# taz.de -- China und seine Narrative zu Corona: Die Mär von der Nullinfektion
       
       > Die Regierung in Peking hat den Anschein erweckt, das Land sei bald frei
       > vom Coronavirus. Doch neue Indizien wecken Zweifel an den Statistiken.
       
 (IMG) Bild: Leben in Corona-Zeiten: ein Vater mit dem selbst gefertigten Schutz für sein Baby in Schanghai
       
       PEKING taz | Am Montag warnte Chinas Premier Li Keqiang seine Parteikader
       eindrücklich: Sie sollen keine Fälle vertuschen, nur um die Ansteckungen
       bei null zu halten. Doch genau dies könnte sich derzeit zutragen: Nachdem
       Präsident Xi Jinping den Sieg über das Virus ausgerufen und eine Rückkehr
       zum Wirtschaftswachstum angeordnet hat, stehen die unteren Ebenen massiv
       unter Druck.
       
       Mehrere Tage lang hat die Nationale Gesundheitskommission keine einzige
       Neuinfektionen vermeldet, sondern nur einige wenige [1][aus dem Ausland
       „importierte Fälle“]. Doch die werden bei Einreise ohnehin sofort in
       14-tägige Quarantäne gesteckt. [2][So entstand der Eindruck, China sei kurz
       davor, virusfrei zu werden.]
       
       Am Sonntag berichtete das relativ kritische chinesische Magazin Caixin, in
       Wuhan würden weiterhin täglich mehrere asymptomatische Fälle auftauchen:
       Personen, die zwar positiv auf Covid-19 getestet werden, aber keine
       Symptome aufweisen. Doch diese werden nicht in Chinas Statistik
       aufgenommen. Laut Caixin sei aber ein neuer Patient vom Dienstag ein Arzt,
       der von einem „asymptomatischen Fall“ angesteckt wurde.
       
       „Es macht absolut keinen Sinn für mich, dass eine Person zwar positiv ist,
       aber nicht gezählt wird, solange sie nicht krank ist“, zitiert die
       Nachrichtenagentur Bloomberg den Virologen Nigel McMillan von der
       US-amerikanischen Griffith-Universität. Wissenschaftlich deute alles
       darauf, dass auch asymptomatische Fälle das Virus weitergeben können.
       
       ## Positiv Getestete ohne Symptome ansteckend oder nicht?
       
       Die meisten Länder, darunter Südkorea, Japan und Deutschland, zählen alle
       positiv getesteten Personen in der Statistik. Länder mit unzureichenden
       Testkapazitäten erfassen meist nur die wirklich schwer Infizierten. Welche
       Rolle Angesteckte ohne jede Symptome bei der Verbreitung spielen, ist noch
       weitgehend unerforscht.
       
       Die Hongkonger South China Morning Post berichtete, dass in China ein
       Drittel aller positiv getesteten Personen entweder keine oder nur stark
       verzögerte Symptome aufweisen. 43.000 von ihnen sollen bis Ende Februar in
       Quarantäne gesteckt worden sein.
       
       Diese Information beruht auf gesperrten Regierungsdokumenten und wäre ohne
       mutige Whistleblower nicht bekannt geworden. In einer Pressekonferenz
       versuchten Mitarbeiter des Zentrums für Seuchenbekämpfung die
       Öffentlichkeit zu beruhigen: „Asymptotische Personen werden in China die
       Infektionen nicht weiterverbreiten“, sagte Wu Zuyou. Diese Personen seien
       schließlich alle aufgespürt und unter Quarantäne.
       
       Experten bezweifeln aber, dass es der Regierung gelungen ist, sämtliche
       Fälle ausfindig zu machen. Fest steht: Bis Ende Februar hat China 43.000
       positiv getestete Patienten ohne Symptome in Quarantäne gesteckt.
       
       ## Die drei Phasen der chinesischen Propaganda
       
       Chinas propagandistische Strategie zum Virusausbruch lässt sich in drei
       Phasen unterteilen: Bis zur dritten Januarwoche, als die Regierung
       plötzlich die Stadt Wuhan abriegelte, diskreditierte sie alle
       Medienberichte über die Gefahren des Virus als „Gerüchte“. Dabei wusste
       Peking bis dato längst, dass jenes neuartige Coronavirus von Mensch zu
       Mensch übertragen werden kann.
       
       Den gesamten Februar ging Präsident Xi Jinping in Deckung: Er delegierte
       alle Verantwortung an lokale Kader aus Wuhan und Hubei.
       
       Mitte Februar schließlich kehrte die Kommunistische Partei ihr
       Propagandanarrativ um: Sie veröffentlichte rückwirkend eine lange Rede Xis
       von Anfang Januar, die ihn nun als starken Führer und Krisenmanager der
       ersten Stunde inszenierte.
       
       Zugleich flachte die Infektionskurve außerhalb der Quarantänegebiete ab,
       wenig später auch in Hubei und Wuhan.
       
       „Ab Anfang März, als der Ausbruch in China unter Kontrolle gebracht wurde
       und sich stattdessen in anderen Ländern ausbreitete, wurde Chinas Position
       viel aggressiver“, sagt Yun Sun vom Washingtoner Stimson Center. Peking
       versuche demnach gezielt, [3][die Überlegenheit des eigenen Systems durch
       den „Misserfolg“ der Bekämpfung des Virus in anderen Ländern unter Beweis
       zu stellen].
       
       26 Mar 2020
       
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