# taz.de -- Proteste gegen Rassismus in Berlin: „Hör auf zu zappeln“
       
       > Bei den Demos gegen rassistische Polizeigewalt in Berlin wurden viele
       > schwarze DemonstrantInnen verhaftet. Vier erzählen ihre Geschichte.
       
 (IMG) Bild: Einer von vielen Festgenommenen bei der Black-Lives-Matter-Demo am Alexanderplatz
       
       Berlin taz | Mehr als 100.000 Menschen haben am Wochenende eine
       [1][Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt] losgetreten. Nach der
       Ermordung des Schwarzen US-Amerikaners [2][George Floyd] vor zwei Wochen
       haben sie sich deutschlandweit in den globalen Protest unter dem Motto
       „Black Lives Matter“ eingereiht. Die größte Kundgebung, mit circa 50.000
       Teilnehmenden, fand auf dem Berliner Alexanderplatz statt. [3][Divers,
       friedlich und würdevoll]. Bis zum Schluss.
       
       Dann änderte sich die Stimmung durch die Festnahme eines Demonstranten,
       der, so der Vorwurf, ein Einsatzfahrzeug beschädigt haben soll. Umstehende
       reagierten aufgebracht auf den Einsatz, der den Anlass der Demo zu
       untermauern schien. Es folgten Aggressionen von beiden Seiten. Dabei kam es
       zu vereinzelten Stein- und Flaschenwürfen und zu Polizeigewalt. 93 Personen
       wurden festgenommen, viele von ihnen junge schwarze Männer. In Hamburg und
       Stuttgart kam es zu ähnlichen Szenen. [4][In Hamburg wurden 35 überwiegend
       migrantische Jugendliche in Gewahrsam genommen]. Der Polizeipräsident wies
       jede Kritik zurück und behauptete, eine „linksextremistische Organisation“
       hätte die Proteste gekapert.
       
       Den Vorwurf, dass bei diesen Polizeieinsätzen Rassismus eine Rolle gespielt
       habe, haben viele Betroffene in den sozialen Medien artikuliert und Bilder
       und Videos von prügelnden PolizistInnen hochgeladen. Die Berliner Polizei
       nahm dazu bis zum Redaktionsschluss der taz keine Stellung.
       
       Viele Nichtweiße erlebten schikanöse Behandlungen, etwa anlasslose
       Kontrollen oder brutales Vorgehen der Polizei nicht zum ersten Mal.
       Bundesweit sind seit dem Mord an [5][Oury Jalloh] im Jahr 2005 mindestens
       zehn Todesfälle aus den vergangenen Jahren bei Polizeieinsätzen, in
       Polizeigewahrsam oder in staatlichen Einrichtungen bekannt, bei denen die
       Annahme im Raum steht, dass sie mit der Hautfarbe der Opfer in Verbindung
       stehen. Die Kampagne „Death in Custody“ spricht sogar von 159 „Todesfällen
       von Schwarzen Menschen und Menschen of Color in Gewahrsamssituationen in
       Deutschland seit 1990“.
       
       ## Polizeibeauftragte könnten helfen
       
       Zur Aufklärung solcher Fälle, aber auch bei Übergriffen auf Demonstrationen
       oder im Alltag könnten Unabhängige Polizeibeauftragte beitragen. Nach
       Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg [6][will auch der rot-rot-grüne
       Berliner Senat zukünftig einen solchen einsetzen]. Unterstützung kam von
       der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die der deutschen Polizei „latenten
       Rassismus“ attestierte. Scharfer Widerspruch dazu kam aus den
       Polizeigewerkschaften und vom baden-württembergischen Innenminister Thomas
       Strobl (CDU), der im Deutschlandfunk sagte: „Strukturellen Rassismus gibt
       es bei unserer Polizei nicht.“
       
       Oliver von Dobrowolski, Vorsitzender des Vereins Polizei Grün, sagte
       dagegen der taz, er freue sich, „dass die Diskussion nun nach Deutschland
       schwappt“. Es bestehe kein Zweifel, dass es auch hier „Probleme mit
       rassistischem Polizeiverhalten, ob latent oder strukturell“, gebe. Der
       Widerstand aus der Polizeilobby, zu der er auch konservative Politiker
       zählt, sei „symptomatisch“.
       
       Vier der am Samstag Festgenommen haben der taz ihre Erlebnisse erzählt.
       Subjektiv, aber gestützt auf Bild- und Videomaterial. Ihre Namen sind der
       Redaktion bekannt, einige wurden jedoch anonymisiert.
       
