# taz.de -- Interview zum Homeschooling: „Einander belohnen ist wichtig“
       
       > Die schulpsychologische Beraterin Elisabeth Göttler-Atef hat Tipps, wie
       > das Lernen zu Hause gut klappen kann.
       
 (IMG) Bild: Zu Hause lernende Schülerin
       
       taz: Frau Göttler-Atef, Schule ist ein zentraler Teil unseres
       Familienalltags. Jetzt bricht sie weg, wie lange, ist unklar. Was ist aus
       Ihrer Sicht für Familien jetzt am wichtigsten? 
       
       Elisabeth Göttler-Atef: Es klingt banal, aber das Wichtigste ist es, erst
       einmal Ruhe bewahren und zu versuchen, dass man zu Hause eine gute
       Alltagsstruktur etabliert.
       
       Welche Funktion haben denn jetzt die Eltern – sollen sie die Lehrer
       ersetzen? 
       
       Die Eltern können und sollen die Lehrer nicht ersetzen. Ihre Aufgabe ist
       es, die Kinder zu unterstützen und zu motivieren, damit sie den Stoff
       bewältigen, den die Schüler weiterhin von den Schulen bekommen.
       
       Das dürfte vielen schwerer fallen als in der Schule, wo alle miteinander
       lernen. 
       
       Das stimmt. Die Unterstützung und Anregung durch die Lerngruppe fällt für
       die Schüler weg. Hilfreich kann es sein, wenn sie sich mit ihren
       Mitschülern weiter per Telefon oder Videochat austauschen können.
       
       Welche Tipps haben Sie denn für die Eltern in Sachen Motivieren? 
       
       Die Kinder brauchen einen guten Arbeitsplatz zu Hause, feste
       Zeitstrukturen. Wir haben die Rückmeldung bekommen, dass es bei vielen
       sogar ganz gut gelingt, wenn die Eltern im Homeoffice und die Schüler an
       ihren Aufgaben arbeiten. Man kann dann zum Beispiel die Verabredung
       treffen, dass man sich jeweils nach zwei Stunden zusammensetzt und einander
       zeigt oder erzählt, was man in der Zeit geschafft hat. Feste
       Aufgabenblöcke, regelmäßige Pausen und dann nach einer vereinbarten Zeit
       auch wirklich Schluss mit Schule für den Tag – das gibt den Kindern
       Struktur. Einander belohnen ist auch wichtig: mit einem gemeinsamen Spiel
       zum Beispiel nach getaner Arbeit.
       
       Ich kenne auch Eltern, die nach Woche 1 gesagt haben: Ach das klappt
       eigentlich ganz gut. Im Moment hat das Experiment Homeschooling aber sicher
       noch den Effekt des Neuen und Spannenden, der bald verfliegt. 
       
       Natürlich. Umso wichtiger ist es, jetzt die Strukturen zu schaffen, um dann
       auch gut durch die Zeit zu kommen, die für alle noch anstrengender wird.
       Das gibt den Eltern und Kindern Sicherheit.
       
       Das klingt praktikabel für Familien, die ohnehin gut zurechtkommen, in
       denen es genug Zeit und Raum für die Kinder gibt. Das ist ja aber bei
       Weitem nicht überall so. 
       
       Für Familien, die wenig Ressourcen haben, ist das eine ganz, ganz
       schwierige Situation. Wenn die Schularbeiten hier noch zusätzliche
       Eskalation bringen, dann muss man sie im Zweifel hintenanstellen und sich
       Hilfe über die Lehrer, die Schulpsychologie, das Jugendamt,
       Erziehungsberatungsstellen, und wenn es ganz schlimm wird, den Kinder- und
       Jugendnotdienst holen. Viele Unterstützungssysteme sind weiter erreichbar,
       aber die Familien müssen natürlich den Schritt von sich aus tun. Das fällt
       gerade Familien mit wenig Ressourcen oft sehr schwer und ist etwas, das uns
       allen, die wir in diesem Bereich arbeiten, große Sorgen macht.
       
       Verschärft diese Zeit ohne den Ort Schule Bildungsungerechtigkeit? 
       
       Erst einmal wird die Schere sicher noch ein Stück weiter auseinandergehen.
       Wenn dieser Zustand vorbei ist, muss man alles tun, um das zu kompensieren.
       
       Dennoch schreiben Sie in Ihrem Infobrief, dass diese Zeit auch wertvolle
       Möglichkeiten für Familien bietet. 
       
       Es ist eine Chance für Familien, jenseits von Urlauben, mehr Zeit
       miteinander zu verbringen, einander näherzukommen. Eltern können neue
       Facetten an ihren Kindern entdecken, mehr am Schulalltag partizipieren,
       größeres Verständnis für die Arbeit von Lehrern entwickeln.
       
       Auch Eltern sind verunsichert – bei manchen ist die eigene Existenz durch
       Schließungen bedroht, andere wissen nicht, wie sie Kinder und Arbeit unter
       einen Hut bringen sollen. Wie schafft man es, dass die eigenen Ängste nicht
       auch die Kinder belasten? 
       
