# taz.de -- 40 Jahre Bremer Gelöbnisfeier: Der Sieg der Linken
       
       > Bei der Gelöbnisfeier der Bundeswehr kam es am 6. Mai 1980 zur Schlacht
       > zwischen Linken und der Polizei. Was ist 40 Jahre später davon geblieben?
       
 (IMG) Bild: Bundeswehrbusse wurden umgeworfen und in Brand gesetzt
       
       Bremen taz | Siegen ist die Linke nicht gewohnt. Man war jedenfalls selbst
       überrascht, als vor [1][genau 40 Jahren am Bremer Osterdeich
       Bundeswehr-Busse brannten] und die Polizei linker Massenmilitanz für ein
       paar Stunden unterlag. Die Veranstaltenden hatten nicht mit der
       Entschlossenheit von über 10.000 Demonstrant:innen gerechnet, die Polizei
       auch nicht und schon gar nicht Bremens späterer Bürgermeister Henning
       Scherf (SPD), der als Jugendsenator mit dabei war und sich als Vermittler
       zwischen Protest und Polizei verstanden sehen wollte.
       
       Es war das erste öffentliche Gelöbnis seit Bestehen der Bundeswehr. 1.200
       frische Rekruten aus norddeutschen Kasernen sollten im Stadion vereidigt
       werden, um die Streitkräfte zurück ins öffentliche Leben zu holen und alte
       Traditionen aufleben zu lassen. Nachdem diese und weitere Vereidigungen,
       etwa in Bonn, nicht ungestört ablaufen konnten, nahm die Bundeswehr für ein
       weiteres Jahrzehnt Abstand. Erst seit der Wiedervereinigung wird wieder
       regelmäßig vereidigt.
       
       Am 6. Mai 1980 geht es um martialische Symbolpolitik auf beiden Seiten:
       hier die fliegenden Steine der Linken, dort ein uniformierter Block unter
       Waffen. Umstritten ist das werbende Auftreten der Bundeswehr bis heute, von
       Rekrutierungen im Flecktarn aufs Berufsmessen bis hin zu Annoncen in der
       taz.
       
       Damals geht es noch ums große Ganze: Der damalige Bundespräsident Karl
       Carstens (CDU) war gerade ein Jahr im Amt – und die Debatten über seine
       NSDAP-Mitgliedschaft im öffentlichen Bewusstsein noch sehr präsent. Den
       Linken steckte der Deutsche Herbst noch in den Knochen, und der
       Nato-Doppelbeschluss war ein halbes Jahr alt: Die Stationierung von
       Pershing-II-Raketen und BGM-109 „Tomahawks“ gegen die Sowjetunion hatten
       weit über das linke Lager Angst vor einem nahen Atomkrieg geschürt.
       
       Der große Knall auf der Bremer Demo kam vielleicht überraschend – aber auch
       nicht aus heiterem Himmel. Der Sturm aufs Weserstadion gilt heute als
       Mythos, manche sehen hier die Geburtsstunde der Autonomen, die im folgenden
       Jahrzehnt zur mindestens medienwirksamsten linken Strömung avancieren
       sollten. Abschließend klären lassen sich die Ereignisse heute nicht mehr.
       Sicher ist aber, dass vor dem Weserstadion etwas Neues passiert war.
       
       ## Der 6. Mai als Bezugspunkt für viele
       
       Allerdings nicht die Gewalt, denn zugelangt hatten auch K-Gruppen in den
       70ern schon –, ganz zu schweigen vom Terrorismus der RAF und anderen
       Gruppen. Tatsächlich hatte bereits die Generation zuvor, die APO mit ihrer
       „Schlacht am Tegeler Weg“ von 1968 ein militantes Erfolgserlebnis im Ärmel.
       Damals ging es gegen das Berufsverbot für den seinerzeit noch linken
       Rechtsanwalt Horst Mahler.
       
       Nur war die K-Gruppen-Gewalt eher strategisch auf die Ermächtigung der
       Arbeiterklasse gegen die Ausbeutung ausgerichtet, während die Autonomen
       bereits im widerständigen Akt Befreiung erleben wollten – und das am
       Osterdeich wohl auch taten. Man war im Training: Viele
       Atomkraftgegner:innen waren aus Wald und Wiesen nach Bremen gekommen und
       hatten ihre Helme gleich mitgebracht. Vielleicht lässt sich das als Geburt
       der Autonomen verstehen: dass die Anti-AKW-Bewegung sich urbanen
       Themenfeldern zuwendet, vom Militarismus bis zum Häuserkampf.
       
       Der 6. Mai 1980 ist heute ein Bezugspunkt für sehr unterschiedliche
       Strömungen. Aus der Bremer Friedensbewegung erinnern etwa Ekkehard Lentz,
       als Sprecher des Friedensforums, und Hartmut Drewes, Pastor im Ruhestand,
       an die Ereignisse. Beide hatten die Kundgebung mitorganisiert und wollen
       mit dem Sieg von damals nun für Abrüstung von heute werben. Gewalt und
       Autonome kommen in ihrem Rundschreiben zum 40. Jahrestag nicht mal am Rande
       vor.
       
