# taz.de -- Neues Duo an der SPD-Spitze: Hoffen und Hopfen
       
       > An der SPD-Basis freuen sich viele, dass das „Weiter so“ endet. Was kommt
       > nun? Ein Besuch an den Stammtischen der Sozis.
       
 (IMG) Bild: Gastrednerin Ute Vogt in Karlsruhe
       
       Karlsruhe/Bonn taz | Montagabend, Bonn: Zwei Tage nach Verkündung des
       [1][sensationellen Ergebnisses für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans]
       trifft sich die Bonner SPD in der Kneipe „Zebulon“ in der Innenstadt.
       Gekommen sind knapp 30 Leute – Ortsvereinsvorsitzende, Ratsmitglieder, die
       beiden stellvertretenden Vorsitzenden des Unterbezirks. Die Bekannteste
       unter ihnen ist die 27-jährige Jessica Rosenthal, Juso-Chefin in
       Nordrhein-Westfalen. Sie hat massiv für die beiden designierten neuen
       Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans getrommelt.
       
       Die Stimmung im „Zebulon“, einer gemütlichen Studierendenkneipe zwischen
       Bonner Markt und Universität, ist gut. An den Wänden hängen alte
       Schallplatten. Aus den Boxen tönt Rock und Blues. Bester Laune sind die
       SozialdemokratInnen, die sich um einen langen Tisch im hinteren Teil der
       Kneipe drängen. „Sehr glücklich“ sei er über die Wahl des neuen
       SPD-Spitzenduos, sagt Niklas Hausemann. Der 22-jährige Geografiestudent
       spricht damit für alle hier. Endlich habe die SPD nun die Chance, mit der
       klaren Trennung von Partei, Bundestagsfraktion und Regierung ihre ureigenen
       Positionen zu präsentieren.
       
       „Einer Mehrheit in der SPD reicht das ‚Weiter so‘ nicht, auch wegen der
       Umfrageergebnisse“, sagt Leon Schwarze, Vorstandsmitglied der SPD im
       Stadtteil Hardtberg. Die Unterstützung des Parteiestablishments für Scholz
       sei kontraproduktiv gewesen, glaubt Schwarze, 21 Jahre alt: „Viele haben
       gedacht: Minister? Groko? Weiter so? Nein!“
       
       Nötig seien jetzt neue Inhalte, finden Hausemann und Schwarze – und zählen
       auf: Der Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid solle spürbar teurer werden,
       bei gleichzeitiger Entlastung von Menschen mit unteren und mittleren
       Einkommen. Der Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde müsse her. Die Kommunen
       bräuchten dringend mehr Geld, um vor Ort Schwimmbäder erhalten, Straßen
       reparieren, marode Schulen sanieren zu können. Und dazu müsse das Dogma von
       SPD-Finanzminister Scholz fallen – die schwarze Null.
       
       ## „In der Berliner Blase gibt es nur Erfolge“
       
       Ähnlich sieht das auch Gabi Mayer, 53, stellvertretende
       Unterbezirksvorsitzende. „Scholz hat rausgeholt, was in der Großen
       Koalition möglich war“, sagt sie: „Ich will das nicht schmälern.“
       Allerdings: Die Erfolge der SPD-Ministerriege kämen beim Publikum einfach
       nicht an.
       
       „Eine konservative Politik mit ein paar Sozi-Schleifen macht nicht klar,
       wofür die Partei wirklich steht“,sagt die Beamtin, die beim
       Bundesverwaltungsamt das Referat Finanzmanagement leitet. Deshalb hätten
       selbst in Bonn, wo viele eher konservativ tickende Beamte in der Partei
       sind, für Nowabo, wie sie Norbert Walter-Borjans nennen, und Esken
       gestimmt. Bestenfalls ein Drittel ihres Unterbezirks habe Scholz gewählt,
       schätzt Mayer.
       
