# taz.de -- Konjunkturprogramm in Grün: Jetzt oder nie
       
       > Corona bietet die Chance für einen grünen Neustart der Wirtschaft – doch
       > die „braune Industrie der Vergangenheit“ lauert schon.
       
 (IMG) Bild: Kein Beitrag zum Klimaschutz: Fluggesellschaften unterstützen
       
       Berlin taz | Die Kanzlerin war am Dienstagnachmittag einige Minuten lang
       sprachlos und unscharf. Dann funktionierte die Videoleitung aus dem
       Kanzleramt wieder.
       
       Gerade rechtzeitig, damit Angela Merkel ihre wichtigste [1][Botschaft beim
       „Petersberger Klimadialog“] loswerden konnte: Die Bundesregierung steht nun
       auch offiziell zum Ziel, die EU-Emissionen von CO2 bis 2030 um „50 bis 55
       Prozent“ zu senken. Und: Deutschland wird beim EU-Ratsvorsitz in der
       zweiten Jahreshälfte den „Green Deal“ der EU unterstützen und bei seinen
       eigenen Konjunkturprogrammen „immer auch den Klimaschutz ganz fest im Blick
       haben“.
       
       Die Wirtschaft nach der Coronakrise „besser wieder aufzubauen“, wie
       UN-Generalsekretär Antonio Guterres formulierte, war die zentrale Forderung
       des diesjährigen Treffens von etwa 30 UmweltministerInnen und
       VertreterInnen von Wirtschaft, Wissenschaft und Umweltverbänden.
       
       Die Stimmung heißt: Jetzt oder nie. Wenn Billionen für die Rettung der
       Wirtschaft fließen, ist das Chance und Risiko zugleich. Geht das Geld an
       die Richtigen, kann es einen Sprung in eine nachhaltige Zukunft geben. Geht
       es an die Falschen, lösen sich Klimaziele und grüne Investitionen für die
       nächsten Jahrzehnte in nichts auf.
       
       ## Investieren in die Zukunft, nicht in die „braunen Industrien“
       
       Die Klimaszene treibt eine Angst um: Gerade 2020, wo die UN-Staaten sich zu
       neuen Klimaplänen verpflichten sollten, könnte das Klima unter die
       Corona-Räder geraten. Denn durch die aktuelle Rezession sinken zwar die
       weltweiten CO2-Emissionen um etwa 5 bis 9 Prozent, aber das ist nicht von
       Dauer. Die Pandemie überlagert alle anderen Themen.
       
       Und durch Lobbyarbeit der fossilen Industrien könnten die Konjunkturpakete
       der Umwelt mehr schaden als nützen. So wie 2009, als die Hilfsprogramme
       nach der Finanzkrise nicht nur die Schuldenkrise lostraten, sondern auch
       die weltweiten CO2-Emissionen auf neue Rekordhöhen katapultierten.
       
       Das soll nun um jeden Preis verhindert werden, beschworen die Teilnehmer
       des virtuellen Treffens in Berlin. Sowohl aus Deutschland, Großbritannien,
       der UNO, Ruanda, Japan und erst recht aus Verbänden und Teilen der
       Wissenschaft war der Tenor: Investiert in die grüne Zukunft, nicht in die
       „braune Industrie der Vergangenheit“, wie der britische Starökonom Sir
       Nicholas Stern zusammenfasste.
       
       Genau auf diesem Weg sind aber die Staaten inzwischen. Das zeigt der
       [2][„Green Stimulus Index“], den die Strategieberatung Vivid Economics und
       die NGO Finance4Biodiversity vorgestellt haben: Von den weltweit insgesamt
       etwa 7,3 Billionen US-Dollar Sofortmaßnahmen floss der Löwenanteil an
       private Haushalte und in den Konsum.
       
       11 Prozent, immerhin 840 Milliarden, kamen aber Branchen zugute, die die
       Umwelt schädigen: Energie, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft. Dazu
       gehören Steuervorteile und Subventionen für Ölgesellschaften, der Neubau
       von Kohlekraftwerken oder die Rettung von Fluggesellschaften (allein in
       Europa fordern diese mehr als 12 Milliarden Euro) – und alles ohne
       irgendeine Öko-Bedingung.
       
       Den deutlichsten umweltschädlichen Fußabdruck dabei hinterlassen dabei die
       USA, aber auch Japan, Südkorea, Kanada und Australien. Deutschland steht
       mit seinen Plänen in Europa bisher am schlechtesten da.
       
       Dabei könnte frisches Geld in den richtigen Kanälen viel bewirken. Eine
       Berechnung der Analysefirma Climate Action Tracker für die
       Petersberg-Konferenz zeigt, dass grüne Konjunkturprogramme dazu beitragen
       könnten, die Investitionen in Öko-Techniken zu steigern und dreckige
       Geldanlagen zu bremsen. So könnten die CO2-Emissionen bis 2030 nahe an
       einen klimaverträglichen Pfad kommen. Aber die Experten warnen auch: Wenn
       die Regierungen es falsch machen, könnten die Emissionen noch mehr steigen
       als befürchtet.
       
       ## Rat der Analysten
       
       Konkret raten die Climate Action Tracker zu Hilfen für erneuerbare
       Energien, weniger Subventionen für Fossile, Geld für Busse und Bahnen und
       Ladesäulen für E-Mobile, mehr Energieeffizienz in der Industrie, verstärkte
       Gebäudesanierung und Rettung von Wäldern und Naturflächen.
       