       Für die notorisch flüchtige autonome Geschichtsschreibung ist die
       Straßenschlacht wiederum längst Teil von Folkore. Spätestens seit [2][die
       Verfilmung von Sven Regeners Bremen-Roman „Neue Vahr Süd“] vor zehn Jahren,
       pünktlich zum 30. Jahrestag, die Kämpfe vor dem Stadion reinszeniert hat.
       Weil das Geld knapp war, hatte man die Auseinandersetzungen szenisch auf
       einen kleinen Tunnel verdichtet, der vom Stadion zur Stadt führt: ein
       Mikroschauplatz fürs Kino, der auffällig Einzug gehalten hat in auch andere
       Erzählungen vom Pflasterstein-verhagelten Gelöbnis.
       
       ## „Das Viertel“ in Bremen
       
       Was nun den Mythos angeht, lohnt ein Gang durch ebendiesen Tunnel und ein
       paar Meter weiter in Bremens linkes Szeneviertel, das schlicht „Das
       Viertel“ heißt. Ein linkes Biotop für Menschen mit teuren Wohnungen oder
       sehr alten Mietverträgen. Hier lassen sich die verschiedenen Haltungen zum
       Gelöbnis-Mythos auf engstem Raum besichtigen: von Alt-Autonomen über
       Friedensbewegte zum emanzipatorischen Linksradikalismus von heute. Alle
       sind irgendwie links und öko und haben wenig Berührungsängste zum
       sozialdemokratischen Establishment.
       
       Vor zehn Jahren fand hier eine gut besuchte Veranstaltungsreihe zum
       Gelöbnis statt, wo Leute von früher erzählten – und Jüngere aufmerksam
       zugehört haben. Klar wurde allerdings vor allem: Man hat nicht mehr viel
       miteinander zu tun. Zwar ist die Friedensbewegung noch immer sehr rührig
       dabei, Bremens Rüstungsindustrie öffentlich zu kritisieren – nur finden sie
       in weiten Teilen der Linken schon deshalb kein Gehör mehr, weil sie auch
       regelmäßig bei den „Palästina-Mahnwachen“ auf der Domtreppe gegen Israel
       wettern.
       
       Richtig einig war man sich aber auch damals nicht. Bemerkenswert am
       Gelöbnis von 1980 ist gerade, dass es den militanten Gruppen gelungen ist,
       die Führung der Demo zu übernehmen und den Eindruck einer Massenbewegung zu
       erwecken. Dass die Polizei an den organisierten Block, der das Stadion
       stürmte, gar nicht mehr rankam und stattdessen friedensbewegte Jugendliche
       am Rand zusammenschlug, dürfte die Szene weiter radikalisiert haben.
       
       Als Linksradikale:r im Fahrwasser von Pazifis:tinnen, Gewerkschaften, Jusos
       und Kirchen zu fahren ging eine Weile gut. Aber auch nicht immer: Als
       Friedensbewegung und Autonome 1983 in Bremerhaven aus Protest gegen
       amerikanische Atomwaffen den Hafen blockierten, sah das zunächst nach einer
       Neuauflage der Bremer Proteste aus. Nachlesen lässt sich das etwa in „Feuer
       und Flamme“, Geronimos Standardwerk zur autonomen Geschichte.
       
       Wieder übernehmen Autonome die Spitze der Demo, nur biegt der Rest taktisch
       gekonnt hinter ihnen ab. Stundenlang wandert der Schwarze Block isoliert
       durch die Stadt und wird am Ende völlig desolat und entkräftet vor der
       amerikanischen Kaserne von der Polizei abserviert. „Zwischen Bremen und
       Bremerhaven“, kommentieren Berliner Genoss:innen kurz darauf, „liegen 60 km
       und drei Jahre“.
       
       Ab 1990 dominieren Wiedervereinigung und Neofaschismus spät- und
       postautonome Kämpfe. „Nie wieder Deutschland!“ war mit der Friedensbewegung
       nicht zu machen, spätestens nach den Jugoslawienkriegen wird der linke
       Konsens gegen Militäreinsätze endgültig brüchig. Antizionismus und
       Antiamerikanismus sind nicht länger mehrheitsfähig. Kurz scheint die
       Antiglobalisierungsbewegung ein neues Massenbündnis zu bilden – mit
       allerdings sehr begrenzter Halbwertzeit.
       
       Was am Ende des Jahrestages bleibt, ist wohl die Erinnerung, wie prägend
       auch ein noch so kurzes Gewinnen für eine Bewegung sein kann. Und was das
       für die Dürrezeiten dazwischen heißt. Denn was in den 90er Jahren ohne Sieg
       politisierte Linke an [3][Bewegungen wie etwa Fridays for Future] wohl am
       nachhaltigsten irritiert, ist ja gerade deren vorsichtige Zuversicht, dass
       man am Ende irgendwie – vielleicht ja doch – wird gewinnen können.
       
       6 May 2020
       
       ## LINKS
       
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