# taz.de -- Frauenrechtlerin über NäherInnen: „Die Krise ist eine Chance“
       
       > Die Näherinnen in Indien und Bangladesch schuften für Kleidung, die wir
       > nicht brauchen. Jetzt ist der Moment, diese Praxis zu hinterfragen.
       
 (IMG) Bild: Näherinnen in Dhaka
       
       taz: Frau Burckhardt, Sie haben mit ihrer Organisation Femnet einen
       Nothilfefonds für die ArbeiterInnen aufgelegt, die wegen des
       Corona-Konsumstopps in den Industrieländern jetzt arbeitslos werden. An wen
       geht das Geld? 
       
       Gisela Burckhardt: An Organisationen in Indien und Bangladesch, die wir
       schon lange kennen. Save mit Sitz in Tamil-Nadu kümmert sich aktuell vor
       allem um Arbeitsmigranten. Sie werden in der Regel von Agenten angeworben,
       an Fabriken vermittelt und auch von ihnen bezahlt. Jetzt sind sie besonders
       schlecht dran. Nach Hause können sie nicht, es fahren keine Busse mehr. Und
       die indische Sozialversicherung greift nicht, weil sie bundesstaatlich
       organisiert ist und nicht für Migranten da ist. Also verteilt Save an sie
       Weizen, Reis, Öl und Bohnen – [1][für 20 Euro kann man eine vierköpfige
       Familie zwei Wochen am Leben halten]. In Bangladesch unterstützen wir eine
       Organisation, die an Arbeiterinnen mit Lebensmitteln und Infomaterial
       versorgen, damit sie sich vor Corona schützen können.
       
       Andere Organisationen haben ähnliche Fonds angekündigt, die Modemarke
       Primark auch. Wäre es nicht besser, es gäbe einen großen Fonds? 
       
       Primark hat viele Aufträge storniert, das führt dazu, dass Arbeiterinnen,
       die die Ware nähen, keinen Lohn mehr erhalten. Der Fonds, den Primark nun
       schaffen will, soll die Lohnausfälle kompensieren. Wenn das nicht nur PR
       ist, sondern auch wirklich umgesetzt wird, wäre es ein richtiger Schritt.
       Unternehmen müssen jetzt verantwortungsvoll handeln und Lösungen für die
       Beschäftigten in ihrer Lieferkette finden. Sie trifft es am härtesten.
       
       Auch große und bekannte Marken beantragen derzeit Gläubigerschutz, schicken
       ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit oder brauchen Notkredite … Ist es nicht
       angemessen, ihnen mehr Zeit zu geben? 
       
       Natürlich geht es denen schlecht, und natürlich muss man dafür sorgen, dass
       sie nicht insolvent gehen. Deshalb haben wir als zivilgesellschaftliche
       Vertreter*innen im Textilbündnis auch eine Pause akzeptiert. Aber ich sehe
       eben auch die Not der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Produktionsländern.
       Die Ironie ist doch, dass sie für Produkte arbeiten, die wir gar nicht
       brauchen. Sie werden auch gar nicht mehr voll verkauft, viel landet auf der
       Müllhalde oder wird verbrannt. Dafür haben die Näherinnen geschuftet? In
       den vergangenen Jahren ist der Druck auf die ArbeiterInnen, immer mehr,
       immer schneller, immer effizienter zu arbeiten, gewachsen. Die Coronakrise
       wäre die Chance, diesen Unsinn zu hinterfragen und künftig weniger Ware zu
       produzieren, die dafür nachhaltig.
       
       Wenn es ein europaweit gültiges Lieferkettengesetz gäbe, wäre die Situation
       der ArbeiterInnen in Indien und Bangladesch dann jetzt besser? 
       
       Ich denke schon. Wenn wir eine gesetzliche Regulierung hätten, die genau
       vorschreibt, welche Vorsorgepflichten Unternehmen haben, würden die Lasten
       jetzt besser verteilt werden. Ein solches Gesetz muss Haftungsregeln
       enthalten, damit Unternehmen vor Gericht verklagt werden können, die sich
       nicht regelgemäß verhalten. Und die, [2][die sich jetzt schon korrekt
       verhalten], denen passiert ja nichts. Diese Firmen gibt es ja auch. Jetzt
       gerade trennt sich der Spreu vom Weizen.
       
       17 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://femnet.de/fuer-frauenrechte/kampagnen/solidarityworks-unsere-arbeit-in-produktionslaendern/corona-nothilfefonds.html
 (DIR) [2] /Modemarken-in-der-Corona-Krise/!5673493&s=Primark/
       
       ## AUTOREN
       
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