       Mayer hat ihren Sohn vor Augen. Der arbeitet als Krankenpfleger und kann
       sich wegen der hohen Mieten keine Wohnung in Bonn leisten. Zur Arbeit zu
       kommen sei wegen des miesen Nahverkehrs schwierig. An Altersvorsorge bei
       bescheidendem Gehalt nicht zu denken. Doch „in der Berliner Blase gibt es
       nur Erfolge“, kritisiert Mayer. Der von Walter-Borjans beklagte Weg der SPD
       in die „neoliberale Pampa“ treffe längst nicht mehr nur Arbeitslose und
       Hartzer, sondern Leute wie ihren Sohn. Und die SPD-Spitze rede an der
       Kernklientel der Sozialdemokratie vorbei.
       
       Juso-Chefin Jessica Rosenthal meint: „Es kann doch nicht sein, dass selbst
       in einer reichen Stadt wie Bonn Menschen sich das Leben in ihrer
       Heimatstadt nicht mehr leisten können.“ Allerdings: Sofort raus aus der
       Koalition mit der CDU will auch Nordrhein-Westfalens Juso-Vorsitzende
       nicht.
       
       ## Wie geht es weiter?
       
       In aktuellen Umfragen dümpelt die SPD bei 14 Prozent. Bei Neuwahlen müsste
       die SPD fürchten, hinter CDU, Grünen und AfD zu landen. Die Juso-Chefin
       Rosenthal pocht aber auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte
       „Revisionsklausel“. Die Ansage von CDU-Chefin [2][Annegret
       Kramp-Karrenbauer], über die Bündnis-Grundlagen werde nicht verhandelt,
       halten sie im „Zebulon“ für eine Frechheit.
       
       Dienstagabend, Karlsruhe: Es ist voll geworden beim SPD-Kreisverband. Jeder
       Stuhl bei der Mitgliederversammlung ist besetzt. Titel des Abends: „Wie
       geht es weiter?“. Das möchte nun das ganze Land wissen: Steigt die SPD aus
       der Regierung aus oder nicht? Auch deshalb strömen fast hundert Karlsruher
       Genossinnen und Genossen zum Meinungsaustausch.
       
       Die Karlsruher sind die Nachbarn des Kreisverbands Calw, aus dem die
       Überraschungsvorsitzende Saskia Esken kommt. Einige kennen die
       Informatikerin hier von der Parteiarbeit. Aber so richtig warm scheint man
       nicht mir ihr geworden zu sein. Einer sagt hinter vorgehaltener Hand, er
       habe gehört, die Kollegen in Calw seien wohl ganz froh, dass Esken jetzt
       nicht mehr so oft vor Ort sei. Lästereien beim Wein, vor dem offiziellen
       Teil des Abends.
       
       Die Karlsruher haben Ute Vogt eingeladen, die parlamentarische
       Staatssekretärin im Innenministerium. Sie kenne Esken aus der Fraktion
       „wahrscheinlich so gut wie wenige andere“, sagt Vogt. Auch wenn die neue
       Chefin deutlich links von ihr stehe, beeindrucke sie deren Power. „Die hat
       ein enormes Stehvermögen“, lobt Vogt. Die Ex-Landesvorsitzende weiß gut,
       wie dringend man das in dieser Partei braucht.
       
       ## Wer kriegt sie noch alle zusammen?
       
       Denn Vogt weiß aus eigener Erfahrung, wie die SPD ihr Spitzenpersonal
       verheizt. Mit kaum 40 Jahren war sie mal Hoffnungsträgerin in der
       Schröder-SPD. Man traute der jungen Juristin sogar zu, Erwin Teufel in
       Baden-Württemberg abzulösen. Dafür reicht es dann 2001 nicht – aber von den
       33 Prozent damals kann die Partei heute nur noch träumen. Danach ging es
       bergab. Vogts Schröder-Kurs gerät in die Kritik, ausgerechnet bei Männern
       in der Landespartei, die selbst nicht gerade links stehen.
       
       2005 unterstützte Vogt Andrea Nahles als Generalsekretärin, daraufhin trat
       Parteichef Franz Müntefering zurück. Vogt entschuldigte sich später
       ungeschickt dafür, doch 2009 ist es Zeit für ihren Rücktritt vom
       Landesvorsitz.
       
