# taz.de -- Diskussion um Heinsberger Studie: Battle der Virologie
       
       > Das Rennen um die Deutungshoheit wird immer wilder: Virologen hauen sich
       > gegenseitig die Studien um die Ohren und Werber mischen auch mit.
       
 (IMG) Bild: Ergebnisse: Armin Laschet (CDU) am Donnerstag mit „seinem“ Virologen Hendrik Streeck im Gefolge
       
       Am Donnerstag hielt der Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck eine
       Pressekonferenz ab, in der er von seinen Forschungen im [1][Landkreis
       Heinsberg] in Nordrhein-Westfalen berichtete. Heinsberg, insbesondere die
       Gemeinde Gangelt, war der erste Brennpunkt der Pandemie in Deutschland,
       viele Menschen hatten sich mutmaßlich bei einer Karnevalssitzung
       angesteckt. Streeck und ein Team von Forscher*innen wollten deshalb – im
       Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen – die Ausbreitung des Virus unter
       den Menschen in Gangelt erforschen.
       
       Am Donnerstag verkündete [2][Streeck] dann bei der Pressekonferenz
       gemeinsam mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): Bei 15 Prozent sei
       eine Immunität gegen das Virus wegen einer laufenden oder bereits
       überstandenen Infektion festgestellt worden. Man könne nun in eine „Phase
       zwei“ eintreten. Eine recht verkürzte Schlussfolgerung verbreitete sich
       sogleich über die Ticker der Nachrichtenagenturen: „Lockerung von
       Einschränkungen wegen Corona möglich“, titelte die Frankfurter Allgemeine
       Zeitung.
       
       Das klingt ja super, denken sich jetzt die einen. Die anderen – maßgeblich
       die, die nicht in NRW wohnen – denken sich dasselbe, ärgern sich aber umso
       mehr darüber, dass sie nun womöglich nicht in den Genuss dieser Lockerungen
       kommen könnten.
       
       Und genau hier wird’s schwierig. Wenn jetzt einzelne Bundesländer ihre
       eigenen Virologen losschicken, die dann zu unterschiedlichen Ergebnissen
       kommen, welche dann wiederum zur politischen Meinungsbildung herangezogen
       werden, steht am Ende die Bundesregierung wie ein Despotenregime da, das
       die Bürger*innen ohne Not in ihre Häuser sperrt.
       
       ## Mächtig angestochenes Verhältnis zur Obrigkeit
       
       Braucht es das wirklich in Zeiten, wo eh schon alle mächtig angestochen
       sind, was das Verhältnis zur Obrigkeit und zur Vernunft angeht? Die einen,
       hat man das Gefühl, haben sich geradezu danach gesehnt, endlich mal von
       (hier kann man sie wirklich mal zutreffend verwenden, diese Metapher:)
       Mutti gesagt zu bekommen, was sie tun sollen und was nicht. Andere wiederum
       – und natürlich ist es kein Zufall, dass sich diese anderen vor allem, wenn
       auch nicht nur, in dem Spektrum wiederfinden, das auch sonst empfänglich
       für Verschwörungstheorien und Autoritarismusvorwürfe aller Couleur ist –
       wittern jetzt das, was sie ohnehin schon immer gesagt (bekommen) haben: Die
       da oben wollen uns hier unten klein halten.
       
       Streecks Studie geriet unmittelbar nach der Veröffentlichung der ersten
       Ergebnisse in die Kritik. Andere Expert*innen, darunter auch [3][Christian
       Drosten] von der Charité, zweifelten Methode und Aussagekraft an. Zum
       Beispiel ist das mit der Immunität gar nicht so einfach nachweisbar.
       Streeck, der als Professor und Direktor des Instituts für Virologie an der
       Medizinischen Fakultät der Universität Bonn einiges Renommee genießt,
       sagte„Zeit Online dazu, die Studie sei „mit heißer Nadel gestrickt“.
       
       Wie bitte? Klar, Wissenschaftler*innen stehen dieser Tage unter einem
       immensen Druck, und dass Drosten als neuer Bundeskanzler der Herzen gehypt
       wird, hilft dem Rest des Berufsstandes auch nicht gerade. Aber umso fataler
       ist es doch, wenn dann so ein Chaos dabei herauskommt. Bei allen guten
       Absichten: Könnte darunter am Ende nicht noch mehr Schaden als Nutzen
       entstehen?
       
       Schließlich wird auch das Rennen um die Deutungshoheit immer wilder.
       Streeck hat nicht einfach nur eine Studie durchgeführt, sondern lässt sich
       dabei von der Kommunikationsagentur des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Kai
       Diekmann unterstützen. Das Ergebnis klingt zwar wie ein schlechter
       Sat.1-Abendfilm, kann sich aber durchaus sehen lassen: Das „Heinsberg
       Protokoll“ hat eigene Facebook- und Twitter-Pages, auf denen die
       beteiligten Wissenschaftler*innen Einblick in ihre Arbeit geben. Zahlen
       muss Streeck dafür nicht: Ein Teil der Kosten werde von nicht näher
       genannten „Partnern“ übernommen. Steuergelder oder Mittel der Uni Bonn
       würden für die Dokumentation natürlich nicht verwendet, sagte der
       Geschäftsführer der Agentur.
       
       ## Eine Art Anti-Drosten
       
       Und trotzdem stellt sich die Frage: Kann es das wirklich sein, dass von
       Werbern eine Art Anti-Drosten aufgebaut wird, mit dem dann ein
       Ministerpräsident Politik macht?
       
       Es geht im Moment nicht allein um wissenschaftliche Expertise und
       Reputation, sondern vor allem um Sensibilität für die Tatsache, dass die in
       ihre Wohnungen gesperrte Öffentlichkeit noch viel weniger ein luftleerer
       Raum ist als sonst. Das gilt nicht nur für Virologen und andere
       Wissenschaftler*innen, sondern auch für Medien, die sich nur zu gern die
       knalligsten Zitate aus Interviews picken, um dann damit aufzumachen – und
       vergessen oder ganz einfach ignorieren, was sich damit in Gang setzt.
       
       Herdenimmunität ist schließlich das eine, Schwarmintelligenz das andere.
       
       11 Apr 2020
       
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