       ## Joel, 19, aus Berlin-Wedding: „Mehrfach habe ich gesagt, ich kriege
       keine Luft“
       
       Während der Demo bin ich mit fünf Freunden auf die Baustelle neben dem
       Primark gegangen, weil der Platz total überfüllt war. Nach einiger Zeit
       kamen Polizisten, die uns aufforderten herunterzugehen. Wir haben uns zum
       Ausgang bewegt, als ein Polizist hinter mir einen Jungen in Gewahrsam nahm.
       Als die beiden an mir vorbeigingen, sagte der Polizist, ich soll ihnen
       Platz machen. Obwohl ich das getan habe, hat er mich zur Seite geschubst.
       Da war ein Engpass, neben mir waren aufgestapelte Steinplatten. Weil ich
       nicht dagegen fliegen wollte, habe ich im Fallen den Arm des Polizisten
       gepackt, um mich festzuhalten. Er hat direkt gesagt, ich solle mitkommen;
       eine Polizistin kam dazu und gab mir einen Tritt in den Oberschenkel.
       
       Nachdem ich mich kurz entfernen konnte, um mich zu beruhigen, haben mich
       dann vier Polizisten gepackt und wollten mich zu Boden drücken. Sie haben
       mich heruntergedrückt und dabei auch meinen Kopf auf den Boden geschlagen.
       Davon habe ich einen Bluterguss am Auge und eine Schürfwunde. Liegend war
       mir dann durch meine Bauchtasche, die ich schräg über der Schulter trug,
       die Luft abgeschnürt, bestimmt für 30 Sekunden. Mehrfach habe ich gesagt,
       ich kriege keine Luft. Die Antwort war nur: Hör auf zu zappeln.
       
       Erst als ich in Handschellen war, wurde ich hochgezerrt und konnte ich
       wieder atmen. Es wurden dann Fotos von mir gemacht und meine Personalien
       aufgenommen. Sie sagten, dass sie mich eigentlich mitnehmen müssten, aber
       dann die Menge zu emotional reagieren würde. Also ließen sie mich nach 30
       Minuten gehen. Ich soll eine Anzeige wegen Widerstands gegen
       Vollstreckungsbeamte bekommen.
       
       ## Lucy, 22, geboren in Potsdam, nigerianische Eltern: „Ich will das Recht
       haben zu schreien“
       
       Ich bin mit Freunden zur Demo, nicht weil George Floyd umgebracht wurde,
       sondern weil ich hier geboren und aufgewachsen bin und immer Unterdrückung
       erlebt habe. Ich will nicht, dass meine Kinder diese Erfahrungen machen
       müssen. Wir waren nicht bei der „Silent Demo“ auf dem Platz, sondern haben
       uns als linker Block formiert. Wir Schwarzen wurden 200 Jahre zum Schweigen
       gebracht, ich will das Recht haben zu schreien. Vor dem Start haben wir
       Schilder gemalt. „Fuck the Police“ stand auf meinem. Das habe ich den
       Polizisten vor die Nase gehalten, nicht weil ich die Polizei hasse, andern
       weil ich Reaktionen wollte, etwa, dass sie auf die Knie gehen oder sagen,
       dass sie keine Rassisten sind.
       
       Am Strausberger Platz wurden wir angehalten und von vielen Polizisten
       umzingelt. Über unsere Reden haben sie gelacht, auch darüber, dass wir
       diese durch den Lärm eines Polizeihubschraubers schlecht verstehen konnten.
       Dann wurde die Demo aufgelöst, wir sollten uns entfernen, durften aber
       nicht zurück zum Alex. Meine Cousine, eine weiße Freundin und ich standen
       noch da. Dann kam ein Polizist zu mir und sagte, dass mein Schild illegal
       sei, dabei trug ich es schon vier Stunden.
       
       [7][Direkt danach schoben mich mehrere Polizisten zu einem Polizeiauto].
       Einige Leute sind dazwischen, da haben sie meine Cousine auch noch
       mitgenommen, die weiße Freundin aber stehen gelassen. Auf dem Schild meiner
       Cousine stand „No justice no peace“. Dass da noch klein „1312“ (All Cops
       Are Bastards; d. Red.) daneben stand, haben sie erst im Auto gesehen. Ich
       habe eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung bekommen, sie eine wegen eines
       Krümels Weed (Marihuan; d. Red.).
       
