       große Schau in Deutschland innerhalb der vergangenen zwei Jahre, die sich
       mit dem Thema Ernährung beschäftigt, und sie ist die politischste von
       allen.
       
       2019 zeigte die Fotoausstellung „Food for the Eyes“ die Geschichte des
       Essens in den vergangenen zwei Jahrhunderten in Bildern. 2018 versammelte
       „Food Revolution 5.0“ erst in Hamburg und später in Berlin die
       fantastischsten Ideen, wie in Zukunft Nahrungsmittel hergestellt,
       vertrieben und zubereitet werden, wenn Massenstall, Supermarkt und die
       gemeine Teflonpfanne ausgedient haben.
       
       ## Essen als politischer Akt
       
       „Future Food“ ist eigentlich das Bindeglied zwischen diesen Ausstellungen.
       Die Schau zeigt, wie die Bilder, die wir uns vom Essen machen, entstanden
       sind und welche Ideologien dahinterstehen. Und sie erklärt eindringlich,
       warum es sich lohnt, die irrwitzigsten Visionen für die Ernährung von
       morgen zu entwickeln. Weil die Fantasie schon immer groß war. Und weil
       niemand, das wird in Dresden deutlich, jemals „einfach nur“ gegessen hat,
       also unschuldig zu sich genommen, was schmeckt. Essen war schon immer ein
       kultureller, ein sozialer und letztendlich ein politischer Akt.
       
       Organisiert ist die Ausstellung in vier Räumen. Im ersten hängen
       Gewächshausfolien unter der Decke, es geht um die Produktion. Anhand
       einzelner Beispiele lässt sich die Entwicklung der Lebensmittelindustrie
       seit Ende des 19. Jahrhunderts nachvollziehen und parallel dazu die
       Entwicklung alternativer Ideen. Da wird auf einer Gewächshausparzelle die
       Gründung der Obstbaugemeinschaft „Eden“ 1893 in Oranienburg erzählt, ein
       Projekt veganer Lebensreformer, aber auch eine Urform dessen, was man heute
       Solidarische Landwirtschaft nennt. Und nur ein paar Schritte weiter geht es
       um DDT, das Insektizid, das 20 Jahre vor der Eden-Gründung erstmals
       synthetisiert wurde, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg so richtig zum
       Einsatz kam. DDT ermöglichte den globalen Siegeszug der
       Hochleistungslandwirtschaft im Rahmen der „grünen Revolution“ in den 1950er
       und 1960er Jahren.
       
       Man erfährt auch, dass vieles, was heute als Essen von morgen gilt, gar
       keine so neue Idee ist. 1885 scheiterte der erste Versuch, Insekten auf
       englische Teller zu bringen. 1918 lässt sich Konrad Adenauer, damals noch
       Oberbürgermeister von Köln, eine Sojawurst patentieren. Und die Wurzeln des
       Urban Farming mit Gärten, die sich vertikal in den Himmel strecken, reichen
       bis in die 1960er Jahre zurück. Die Entwicklung der Landwirtschaft und
       Lebensmittelproduktion zu dem, was sie heute ist, war zu keiner Zeit
       unausweichlich und alternativlos. Das wird hier anschaulich beschrieben.
       
       Im nächsten Raum illustriert ein Logistikzentrum die Ströme des globalen
       Handels und ihre Konsequenzen. Auf einem Fließband liegen Produkte – vom
       Hähnchenflügel bis zum Schokoriegel –, die man an einen Scanner halten
       kann. Der zeigt Hintergrundinformationen über die ökonomischen und
       ökologischen Probleme, die mit ihnen verbunden sind. In hohen Lagerregalen
       stapeln sich dramatische Geschichten. Über Zucker, den Zusammenhang mit der
       einstigen Sklavenwirtschaft und den ökologischen Schäden, die der Anbau
       heute bewirkt. Oder warum Hühnerfleisch ein weltweiter Bestseller wurde,
       das Geld, das damit gemacht wird, aber vor allem in den Industrieländern
       ankommt. Auch hier werden alternative Modelle wie fairer Handel
       entgegengestellt.
       
       ## Nach der Moral kommt die Unterhaltung
       
       Der Input an Zahlen, Fakten und Ideen aus 150 Jahren Ernährungsgeschichte
       ist an dieser Stelle gewaltig. Gut, dass die Ausstellung nun etwas
       leichtfüßiger wird. Es geht in einen Supermarkt und dort an interaktive
       Stationen, an denen sich spielerisch überprüfen lässt, wie frei man
       eigentlich selbst in der Entscheidung ist, was man in den Einkaufswagen
       legt, und welche Kriterien dabei entscheiden: Geschmack, Preis,
       Nachhaltigkeit oder Gesundheit? Wie ist das eigentlich mit versteckten
       Zuckern in Softdrinks, Joghurt und Fertiggerichten? Welche Folgen haben
       die Überfischung der Ozeane und die Maßnahmen dagegen auf das, was an
       Meerestier in den Kühltheken liegt? Auf dieser Entdeckungsreise gibt es
       viel anzufassen und zu klicken.
       
       Nach der Moral kommt die Unterhaltung, mit und über das Essen. Gastmahl
       heißt der letzte Raum, der von einem riesigen Banketttisch dominiert wird.
       Hier wird das Motiv wiederaufgenommen, mit dem die Ausstellung begonnen
       hat: das verlassene Partyzelt. Welche soziale Funktion Essen, Genuss und
       guter Geschmack haben, wie wichtig es ist, sich gemeinsam an einen Tisch zu
       setzen, das ist hier Thema und wird charmant umgesetzt. Etwa in Form einer
       kleinen Sammlung verschwundener Speisen oder eines Kartensets, mit dem man
       sich selbst und andere mit Fragen zu den persönlichen Essgewohnheiten
       löchern kann.
       
       Am Ende verlässt man eine prall gefüllte Schau, in der man sich immer
       wieder wünschte, die Themen wären noch weiter und tiefer erzählt worden.
       Ein Fazit drängt sich dabei auf: Ernährung ist ein Thema, das es längst
       verdient hat, dass sich damit nicht nur Ausstellungen beschäftigen. Sie
       wäre ein eigenes Museum wert. Die Dresdner Ausstellung wäre eine
       hervorragende Grundlage dafür.
       
       Aber wie ist es denn nun um das Essen in der Welt von morgen, so heißt es
       im Ausstellungstitel, bestellt? Dafür bietet „Future Food“ keine
       offensichtliche Lösung. Regional und saisonal, das sind die Stichworte in
       der Debatte, und weitergedacht führen sie zu einem Ernährungssystem, das
       von Kleinteiligkeit und Diversität geprägt ist. Es ist eine Leistung der
       Ausstellung, dass sie zeigt: Eigentlich ist diese Vielfalt längst
       vorhanden. Sie wird nur verdeckt.
       
       10 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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