       Natürlich spüren auch die Kinder, dass wir uns in einer ernsten Situation
       befinden, das kann man nicht vor ihnen verheimlich. Wenn sie Fragen haben,
       sollte man versuchen, sie ihnen kindgerecht zu beantworten. Aber ihre
       eigenen Ängste sollten Eltern mit anderen Erwachsenen besprechen, mit dem
       Partner, Freunden.
       
       Auch Familien, die ansonsten gute Ressourcen haben, wird die häusliche Enge
       vielleicht an die Grenzen bringen. Haben Sie einen Tipp für gute
       Konfliktbearbeitung? 
       
       Das Besondere ist ja, dass man sich nicht aus dem Weg gehen kann, sich
       nicht zerstreuen kann. Dadurch muss mit Konflikten anders umgegangen
       werden. Auch das kann eine Chance sein. Generell hilft die Einstellung,
       dass es nicht per se schlecht ist, wenn Kinder und Eltern Unterschiedliches
       wollen. Man muss halt darüber reden und zu einer gemeinsamen Lösung finden.
       Am besten ist es, eine ruhige Gesprächssituation in der Familie zu suchen,
       wenn man nicht mehr total aufgebracht ist. Das Eisen kalt schmieden.
       
       Gerade wenn man selbst arbeiten muss, ist es verführerisch, die Kinder mehr
       als sonst dem Handy zu überlassen. Ein Tipp zum Medienkonsum? 
       
       Erst einmal ist es wichtig, dass die Medien gerade jetzt auch Möglichkeiten
       bieten, sich sehr sinnvoll zu beschäftigen. Es gibt diverse Lernplattformen
       oder zum Beispiel die Sportstunde von Alba Berlin. Chats bieten die
       Möglichkeit, mit Mitschülern und Lehrern in Kontakt zu bleiben. Die
       Menschen sind zwar weitestgehend eingeschlossen, aber nicht isoliert. Die
       Eltern müssen schauen, was die Kinder genau machen. Man kann zum Beispiel
       auch einen Film in Englisch mit Untertiteln schauen oder gemeinsam eine
       Lernplattform erkunden. Die freie Medienzeit, in der Kinder das machen, was
       sie wollen, sollte wie auch vorher schon begrenzt sein, und das ist sie ja
       in vielen Familien auch.
       
       Aber fehlt nicht einfach auch enorm viel Input? 
       
       Die Anregungen von außen sind natürlich weniger. Aber auch das kann eine
       Chance sein, sich mehr mit dem zu beschäftigen, was in uns ist. Wenn Eltern
       aushalten, dass das Kind auch mal quengelt, weil die Ablenkung fehlt, kann
       das einen Kreativitätsschub bewirken. Langeweile ist das Tor zur Fantasie.
       
       Gilt das auch für die Möglichkeiten einer Dreizimmerwohnung? 
       
       Natürlich sind die Möglichkeiten in einem Haus mit Garten größer. Aber auch
       in einer Wohnung kann man den Kindern verschiedene Räume zum
       Experimentieren anbieten – die Küche, das Bad.
       
       Jetzt haben wir die ganze Zeit über die Eltern gesprochen. Welche Aufgabe
       haben denn Lehrer in dieser Situation? 
       
       Sie sind verantwortlich dafür, dass die Schüler weiter angemessene Aufgaben
       bekommen. Es muss auf jeden Fall eine Form von Rückkopplung und
       regelmäßiger Rückmeldung an die Schüler geben und Unterstützung bei
       Lernkrisen.
       
       Das wird offenbar sehr unterschiedlich gehandhabt. Es gibt Lehrer, die alle
       ihre Schüler regelmäßig durchtelefonieren, in engem Kontakt bleiben.
       Welche, die virtuellen Unterricht anbieten. Und andere, die einen
       Wochenplan oder gar Plan für die gesamte Schulschließzeit per Mail
       schicken, und das war es. Sollte es nicht Mindeststandards geben, wie
       Lehrer mit dieser Situation umgehen? 
       
       Die Organisation dieser ersten Woche musste ja sehr schnell gehen. Jetzt
       müssen wir schauen, was gut funktioniert, und dann sind Mindeststandards
       sicher sinnvoll.
       
       Wir haben schon über konfliktbelastete Familien gesprochen. Eine besondere
       Härte stellt diese Zeit aber gewiss auch für Eltern von Kindern mit
       Behinderung dar, für die die Betreuung in der Schule ein absolut
       notwendiges Unterstützungssystem ist. 
       
       Ich denke, das ist eine extrem schwierige Situation. Man kann nur hoffen,
       das zum Beispiel die Unterstützung durch externe Pflegesysteme weiterlaufen
       kann.
       
       Viele Familien hatten womöglich im regulären Schulalltag niemals Berührung
       mit den Schulpsychologen des sogenannten Sibuz, weil sie es nicht
       brauchten. Das ändert sich ja jetzt vielleicht. Für wen sind Sie
       ansprechbar und wie? 
       
       An uns können sich alle wenden, die am Schulleben beteiligt sind – Eltern,
       ältere Schüler, Lehrer, Schulleitungen –, wenn sie Rat suchen oder in einer
       Krise stecken. Wir sind auch weiterhin telefonisch und per Mail erreichbar.
       
       24 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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