# taz.de -- Verschwörungstheorien und Corona: Alternative Wahrheitssucher
       
       > Der Drang, die Mächte zu entlarven, die hinter allem stecken, hat
       > alternative Bewegungen schon vor Corona begleitet.
       
 (IMG) Bild: Es ist gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten
       
       In diesen Tagen [1][sind die Menschen verständlicherweise gereizt]. Man tut
       gut daran, sich über jedes Lächeln zu freuen und nicht jeden Anraunzer auf
       die Goldwaage zu legen (in Berlin kam man anders ohnehin noch nie weiter).
       
       Aber es ist nicht nur deswegen, weil jeder von uns gerade seinem ganz
       persönlichen Stresstest unterzogen wird, dass wir mit denen nachsichtig
       sein und freundlich bleiben sollten, die für eine unerhörte Lage bei
       überkommenen, ja abgeschmackten Welterklärungen Rettung suchen. Die – gar
       nicht so vielen – LeserInnenbriefe etwa, in denen eine „mainstreamige
       Berichterstattung zum Coronavirus“ moniert wird, die uns und anderen Medien
       den Kotau vor den Interessen dunkler Mächte im Hintergrund vorwerfen: Sie
       sind ein Aufschrei der Verlorenen, die toten Äste am Baum der Entwicklung
       kritischen Denkens. Wenn Thomas Mann in seinem berühmten Essay von „Bruder
       Hitler“ sprechen konnte, dann müssten wir – wenn wir es denn gerade nur
       dürften! – die „Geschwister Verschwörungstheoretiker“ liebevoll in den
       Arm nehmen und ihnen wie gerade unseren Kindern zärtlich ins Ohr flüstern:
       „Habt keine Angst: Wir schaffen das.“
       
       Und das, obwohl wir dessen selbst keineswegs sicher sein können; obwohl wir
       selbst manchmal eine Scheißangst haben: Aber Erwachsensein macht nun mal
       aus, in der Krise von sich selbst absehen zu können; die eigenen Marotten,
       Wünsche und Neurosen in den Griff zu bekommen und seine Kräfte für andere,
       für Schwächere zu mobilisieren.
       
       Zu diesem Erwachsensein gehört zweifellos, [2][für Grundrechte auch in
       Zeiten der Pandemie] einzutreten oder politischen Druck auszuüben, damit
       die EU endlich Solidarität und Vernunft zeigt, ob mit der [3][Einführung
       von Eurobonds] oder der [4][Evakuierung der Flüchtlingsstraflager in
       Griechenland]. Und dazu gehört auch, [5][jedem übereifrigen Polizisten]
       oder Blockwart in der Nachbarschaft mit Hinweis auf Vernunft und gutes
       Benehmen zu begegnen.
       
       Es ehrt den Menschen, dass er nach Erkenntnis strebt. Wer aber, anstatt in
       den Spiegel zu gucken, immer nur sucht, was dahinter sich vermeintlich
       verbirgt, verliert sich selbst. Das Virus ist real, und die Maßnahmen zum
       Schutz von uns allen liegen an der unteren Schwelle des epidemiologisch
       angezeigten. Bleiben Sie also bitte gesund – auch seelisch.
       
       18 Apr 2020
       
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