# taz.de -- Fotoausstellung in Chemnitz: Der Zeitgeist kichert vor Vergnügen
       
       > In Chemnitz kann man dem subversiven Witz der Künstlergruppe Clara Mosch
       > wieder begegnen. In der DDR wurde sie misstrauisch überwacht.
       
 (IMG) Bild: Die Mitglieder von Clara Mosch bei der Aktion Tripel Spiegelei (Pleinair Kolkwitz Rudolstadt) 1986
       
       Es gab nicht nur die vier gefeierten und auch angefeindeten Großmaler in
       der DDR. Neben Heisig, Tübke, Mattheuer und Sitte existierte immer auch
       eine alternative Szene. Besonders kreativ war sie ausgerechnet in
       Chemnitz, zu Zeiten als es Karl-Marx-Stadt hieß. Da hatte sie von 1977 bis
       1982 sogar einen irgendwie altmodisch klingenden eigenen Namen: Clara
       Mosch.
       
       Mit ihr verhielt es sich wie mit so manch anderem: die Dame gab es in
       Wirklichkeit gar nicht. Clara Mosch war ein Pseudonym, zu dem die
       miteinander befreundeten Künstler Carlfriedrich Claus (1930–1998) die
       Buchstaben CLA, Thomas Ranft (*1945) und Dagmar Ranft-Schinke (*1944) das
       RA, Michael Morgner (*1942) das MO und Gregor-Torsten Schade (*1948, seit
       1980 Kozik) das SCH beisteuerten: Clara Mosch. Dieses Phantom, das
       Ausstellungen und andere Events veranstaltete, war der Staatssicherheit der
       DDR von vornherein suspekt. Und wie sich herausstellen sollte, einen
       riesigen Überwachungsaufwand wert.
       
       Die Stadt Chemnitz hat sich nicht erst in den letzten zwei Jahrzehnten
       unter der beherzten Führung von Ingrid Mössinger einen bemerkenswerten Ruf
       als Kunststandort erarbeitet, mit dem Kunstmuseum gleich neben der Oper und
       der Sammlung Gunzenhauser in einem ehemaligen Bankgebäude. Einen guten Ruf
       in der Kunst hatte die Stadt schon, als sie noch den Namen von Karl Marx
       trug.
       
       Nicht unbedingt staats- oder parteioffiziell wie die
       Kunsthochschulstandorte Leipzig, Dresden, Berlin oder auch Halle. Aber für
       Kunstfreunde und Sammler. Die Auktionen der Galerie Oben waren ein
       (Pflicht-)Geheimtipp. So wie es die Clara-Mosch-Künstler jeder für sich
       waren. Und es nach wie vor sind.
       
       Ein Jahr nach der Biermann-Ausbürgerung, die in der Szene den Anfang vom
       Ende (der DDR) einläutete, also 1977, gründeten diese Künstler eine eigene,
       vom Kulturbund offiziell mitgetragene [1][Produzentengalerie mit dem
       harmlos klingenden Kunstnamen]. Sie hielten dieses ungewöhnliche Projekt
       abseits des Staatlichen Kunsthandels immerhin fünf Jahre bis 1982 durch.
       
       In dieser Zeit kamen gemeinsame Mappen, Mail-Art-Projekte und viele
       Aktionen in der freien Natur zustande. Nicht im Lichtkegel der offiziellen
       Aufmerksamkeit – aber: auf der Höhe der Zeit.
       
       Das Besondere daran: Der Große Bruder hörte mit bzw. ließ mitfotografieren.
       Der mit den Künstlern befreundete Fotograf Ralf-Rainer Wasse (1942–2017)
       dokumentierte – so wie es alle Künstler:innen machen oder machen lassen,
       bei denen es um die Aktion geht – sämtliche Projekte mit der Kamera.
       
       Als ambitionierter Fotograf und quasi Teil der Gruppe. Aber zugleich in
       einem geheimen Nebenjob auch für das Ministerium. Es ist schon eine
       verschmitzte Pointe der Geschichte, wie diese „Arbeit“ für die Akten,
       letztlich wider Willen, von der Überlegenheit der Kunst kündet.
       
       ## 120 Inoffizielle Mitarbeiter waren auf sie angesetzt
       
       Weil der Staat die Kunst so ernst nahm, dass ihm seine Künstler als
       potenzielle Gegner verdächtig und sage und schreibe 120 Inoffizielle
       Mitarbeiter wert waren, sind ihre spektakulären Kunstaktionen auf seine
       Rechnung umfassend dokumentiert. Hört man den Zeitgeist nicht förmlich in
       der Kulisse vor Vergnügen kichern, dass auch dieses Konvolut von
       Fotodokumentationen nach dem Verschwinden von Auftraggeber und
       dazugehörigem Staat selbst Teil dieser Kunst geworden ist? Dass es
       ausreicht, um eine ganze Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz daraus
       zu machen?
       
       So gibt es jetzt die fotografische und zum Teil filmische Dokumentation von
       14 Clara Mosch Plainairs. Von Morgner und Ranft ist überliefert, dass sie
       heute keinen Groll auf Wasse hegen. Da es nach eigener Aussage nicht zu
       Repressionen führte, wissen sie sogar zu schätzen, dass es diese
       Dokumentation gibt.
       
       Was zu dieser Gelassenheit beim Blick zurück beiträgt, das ist wohl auch
       die Pfiffigkeit, mit der die Chemnitzer die Staatsmacht in ihrem Umgang mit
       Kreativität gleichsam vorführten. Abgesehen davon, war Wasse auch ein guter
       Fotograf, dessen Bilder ihren künstlerischen Eigenwert haben.
       
       Ob mit ihrer „Promenade Göhren“, bei der die Künstler 1979 nackt am Baum
       (der Erkenntnis?) wuchsen, oder bei der Back-Aktion „Mehl Art“ von 1980, wo
       das bloße Brotbacken den Genossen zum Rätsel wurde. Oder dann, als Michael
       Morgner in „M. überschreitet den See bei Gallentin“ (1981) den Messias gab,
       bei dem es eben nicht mit dem Gang übers Wasser klappte.
       
       Das alles hatte subversiven Witz, den das gelernte DDR-Publikum zu
       entschlüsseln wusste. Mit ihren Aktionen „Holzkreuz“ und „Baum verbinden“
       trafen sie ziemlich zielsicher einen neuralgischen Punkt der DDR-Politik,
       die eher per Dekret als mit echten Lösungen auf ihr Versagen in Sachen
       Umwelt reagierte.
       
       Heute gelten alle Clara-Mosch-Mitglieder, jedes für sich, als etablierte
       Marken. Vor allem im Osten Deutschlands. Die hochinteressante und wie dort
       üblich gut gemachte Chemnitzer Ausstellung macht auf doppelbödige Weise
       Spaß. Und sie belegt, dass sich diese Künstler als Protagonisten einer
       alternativen Kunstszene in der DDR zu behaupten verstanden. Mit den Mitteln
       der Kunst. Also als ihr Triumph.
       
       18 Jun 2020
       
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