# taz.de -- Kriminalität und Herkunft: Von öffentlichem Interesse
       
       > Die Herkunft von Tätern verschweigen? In der Einwanderungsgesellschaft
       > ist das aussichtslos und selbstschädigend für Medien.
       
 (IMG) Bild: Eine Frage der Herkunft? Polizeirazzia gegen eine Shisha-Bar in Bohum
       
       Gewalttaten von Ausländern werden in deutschen Medien nicht verschwiegen,
       sondern sogar völlig überdimensioniert dargestellt. Das ergab eine
       [1][Studie des Journalismusforschers Thomas Hestermann], die vorige Woche
       veröffentlicht wurde. Wenn die Herkunft eines Tatverdächtigen genannt wird,
       dann sei er in rund 90 Prozent der Fälle Ausländer. Mit der polizeilichen
       Kriminalstatistik habe das nichts zu tun. Dort liege der Anteil
       nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Gewalttaten um die 30 Prozent.
       
       Diese Überfokussierung hat nachvollziehbare Gründe. So lösen spektakuläre
       Ereignisse meist zahllose Folgeberichte zu ähnlichen Vorgängen aus. Das
       gilt gleichsam für AKW-Unfälle, Überschwemmungen und spektakuläre
       Straftaten – wie etwa die beispiellose Massenbelästigung von Frauen in der
       Kölner Silvesternacht 2015/16. Seither haben Straftaten von Ausländern,
       insbesondere Sexual- und Gewalttaten, per se einen erhöhten
       Nachrichtenwert.
       
       Zudem machen rechte Proteste wie in Chemnitz oder Kandel die Diskussion
       über die Tat zum Politikum. Regionale Kriminalität bekommt so überregionale
       Bedeutung. Spätestens hier nimmt auch ein in dieser Frage zurückhaltendes
       Medium wie die taz an der Überthematisierung von Ausländerkriminalität
       teil.
       
       Wichtig ist die Studie von Hestermann vor allem deshalb, weil sie dem
       rechten Narrativ von der „Lückenpresse“, die angeblich gezielt Straftaten
       von Ausländern verschweigt, die Grundlage entzieht. Wenn die Zahlen das
       Gegenteil beweisen, müsste die Diskussion eigentlich zu Ende sein.
       
       ## „Fatale Fehlentscheidung“ im Pressekodex
       
       Kontraproduktiv ist deshalb die Forderung Hestermanns und der Neuen
       Deutschen Medienmacher, die Herkunft von Tatverdächtigen in der Regel nicht
       zu nennen – um keine Vorurteile zu schüren. Obwohl in der Praxis das
       Gegenteil stattfindet, wird so das Narrativ der Rechten bedient.
       
       So kritisiert Hestermann den Deutschen Presserat, weil dieser 2017 den
       Pressekodex änderte. Bis dahin hieß es in der Selbstverpflichtung, dass die
       Herkunft von Tatverdächtigen nur dann genannt werden soll, „wenn für das
       Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“.
       In der neuen Version heißt es, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe könne
       bereits dann erwähnt werden, wenn ein „begründetes öffentliches Interesse“
       bestehe. Hestermann sieht in der Orientierung am „öffentlichen Interesse“
       eine „fatale Fehlentscheidung“.
       
       Es ist aber keine Fehlentwicklung, sondern liegt im Wesen von Medien, dass
       sie sich am Interesse ihres Publikums orientieren. Medien sind
       Informations-, Meinungs- und Unterhaltungsdienstleister. Medien stehen auf
       der Seite des Publikums, zum Beispiel wenn Regierungen relevante
       Informationen geheim halten wollen. Eine „fatale Fehlentscheidung“ wäre es
       deshalb eher, wenn Medien ausdrücklich Informationen weglassen, die große
       Teile des Publikums interessieren.
       
       Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft. Die Integration der
       Zuwanderer ist von großem öffentlichen Interesse. Finden sie Arbeit? Werden
       sie gleichberechtigt an gesellschaftlichen Prozessen beteiligt? Für die
       Akzeptanz von ökonomischer und humanitär bestimmter Einwanderung ist aber
       auch relevant, ob Einwanderer überproportional oft kriminell werden.
       
       Die Sorge ist auch nicht aus der Luft gegriffen. Bei Sexual- und
       Gewaltdelikten sind zum Beispiel Geflüchtete [2][im Verhältnis zu ihrem
       Bevölkerungsanteil rund achtmal überrepräsentiert]. 2 Prozent der
       Bevölkerung stellen laut Bundeskriminalamt 15,9 Prozent der Tatverdächtigen
       bei Vergewaltigungen und 14,3 Prozent bei Tötungsdelikten. Das kann man
       zwar soziologisch erklären, aber eben nicht einfach ausblenden.
       
       ## Integration geht alle an
       
       Natürlich ist hier stets entgegenzuhalten, dass die allermeisten
       Flüchtlinge nicht kriminell werden und Einwanderung unter dem Strich eine
       Win-win-Situation ist. Dennoch ist auch die Kriminalität von Zuwanderern
       ein integrationspolitisches Thema von öffentlichem Interesse. Es geht ja
       nicht nur um die Befürwortung oder Ablehnung von Zuwanderung, sondern auch
       um die Qualität der Integrationspolitik.
       
       Zwar hilft die Kenntnis der Herkunft eines konkreten Tatverdächtigen nur
       wenig bei einer fundierten Einschätzung des Gesamtphänomens. Hierfür sind
       differenzierte Statistiken sicher hilfreicher. Allerdings wird eine
       öffentliche Debatte eben nicht nur anhand abstrakter Zahlen geführt,
       sondern erfasst auch konkrete und damit anschauliche Fälle.
       
       Und genau deshalb richtet sich bei spektakulären Sexual- und Gewalttaten
       das Augenmerk sofort geradezu zwanghaft auf die Herkunft der
       Tatverdächtigen. Die einen geifern: „sicher war es wieder ein
       Kulturbereicherer“, die anderen bangen: „hoffentlich war es kein
       Geflüchteter“.
       
       Selbst wenn Polizei und Medien diese Information verweigern, lässt sich so
       die Diskussion nicht stoppen. Irgendwann redet doch einer der Beteiligten
       und die Herkunftsangabe landet sofort bei Facebook oder Twitter – die dabei
       seriöse Medien als Informationsquelle ersetzen und sogar noch glaubwürdiger
       erscheinen.
       
       Die Diskussion über „Ausländerkriminalität“ wird es in einer
       Einwanderungsgesellschaft immer geben. Die Medien sollten in dieser
       Diskussion aber den Malus vermeiden, dass sie nicht mit offenen Karten
       spielen. Sie nähren sonst den Zweifel, dass noch viel mehr verschwiegen
       wird, um feindselige Stimmung gegen Ausländer zu vermeiden.
       
       Wenn Medien durch Selbstbeschränkung versuchen, Vorurteile gegen Migranten
       zu verhindern, schüren sie letztlich nur doppelte Vorurteile – gegen
       Migranten UND Medien.
       
       Die Medien sollten erklären, was medial passiert, und nicht versuchen,
       Informationsflüsse gegen das öffentliche Interesse zu steuern. Denn es ist
       aussichtslos und selbstschädigend.
       
       16 Dec 2019
       
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