       Auf keinen Fall, warnt die Studie, sollten die Regierungen in der Krise
       dagegen bestehende Umweltregeln lockern oder Staatshilfen ohne jede
       ökologische Bedingung austeilen.
       
       Beides geschieht allerdings gerade: In den USA etwa streicht die
       Trump-Regierung viele Öko-Auflagen, China baut neue Kohlekraftwerke und
       auch der Bundesverband der deutschen Industrie, der BDI, möchte die
       EU-Klimaziele für 2030 „dringend auf den Prüfstand stellen“. Bei den
       aktuellen Gesprächen zur Rettung der Lufthansa ist Klimaschutz kein Thema.
       
       Die EU will den grünen Umbau der Wirtschaft zwar weiterhin „als unser
       Wachstumsmodell“ definieren, sagte EU-Kommissar Frans Timmermans auf der
       Petersberg-Konferenz. Im Frühjahr 2020 präsentierte Kommissionschefin
       Ursula von der Leyen Details und Finanzierung des „Green Deal“, mit dem
       Europa bis 2050 klimaneutral werden soll.
       
       ## Für den „Green Deal“ der EU ist jetzt plötzlich Geld da. Aber es fehlen
       Regeln.
       
       Die Liste klingt wie die von Carbon Trackers: mehr Öko-Energien, gedämmte
       Gebäude, grüne Stahl-Herstellung, eine ökofreundliche Landwirtschaft, ein
       neues Klimagesetz und verschärfter Emissionshandel. Unter dem Druck der
       Krise hat die Kommission aber bereits einige Vorhaben verschoben.
       
       Eins der Probleme beim „Green Deal“ war das gewaltige Preisschild: 1.000
       Milliarden Euro in sieben Jahren sollte die grüne Zukunft kosten – aus dem
       EU-Haushalt, von der europäischen Investitionsbank und durch Umschichten
       existierender Fonds. Neues Geld war kaum eingeplant.
       
       Jetzt aber „wird der Markt mit Cash geflutet, das kann bis zu 3.000
       Milliarden gehen“, sagt Markus Trilling, Finanzexperte des Netzwerks CAN
       Europe. „Die Mitgliedsstaaten können sich so hoch verschulden wie sie
       wollen, die Regeln für staatliche Beihilfen wurden gelockert“ – allerdings
       fehlten klare Umweltvorgaben. Die EU-Kommission, sagen auch andere
       Beobachter, dränge die Mitgliedstaaten bisher zu wenig darauf, die
       nationalen Töpfe mit der Stoßrichtung „Green Deal“ auszustatten. „Die
       Kommission muss da eine sehr deutliche Ansage machen“, heißt es.
       
       ## 15 Milliarden für grüne Industrie
       
       Für Deutschland hat der Thinktank Agora Energiewende bereits einen
       konkreten Vorschlag gemacht: Mit 100 Milliarden Euro Staatsgeld solle die
       Kaufkraft gesteigert und grünes Investieren erleichtert werden. 22
       Milliarden Euro an Hilfen könnten so etwa den Strompreis für Haushalte um
       20 und für die Industrie um 25 Prozent senken, die EEG-Umlage solle 5 Cent
       pro Kilowattstunde weniger betragen. 15 Milliarden sollten in grüne
       Industrieanlagen wie CO2-arme Hochöfen und grünen Wasserstoff fließen.
       
       Mit 20 Milliarden könnten Ölheizungen gegen elektrische Wärmepumpen
       ausgetauscht werden und Gebäudesanierung im großen Maßstab möglich machen.
       Für moderne Busse, bessere Mobilität auf dem Land und die Umrüstung von
       Pkw-Flotten auf E-Mobile müssten 15 Milliarden ausgegeben werden.
       
       Für den Ökonomen und Direktor des Potsdam Instituts für
       Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, ist ein „europäischer
       Investmentfonds“ nötig, der langfristige verbilligte Kredite vergibt oder
       sich mit einer geringeren Renditeforderung am Eigenkapital von Firmen
       beteiligt, die sich zu Klima-Auflagen verpflichten.
       
       Dies wäre zugleich ein europäisches Solidarprojekt, erklärt er. Mit viel
       Geld könne ein solcher Fonds etwa die Elektromobilität oder die Entwicklung
       von grünem Wasserstoff ankurbeln und in ganz Europa, aber auch gezielt in
       Ländern wie etwa Bangladesch, die Kapitalkosten für grüne Investments
       senken.
       
       „Einfach die bisherigen Förderprogramme in XXL-Format aufzublasen wird
       nicht funktionieren“, sagt Edenhofer. Gebraucht werde auch ein höherer
       CO2-Preis, der bislang in den Konjunkturprogrammen aber fehle. Daher solle
       dieser zumindest indirekt durch günstigere Kredite für nachhaltige
       Investitionen berücksichtigt werden.
       
       „Der CO2-Preis sollte das zentrale Steuerungselement sein. Das ist wie im
       Auto: Da kann man mit einem Konjunkturprogramm gewissermaßen den Motor
       hochjagen, wie man will, ohne ein Lenkrad fährt man aber vor die Wand.“
       
       30 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Virtuelles-Treffen-in-Berlin/!5678777
 (DIR) [2] https://www.vivideconomics.com/wp-content/uploads/2020/04/2004249-Stimulus-Green-Index-summary-report.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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