       Ute Vogt beschwört nun vor allem eins: Solidarität. Das findet Ute Artmann
       auch. Die Basis müsse ja an den Wahlkampfständen den Kopf dafür hinhalten,
       was in Berlin passiert, meint die ehemalige Karlsruher Stadträtin. Sie
       könne nicht verstehen, dass sich keiner der alten Spitzengenossen hinter
       das neue Führungsduo gestellt habe, sagt Artmann. Einzig und allein Kurt
       Beck habe dafür geworben, Esken und Walter-Borjans doch wenigstens erst
       einmal Zeit zu geben. „Da ist mir das Herz aufgegangen“, sagt sie.
       Wenigstens kurz, sonst leide sie meist an ihrer Partei.
       
       Müntefering, Beck, Nahles, Schulz, wer kriegt sie noch alle zusammen? Vier
       Vorsitzende habe die Partei in den letzten Jahren selbst demontiert, sagt
       Peter Arnold. Der ehemalige Bankmanager kritisiert, dass Esken und
       Walter-Borjans mit ihrer Kritik an der Regierung SPD-Erfolge kleingeredet
       hätten. „Der ganze Populismus gegen die GroKo“ bringe doch nichts. Wer
       jetzt aussteigen wolle, bräuchte ein Thema, mit dem man danach in den
       Wahlkampf ziehen könne. Dafür gibt es Applaus. Arnold wäre für Scholz
       gewesen.
       
       Keiner in Karlsruhe will sofort aus der Koalition aussteigen, wie es Esken
       vor Kurzem noch verlangt hat. Aber das Wort führen fast ausschließlich
       Ältere. Die Jungen stehen nach der Versammlung noch in Grüppchen zusammen
       und diskutieren. Einer ist wegen [3][Kevin Kühnert] in die SPD eingetreten.
       Andere fordern mehr staatliche Lenkung. Alle haben im zweiten Wahlgang für
       Esken und Walter-Borjans gestimmt. „Wir wollten kein ‚Weiter so‘“, sagen
       sie.
       
       Das ist das Mantra an der SPD-Basis. Die Erfolgsmeldungen aus Berlin, die
       ewigen Wahlniederlagen, das verschwommene Profil der Partei – es hat
       einfach gereicht. Wenn erst SPD pur endlich sichtbar wird, dann werden auch
       die Wahlergebnisse besser. Das ist die Hoffnung.
       
       5 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Die-SPD-nach-der-Vorsitzendenwahl/!5641487
 (DIR) [2] /Kramp-Karrenbauer-und-Dienstpflicht/!5645439
 (DIR) [3] /SPD-vor-ihrem-Parteitag/!5647223
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Stieber
 (DIR) Andreas Wyputta
       
       ## TAGS
       
 (DIR) NRW-SPD
 (DIR) SPD-Basis
 (DIR) Norbert Walter-Borjans
 (DIR) Saskia Esken
 (DIR) SPD
 (DIR) Schwarz-rote Koalition
 (DIR) Norbert Walter-Borjans
 (DIR) Kevin Kühnert
 (DIR) Norbert Walter-Borjans
 (DIR) Kevin Kühnert
 (DIR) Norbert Walter-Borjans
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) SPD wählt Vorsitzende: …und alle sind glücklich
       
       Solide und unfallfrei, aber ohne zündende Visionen tritt das neue
       SPD-Führungsduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken beim Parteitag auf.
       
 (DIR) SPD und die Groko: Ein kleines bisschen mehr Skepsis
       
       SPD-Linke hadern mit dem moderaten Kurs der neuen Parteispitze in Sachen
       Groko. Der Parteitag wird über den Ausstieg aus der Regierung abstimmen.
       
 (DIR) Heinz Bude über neue SPD-Spitze: „Solidarität ist das große Thema“
       
       Der Soziologe Heinz Bude warnt die SPD vor einem Aus der Großen Koalition.
       Die künftige Spitze müsse eine andere solidarische Erzählung anbieten.
       
 (DIR) Neue SPD-Spitze: Kühnert warnt vor Groko-Ausstieg
       
       Selbst der größte Gegner des Bündnisses spielt erst mal anscheinend doch
       mit. Ganz verstummt ist der Ruf nach einer harten Gangart in der SPD aber
       nicht.
       
 (DIR) Nach der SPD-Vorsitzwahl: Der Leidantrag der SPD
       
       Klara Geywitz wird – mit Unterstützung des neuen Führungsduos – Vizechefin
       der SPD. Das soll für Entspannung sorgen.