# taz.de -- Corona in Berlin und das Schulsystem: „Es fehlen die Lernorte“
       
       > Nicht alle SchülerInnen haben zu Hause gute Lernbedingungen. Die
       > Schulschließung verstärke deren Benachteiligung, erklärt eine Neuköllner
       > Lehrerin.
       
 (IMG) Bild: Jetzt alle allein zuhaus: leeres Klassenzimmer in Berlin
       
       taz: Frau S., Sie sind Lehrerin an einer Sekundarschule in Neukölln. Seit
       heute Morgen sind die Schulen und Kitas geschlossen, jetzt soll –
       theoretisch – die große Stunde des E-Schooling schlagen. Wenn Sie auf Ihre
       Schule schauen, wird das funktionieren? 
       
       S.: Wir werden die Lernunterlagen und Arbeitsblätter per Post verschicken,
       Mitte der Woche sollen die Pakete rausgehen. Beim Thema E-Learning kommen
       wir ganz schnell an technische Grenzen: Unsere Schülerinnen und Schüler
       haben zwar ein Handy. Aber gerade in der Mittelstufe haben die wenigsten
       einen PC, ein Tablet oder einen Drucker zu Hause. Einen Arbeitsbogen auf
       einem kleinen Handydisplay zu lesen ist allerdings schwierig. Deswegen
       schicken wir die Lernpakete per Post.
       
       Wie diszipliniert, glauben Sie, werden Ihre SchülerInnen tatsächlich
       zuhause arbeiten können? 
       
       Es wird so sein wie in der Schule: Einige werden fleißig dasitzen, andere
       werden das nicht so ernst nehmen. Tatsächlich wird das Lernen können für
       viele ein großes Problem werden: Es fehlen ganz einfach Lernorte. Viele
       meiner Jugendlichen haben fünf, sechs jüngere Geschwister zu Hause, die
       verstehen nicht unbedingt, warum sie jetzt leise sein sollen. Einer meiner
       Schüler hat mir neulich mal eine Audio-Nachricht aus seinem Wohnzimmer
       geschickt: Da war an Lernen definitiv nicht zu denken.
       
       Es stehen die Prüfungen zum – verschobenen – Mittleren Schulabschluss und
       Abitur an. 
       
       Ja, das macht es nochmal schwieriger. Und das wird die Chancenungleichheit
       – die einen haben die nötigen Ressourcen, die andern weniger – nochmal
       verschärfen. Zumal jetzt auch Lernorte fehlen wie die öffentlichen
       Bibliotheken, an denen sich sonst viele gerne zum Lernen getroffen haben.
       
       Haben Sie die Eltern darüber informiert, wie wichtig es jetzt ist, die
       Kinder zu unterstützen? 
       
       Ich habe meine Eltern letzte Woche abtelefoniert und auch einen Brief mit
       ins Lernpaket gelegt. Gut ist, dass wir hier an der Schule schon länger
       unsere Handynummern herausgegeben haben, obwohl wir keine Diensthandys
       haben. Ich muss als Lehrerin jetzt auch viel beruhigen und erklären.
       
       Wie reagieren die Kinder? Äußern sie Ängste und Sorgen angesichts der
       Omnipräsenz des Themas und der öffentlichen Einschränkungen? 
       
       Klar, die Kids haben unglaublich viele Fragen. Ich tausche mich schon seit
       letzter Woche viel über Nachrichtendienste mit ihnen aus, Telegram dürfen
       wir ja zum Beispiel benutzen, weil die Server in Europa stehen und nicht
       wie bei WhatsApp in den USA. Ich merke, wie wichtig das für sie ist, das
       ich als Lehrerin jetzt Ruhe ausstrahle. Und unabhängig davon, wie viel sie
       im Einzelnen jetzt mitnehmen werden vom Unterrichtsstoff: Allein, dass es
       Struktur und Beschäftigung gibt in den nächsten Wochen, ist wichtig.
       
       Wie ist denn die Struktur: Die Kinder bekommen das Lernpaket – bekommen sie
       dann auch Unterstützung oder werden die Aufgaben kontrolliert? Oder sehen
       sich dann alle in fünf Wochen wieder? 
       
       Wir werden Telefonkonferenzen mit Kleingruppen von SchülerInnen einrichten
       – und dann jeden Tag oder jeden zweiten Tag telefonieren. Ihre Lösungen
       sollen die Schülerinnen und Schüler per Mail schicken, ich schicke die
       korrigierten Lösungen zurück. Wer keine andere Möglichkeit hat, macht mit
       dem Handy ein Foto vom Arbeitsblatt und schickt es mir per
       Nachrichtendienst. Aber es wird eine Herausforderung – Nachfragen,
       Rückfragen, wie das normalerweise in einer Unterrichtsstunde läuft, das ist
       ja alles nicht möglich. Und klar: Da sind auch wieder die im Vorteil, die
       zu Hause jemanden haben, den sie fragen können.
       
       Die Prüfungen zum MSA wurden schon um zwei Wochen nach hinten verschoben.
       Macht es nicht Sinn, die Vergabe von Noten jetzt auszusetzen – gerade mit
       Blick auf die unterschiedlichen Chancen, die Jugendliche in dieser
       Situation haben? 
       
       Unsere Schüler hier haben immer einen Lernnachteil, das ist so. Aber ja,
       ich hoffe, dass die Verwaltung jetzt über Entlastungsmaßnahmen nachdenkt:
       Zum Beispiel, ob man Zeugnisse aussetzen kann, Prüfungen erst nach dem
       Sommer schreibt, aber trotzdem schon eine Ausbildung beginnen darf.
       
       17 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
       
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