# taz.de -- Niedersachsens Lagebild Clankriminalität: Sippenhaft für die Statistik
       
       > Niedersachsen möchte gern zum Vorreiter in der Bekämpfung der sogenannten
       > Clankriminalität werden. Doch der Begriff ist kaum sauber zu definieren.
       
 (IMG) Bild: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius bei seiner letzten Clan-Pressekonferenz
       
       Hannover taz | Zum „ersten öffentlichen Lagebild Clankriminalität“ hatte
       der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) Ende vergangener
       Woche geladen. Es ist natürlich nicht seine erste Pressekonferenz zu diesem
       Thema. In den vergangenen Jahren hat Pistorius das Thema immer wieder auf
       die Tagesordnung gehievt. Dabei zeigt auch die aktuelle
       Öffentlichkeitsoffensive vor allem eines: [1][wie schwierig dieser Begriff
       ist] und wie schwer das dahinter liegende Phänomen für die Polizei zu
       fassen ist.
       
       Gerade erst hat [2][die Recherche eines Zeit-Journalisten] ganz erhebliche
       Zweifel an der niedersächsischen Statistik zur Clankriminalität auftauchen
       lassen. Darin wird unter anderem ein anonymer Polizist aus dem Großraum
       Hannover zitiert, der sagt: „Wenn ein 15-jähriger Junge zum Beispiel die
       Schule schwänzt und in einem Kiosk am Hauptbahnhof von Hannover aus
       Langeweile einen Schokoriegel klaut, landet er, weil er einen Nachnamen aus
       der Clantabelle trägt, automatisch in der Clanstatistik.“
       
       Dabei soll schon die Tabelle an sich, dank der unterschiedlichen
       Schreibweisen und der Auflistung ähnlicher Nachnamen, ziemlich ungenau
       sein. Außerdem, so der Vorwurf des Artikels, werde die Statistik durch
       Bagatelldelikte aufgebläht.
       
       Pistorius und sein Polizeipräsident Axel Brockmann benennen diese Kritik
       nicht, gehen aber trotzdem darauf ein. Die Methode mit der Namenszuordnung
       sei richtig und wichtig gewesen, um überhaupt erst einmal einen Überblick
       zu bekommen, sagen sie. Mittlerweile habe man aber eine neuartige Methodik
       entwickelt – so Pistorius wörtlich – die „weit über die eben erläuterten,
       bisher überwiegend ethnischen Kriterien“ hinausgehe.
       
       ## „Typisch clankriminelles Verhalten“ als Indikator
       
       Name und Herkunft seien jetzt kein alleiniges Merkmal mehr, es ginge um
       „typisch clankriminelles Verhalten“. Und das sei auch keineswegs ein
       Markenzeichen bestimmter ethnischer Gruppierungen wie etwa der
       türkisch-libanesischen Mhallamiye.
       
       Was ganz genau denn nun als „typisch clankriminelles Verhalten“ gilt, ist
       allerdings nicht ganz leicht zu definieren, wie auch LKA-Chef Friedo de
       Vries einräumt. Auf Bundesebene und unter den Bundesländern wird schon
       länger um eine gemeinsame Definition gerungen.
       
       Niedersachsen arbeite mit einer zweiteiligen Definition. Ein Clan sei
       zunächst einmal gekennzeichnet durch die verwandschaftlichen Beziehungen
       und die gemeinschaftliche Herkunft. Für eine kriminelle Clanstruktur
       müssten weitere Indikatoren hinzukommen: „Das Ausleben eines stark
       überhöhten familiären Ehrbegriffes“ etwa, das „Voranstellen familiärer
       Normen über die Verfassung“, das Verursachen von Gefahren für die
       Öffentlichkeit, eine hohe Gewaltbereitschaft.
       
       Wenn der ermittelnde Polizeibeamte der Meinung ist, dass so etwas zutrifft,
       kann er den Vorgang im polizeilichen Erfassungssystem neuerdings mit einem
       „Clankriminalitätsmarker“ versehen. Das ist eine der methodischen
       Neuerungen, auf die Pistorius stolz ist. Allerdings: Mit diesem Marker wird
       offenbar ziemlich viel versehen. 2.630 Ereignisse sind in die Statistik für
       das Jahr 2019 eingegangen, hinter 1.585 davon verbergen sich tatsächlich
       Straftaten.
       
       Das Spektrum der so erfassten Taten reicht von Verkehrsbehinderungen durch
       Hochzeitscorsos auf der Autobahn über die Massenschlägerei von zwei
       Roma-Großfamilien auf einer Straßenkreuzung in Badenstedt bis hin zu einer
       Bande, die als falsche Polizisten aus einem Callcenter in der Türkei in
       Deutschland Senioren abgezockt hat.
       
       Möglicherweise liegt es auch an dieser Unschärfe, dass das Innenministerium
       nun sagt, man könne keine lokalen Hotspots ausmachen, Taten dieser Art
       seien im ländlichen wie städtischen Raum vorzufinden.
       
       Gemeinsam ist den Taten vor allem, dass es sich einerseits um migrantische
       Täter handelt (die allerdings zu 48 Prozent einen deutschen Pass besitzen
       und zu 54 Prozent hier geboren sind) und dass sie andererseits irgendwie
       als provozierendes Infragestellen der öffentlichen Ordnung empfunden
       werden. „Die glauben die Straße gehört ihnen“, sagt Polizeipräsident
       Brockmann. [3][„Respektlosigkeit“ ist] ein Wort, das auch immer wieder
       fällt.
       
       ## In Peine räumte eine Polizistin das Feld
       
       Mit einem besonders krassen Fall hatte die niedersächsische Polizei
       allerdings erst in diesen Wochen in Peine zu kämpfen. Dort war eine
       Polizeibeamtin unwissentlich in eine Wohnung gezogen, die über einer
       Shisha-Bar liegt, die von sogenannten Clanmitgliedern frequentiert wird.
       Diese bedrohten die junge Frau und beschädigten mehrfach ihr Auto – bis sie
       sich versetzen ließ und damit das Feld räumte.
       
       Ein Kollege, der in dem Fall ermittelte, wurde von einem der Verdächtigen
       bis zu seinem Wohnhaus verfolgt. „Wir werden so etwas nicht dulden“,
       betonte Pistorius. Das Peiner Kommissariat wird nun vorübergehend von
       Kräften der Bereitschaftspolizei verstärkt, die künftig öfter in diesem
       Bereich eingesetzt werden soll.
       
       Dabei scheint eine andere Neuerung noch [4][viel erfolgversprechender]:
       Sieben „Financial Intelligence Officer (FIO)“ hat die Polizei Niedersachsen
       rekrutiert. Die sollen verstärkt versuchen, das illegal erworbene Vermögen
       abzuschöpfen und den Missbrauch von Sozialleistungen zu unterbinden. Im
       Jahr 2019 wurden Vermögenswerte in Höhe von knapp 5,7 Millionen Euro
       vorläufig gesichert.
       
       18 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Muslimfeindlichkeit-in-Debatte-um-Clans/!5656623&s=Clankriminalit%C3%A4t/
 (DIR) [2] https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-05/diskriminierung-clan-kriminalitaet-razzien-polizei-rassismus
 (DIR) [3] /Organisierte-Kriminalitaet/!5563374&s=Clankriminalit%C3%A4t/
 (DIR) [4] /Konferenz-gegen-Clankriminalitaet/!5634034&s=Clankriminalit%C3%A4t/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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