       ## Aching, 24, in Kenia geboren, Deutsche: „Ich kann das gar nicht fassen“
       
       Ich wurde angezeigt wegen schwerer Körperverletzung, weil ich einen
       Glasaschenbecher auf eine Polizistin gekickt haben soll. Dabei war ich zum
       ersten Mal in meinem Leben auf einer Demo und habe den ganzen Tag versucht
       zu vermitteln. Ich habe Polizisten gesagt, dass wir keine Angst vor ihnen
       haben wollen, wenn wir sie sehen. Ich habe mich zwischen wütende
       Demonstranten und die Polizei gestellt und versucht zu schlichten. Jungs,
       die gerade geschubst wurden, habe ich dazu gebracht, einfach von der
       Polizei wegzutanzen.
       
       Als dann neben mir ein dünner arabischer Mann durch eine Polizeigruppe von
       seiner Freundin weggerissen wurde, bin ich auf einen Tisch eines
       Dönerimbisses gesprungen. Von dort habe ich gesehen, wie sie ihn mit
       Fäusten geschlagen haben. Vor Angst und Empörung habe ich geschrien. Ich
       bin dann von Tisch zu Tisch gesprungen, auf dem letzten habe ich, es war
       noch glatt vom Regen, den Aschenbecher getroffen. Ich habe die Scherben auf
       dem Boden gesehen und bin sofort zum Besitzer, um mich zu entschuldigen.
       
       Danach bin ich weiter in Richtung Hackescher Markt gelaufen. Dort habe ich
       versucht, ein paar Teenager vor einer Polizeikette zu beruhigen. Plötzlich
       kam eine große [8][Gruppe von Polizisten auf mich zu und warf mich zu
       Boden]. Ich habe mich nicht gewehrt, trotzdem wurde mein Arm dabei
       verdreht, mein Rock und mein Top zerrissen. Bei der Personalienfeststellung
       kam dann eine Polizistin und sagte, sie sei von dem Aschenbecher getroffen
       wurden. Sofort meinten andere Polizisten, sie hätten das auch gesehen. Ich
       gehe aber davon aus, dass ich niemanden getroffen habe. Was mir auffiel:
       Weiß aussehende Demonstranten wurden viel sanfter behandelt. Schwarze
       wurden gleich verhaftet. Ich kann das gar nicht fassen.
       
       ## Alphonse, 25, aus Berlin-Kreuzberg, geboren in Frankreich: „Er sagte:
       Sei ruhig oder ich prügle dich ins Krankenhaus“
       
       Ich bin erst zwei Stunden nach Demobeginn zum Alex gekommen, als ich von
       Freunden von der tollen Atmosphäre gehört hatte, dass alles friedlich ist
       und die Leute feiern. Zuvor war ich nie auf einer Demo. Gegen 16.30 Uhr
       rannten dann auf einmal Menschen panisch an mir vorbei, sehr junge und
       alte, manche heulten. Ich bin in die Gegenrichtung gegangen und sah, wie
       die Polizei Leute schlägt. Weil ich helfen wollte, habe ich mich zwischen
       die Polizei und die Demonstranten gestellt. Ich habe einen Polizisten
       gefragt, was das soll. Die Antwort: „Sei ruhig, sonst werde ich dich gleich
       ins Krankenhaus prügeln.“ Genau so kam es dann auch. Plötzlich wurde ich
       angegriffen und in den Schwitzkasten genommen. Dabei bin ich auf den
       Bordstein gestürzt, habe mir eine Platzwunde zugezogen und die Orientierung
       verloren.
       
       Ich habe mich dann ein paar Meter entfernt; dann kam der zweite Angriff.
       Ich wurde gegen die Glasscheibe einer Tram-Haltestelle geschubst und
       getreten. Dann bekam ich Handschellen, die so fest zugemacht wurden, dass
       ich meine linke Hand nicht mehr spürte. Ich habe gesagt, dass ich Schmerzen
       habe, aber es hieß nur, ich soll ruhig sein. Nachdem viel Zeit vergangen
       war, kam ich in eine Gefangenensammelstelle. Sie werfen mit schwere
       Körperverletzung und Landfriedensbruch vor.
       
       Irgendwann wurde ich zu einem Polizeiarzt gebracht, der feststellte, dass
       meine Hand keine Reaktion mehr zeigte. Ich kam dann ins Krankenhaus, wo es
       hieß, dass vielleicht ein Nerv beschädigt ist. Für mich war das kein
       Zufall, sondern ein Fall von Rassismus. Es wurden vor allem Schwarze brutal
       verhaftet. Und das passiert immer wieder: Selbst bei einer normalen
       Kontrolle bin ich schon wie ein Schwerverbrecher behandelt worden.
       
       9 Jun 2020
       
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